Freilichtmuseum Hessenpark - Besuch Eröffnung "Hofreite"
- Geschrieben von Portal Editor
In unseren Hinweisen zu aktuellen Kulturereignissen in Deutschland und anderen Ländern des Balkans hatten wir mehrfach auf verschiedene Veranstaltungen des Freilichtmuseums Hessenpark hingewiesen.
So wurde es denn auch höchste Zeit, den Hessenpark auch selbst wieder einmal zu besuchen. Da auch, trotz bereits einsetzenden Herbstwetters für den Sonntag unserer Wahl kein Regen angekündigt und auch ein zusätzliches Ereignis in Form der Hauseröffnung "Hofreite" im Hessenpark angekündigt war, ging es entsprechend frühmorgens über die A3 an Würzburg vorbei in Richtung Frankfurt. Am Autobahnkreuz Gravenbruch verließen wir die A 3 und nutzten wir die Stadtumführung A 661 bis nach Bad Homburg. Hier ging es auf der 456 bis Wehrheim und kurz darauf hatten wir Neu-Anspach und damit den Hessenpark erreicht.
Das Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach
Wir hatten uns vor Ort mit Frau Pia Preuss verabredet, die für den Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Dank ihres Hinweise wussten wir von der Eröffnung des gerade fertig gestellten Gebäudes " Hofreite aus Ehringshausen-Breitenbach“. Schon auf den ersten Metern durch den Hessenpark waren die wirklich herrlich anmutenden Fachwerkgebäude in ihrer Farbenpracht ein echter Hingucker. Auch der "Markplatz" noch vor den Toren des Hessenparks wirkte mit seinen Marktständen und der bunten Betriebsamkeit äußerst authentisch. Rechtzeitig klappte auch der telefonische Kontakt, so das wir nach einer ersten, kurzen Stippvisite der ersten Häuser auch schon zur Eröffnungsfeier des Hauses Hofreite mussten.
Das Haus Hofreite aus Ehringshausen-Breitenbach
Viele Details zum Gebäude und den ehemaligen Bewohnern wurden angesprochen und als besonderes Highlight waren sogar zwei ehemalige Bewohner des Hauses bei der Feierstunde anwesend. Da auch von ihnen einige Worte zur Wiedereröffnung fielen, war es geradezu eine anrührende Feierstunde, die mit viel Applaus endete. Einen großen Anteil hatte die sachliche Darstellung des geschichtlichen Ablaufs bis zur Neuerstehung des Hauses, dargeboten von Herrn Herrn Dr. Lindloff, den wir dankenswerter Weise als Redeprotokoll hier wiedergeben können:
Ich gebe gern zu, dass ich etwas erleichtert bin, dass das Bauvorhaben „Hofreite aus Ehringshausen-Breitenbach“ nun weitestgehend abgeschlossen ist und wir das heute feiern können. Gehörte es doch zu den ersten Arbeitsvorhaben, die mir 2005 bei meinem Dienstantritt im Freilichtmuseum mit Nachdruck angetragen wurden:
„Also Herr Dr. Lindloff, wir möchten das Haus möglichst noch im Spätherbst 2005 eröffnen! Strengen Sie sich mal an, dass Sie das auf die Reihe bekommen“.
Nun, seither vergingen noch einmal gut acht Jahre bis zum heutigen Tag. Ich darf Ihnen versichern, dass ich daran völlig unschuldig bin. Doch was sind schon acht Jahre für ein bescheidenes Häuschen, das 317 Jahre auf dem Buckel hat. Klar, 23 Jahre vom Abbau in Breitenbach bis zur Beendigung des Wiederaufbaus sind viel, viel zu lang. Da schneidet das Nebengebäude doch besser ab. Hat es doch „nur“ 9 Jahre gedauert, nicht gerechnet die Wartezeit zwischen der Übernahmeerklärung und dem tatsächlichen Abtransport. Immerhin, die langen Zeiten haben sich gelohnt! Vor uns stehen zwei Gebäude mit einer unendlich vielfältigen Bau- und Sozialgeschichte.
So wurde gestern vor genau 145 Jahren im Erdgeschoss ein neues Fenster eingesetzt:
„ist gemacht worden 14. September 1868 von Schreinermeister Johann Georg Zimmermann in Kölschhausen“, steht mit Bleistift auf der Unterseite der Fensterbekleidung geschrieben, die wir kürzlich entdeckt haben. Und auch die erste quer geteilte Haustür mit einem aufklappbaren Oberteil von 1731/32 ist erhalten.
Brennend interessiert mich der Zeitpunkt, ab wann in dem zu Buderus gehörenden Zementwerk Schlackensteine hergestellt wurden, weil sich vielleicht so der Zeitraum des Um- oder Neubaus des Stallgebäudes eingrenzen ließe.
Just wanted! Über die Familie Möller, die 1955 in die Wohnung im Obergeschoss eingezogen ist, weiß ich noch fast gar nichts.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich Sie an der Bau- und Sozialgeschichte der Hofstelle kurz und knapp teilhaben lassen.
Die Langfassung würde mehrere Stunden dauern.
Das will ich Ihnen aber jetzt nicht zumuten:
Die Bauherren waren Johannchen Meister und seine Ehefrau Anna Barbara, wie inschriftlich über dem Torsturz vermerkt ist.
Die Scheuer war Teil einer relativ großen Hofreite.
Das einst dazu gehörende Wohnhaus und weitere Gebäude konnten allerdings nicht mehr lokalisiert werden.
1731/32 kommt es zu einer ersten baulichen Veränderung, indem der linke Bansen zu Wohnzwecken ausgebaut wird, wahrscheinlich in Folge einer Erbteilung.
Nun werden eine feste Wand zwischen Wohnteil und Tenne errichtet sowie Fenster, Innentüren und eine Haustür eingesetzt. Sie ist die Vorgängertür der jetzigen, in der ersten Hälfte des 19. Jh. eingebauten Haustür.
In dieser Zeit erfolgen weitere Umbauten: neue Fenster, eine neue Treppe und der Ersatz von Ern und offener Herdstelle durch einen Flur mit abgetrennter Küche.
Um 1843 wird der rechte Bansen unterkellert, vielleicht zur Einlagerung von Kartoffeln, Dickwurz oder gar zur Schweinehaltung.
Unter dem Schmiedemeister Heinrich Jacob Staaden, der 1883 die Hausbesitzerin Wilhelmine Herbel geheiratet hatte, kommt es zu weiteren umfangreichen Veränderungen.
So wird ein Kniestock aufgesetzt, also mehr Boden- und Speicherraum geschaffen, das bis dahin fachwerksichtige Haus verputzt und mit einer aufgeputzten Eckquaderung versehen.
Nach 1900 gibt es weitere Reparatur- und Baumaßnahmen, von denen der Dachausbau zu Wohnzwecken zwischen 1948 und 1950 sicher der wichtigste ist.
Die Bau- und Nutzungsgeschichte des Nebengebäudes ist nicht weniger spannend.
Schon dem völligen Laien fällt auf, dass der Kniestock giebelseitig und traufseitig nicht auf das Erdgeschoss passt. Er kragt vorn um etwa einen halben Meter über, springt aber traufseitig um Mauerstärke zurück.
Wenn Ihnen das, meine sehr geehrten Damen und Herren, unverständlich formuliert ist: Es geht darum, was zeitlich zuerst da war, der Kniestock oder das Erdgeschoss.
Belegt sind aber der Einbau einer Schmiede und der Umbau des Kuhstalls zu einer Garage für den Dorflehrer Herchen im Jahr 1925, auch der Pferdestall, in dem das Pferd der Hausbesitzerin Anna Schiller stand.
Ab ca. 1910 wurde das Wohnhaus von vielen Mietparteien bewohnt. Waren es anfangs Familien wie die Berghäusers (etwa bis 1916), die Familie Kuhlmann bis 1929, die Familie Groß bis 1931 sowie die Familie Dittmann bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, bewohnten dann mehrere Familien zeitgleich das Haus, meistens jeweils in Einzimmerwohnungen, erst ab 1953 mit fließend Wasser im Flur des Erdgeschosses, aber ohne Abfluss, natürlich ohne Toilette, die Plumsklos befanden sich im Nebengebäude.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wohnraum knapp und bezahlbarer Wohnraum allemal. Vertriebene und Flüchtlinge zogen ein und wieder aus, wenn sie sich eine bessere Wohnung leisten konnten oder Familienzuwachs kam und die Wohnung einfach zu eng wurde.
Im Haus wohnten auch zeitweise eine Dienstmagd und ein Knecht, die bei den Schillers in Stellung waren. Die Wohnraumnutzung endete etwa 1976.
Wir haben das Wohnhaus im Zeitschnitt 1955/1957 eingerichtet, als sich vier Mietparteien mit 11 Personen eine Gesamtnutzfläche von rund 80 Quadratmetern teilten:
das Ehepaar Schäfer (der Geigenhenner oder auch Riwwelkuchen sowie die Moritzer Lene) mit Sohn Werner
das Ehepaar Möller mit der im November 1955 geborenen Tochter Monika
Anni Dittmann, die bei Frau Schiller in Stellung war
Das Ehepaar Eicke mit den Kindern Erika und Günter
Grundlage der Einrichtung waren die Ergebnisse restauratorischer Untersuchungen vor dem Abbau, zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen und ehemaligen Hausbewohnern sowie Archivstudien, die von der Diplomingenieurin Architektin Sabine Gärtner schon 2001 geführt wurden und weitere Befragungen in diesem Jahr.
Mobiliar und Hausrat aus dem Freilichtmuseum
Museal machen wir den Versuch, in zwei Etagen die Räume nicht durch eine Barriere abzusperren, sondern es den Besucherinnen und Besuchern zu ermöglichen, direkt in die Räume zu gehen. So kann man sich besser vorstellen, wie bescheiden und hart das Leben noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war.
Allerdings sind die Innenräume ja neuwertig, die Wände frisch gestrichen, gar tapeziert.
Das Häuschen wirkt sauber und adrett, nicht so verfallen, wie es war, fast wie ein Ferienhäuschen auf dem Lande, so meinte mein Kollege kürzlich.
Die musealen Darstellungsmöglichkeiten haben eben auch ihre Grenzen.
Passend dazu haben wir in der Garage des Nebengebäudes eine kleine Ausstellung mit dem Titel „Flickwerk – Selbermachen zwischen Not und Sparsamkeit“ eingerichtet, die den Alltag der Nachkriegszeit mit ihren materiellen Entbehrungen aufgreift.
Ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne mich bei allen zu bedanken, die den Aufbau und die Einrichtung der beiden Gebäude der Hofstelle Staaden/Schiller tatkräftig begleitet haben: Hessisches Baumanagement, externe Bauleitung, Fachplaner, Externe Handwerksfirmen pp., vor allem aber bei unseren Handwerkern, die vorzügliches geleistet haben, und dem an der kleinen Ausstellung beteiligten Ausstellungsgestalter und Grafiker. In gewohnt zuverlässiger Weise halfen und helfen die Veranstaltungsorganisation und der Besucherservice.
So wird Gebäudegeschichte lebendig und für jeden nachvollziehbar. Welch ein Unterschied zum reinen Betrachten oder dem Spaziergang durch den Hessenpark. Man würde sich förmlich wünschen, diese Historie zu allen Häusern im Hessenpark zu erhalten. Neueste Technik sollte das doch eigentlich möglich machen.
Wir nutzten im Anschluss an die Hauseröffnung den Nachmittag noch zu einem Kurzrundgang durch den Park und konnten dann auch die Marktstände mit tollen Wein- und Käseangeboten noch genießen. Ein herrlicher Tag mit vielen interessanten neuen Eindrücken und Erlebnissen. Danke dafür.
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