Bundespräsident Joachim Gauck an der METU
- Geschrieben von Portal Editor
„Nicht übereinander reden, sondern miteinander: Anmerkungen zum türkischdeutschen Dialog“
Es freut mich, hier bei Ihnen sprechen zu können: An einer Universität, die zu den führenden Hochschulen Ihres Landes zählt, ja, zum kleinen Klub der weltweit hoch geachteten Bildungsinstitutionen. Als Studenten und Professoren dieser Universität wissen Sie um die grundlegende Bedeutung von Bildung und Forschung für eine jede Gesellschaft. Und Sie wissen auch, dass Wissenschaft am besten mit kreativen Köpfen gedeiht, mit Studierenden, die auch in Lehre und Forschung moralischen und staatsbürgerlichen Entscheidungen nicht ausweichen. Ich respektiere und bewundere deshalb, wie sich Lehrende und Lernende Ihrer Hochschule dieser doppelten Verantwortung als Wissenschaftler und Staatsbürger stellen, um den Herausforderungen unserer globalisierten Welt gerecht zu werden.
Seit acht Jahren ist die Humboldt-Universität in Berlin durch ein sozialwissenschaftliches Master-Programm mit Ihrer Universität verbunden. Studenten aus der Türkei, aus Deutschland und anderen Ländern vertiefen sich gemeinsam in Probleme. Sie arbeiten über Modernisierung und Transformation, über Migration und Integration. Und sie lassen sich leiten von der Devise: Nicht ohne den Anderen forschen, sondern mit ihm. Nicht übereinander reden, sondern miteinander.
Folgte man dieser Devise auch stärker in anderen Bereichen, ließen sich Missverständnisse vielleicht öfter vermeiden und leichter einvernehmliche Lösungen finden. Darum möchte ich meine heutigen Anmerkungen verstanden wissen als eine Stimme im Miteinander, als ein Angebot zum vertieften Meinungsaustausch im Prozess der Annäherung unserer Gesellschaften.
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Lassen Sie mich eine gute Nachricht an den Anfang stellen: Deutschland hat nie so enge und so vielfältige Beziehungen zur Türkei unterhalten wie gegenwärtig. Die Türken sind uns heute nicht mehr wie in vergangenen Jahrhunderten allein vom Hörensagen, durch die Dichtung oder vereinzelte Zusammentreffen vertraut. Heute kennen wir einander durch ein engmaschiges Netz von Geschäftsbeziehungen, durch Austausch auf politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Foren und vor allem durch unzählige alltägliche Begegnungen. Jahr für Jahr machen Millionen Deutsche Urlaub in der Türkei. Tausende von Unternehmern, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden pendeln in beide Richtungen. Mit Hilfe von Austauschprogrammen kommen jedes Jahre Tausende türkischer Studenten in die Europäische Union und nach Deutschland, und Tausende deutscher Studenten gehen in die Türkei.
Und was das Politische betrifft: Seit fast 60 Jahren gehören Deutschland und die Türkei gemeinsam zur Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, beide gehören dem Europarat an, beide sind Mitglieder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und wirtschaftlich eng über die Zollunion der Türkei mit der Europäischen Union verbunden.
Diese Zusammengehörigkeit ist von großer Bedeutung. Aber genauso wichtig für unser Miteinander ist es, dass sich knapp drei Millionen Türkeistämmige in Deutschland niedergelassen haben. Etwa die Hälfte von ihnen sind deutsche Staatsbürger geworden. Mit Dankbarkeit denke ich an Hunderttausende türkischer Arbeitskräfte, die seit den 1960er Jahren mit ihrem Einsatz und ihrem Fleiß den Wohlstand der Bundesrepublik mehrten. Inzwischen sitzen türkeistämmige Abgeordnete im deutschen Parlament. Und ein türkeistämmiger Regisseur produzierte den erfolgreichsten deutschen Film des vergangenen Jahres.
Auch wenn noch einiges verbesserungswürdig ist im Verhältnis zwischen Zugewanderten und Alteingesessenen, so ist doch vieles schon gelungen. Deutschland, das kein Einwanderungsland war und zunächst auch keines sein wollte, sucht nun mit großer Anstrengung nach Wegen, wie die Eingewanderten und ihre Nachkommen der zweiten und dritten Generation gleichberechtigt, respektiert und selbstverständlich teilhaben können am politischen und gesellschaftlichen Leben in ihrer neuen Heimat.
So leben wir miteinander, mehr als jemals zuvor in der Geschichte.
Und weil wir uns näher gekommen sind und unsere Leben sich mehr und mehr verschränken, verfolgen wir mehr als jemals zuvor, was in unseren Ländern geschieht.
In Deutschland verstehen wir das Interesse der Türkei am Wohlergehen der Familien mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Wir verstehen insbesondere das Interesse an dem Prozess gegen eine Angehörige des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds, jener terroristischen, rechtsextremen Gruppe, die zwischen 2000 und 2006 zehn Menschen tötete – fast alle mit türkischen Wurzeln. Wir verstehen das Erschrecken über den fremdenfeindlichen, den rassistischen Hass, auch darüber, dass die Täter so lange unentdeckt blieben.
Wir verstehen es, weil das Erschrecken auch unser Erschrecken ist in Deutschland.
Ich versichere Ihnen aber: Deutschland versucht mit ganzer Kraft, das Geschehen auch juristisch aufzuarbeiten. Seien Sie gewiss: Die übergroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung duldet keinen Extremismus. Nicht nur staatliche Institutionen, sondern auch ein landesweites Netzwerk engagierter Bürger und Bürgervereine bilden ein starkes Bollwerk gegen fremdenfeindlichen Terrorismus und Diskriminierung im Alltag.
So wie Ihnen in der Türkei nicht gleichgültig ist, was in Deutschland geschieht, ist uns in Deutschland nicht gleichgültig, was in der Türkei geschieht. Und so gestatten Sie mir an dieser Stelle, ganz offen auch über das zu sprechen, was mich besorgt.
Ich bin aufgewachsen in jenem Teil Deutschlands, der bis 1989 zum sowjetischen Einflussbereich gehörte. Bis zu meinem 50. Lebensjahr lebte ich in einem System, in dem eine kommunistische Partei darüber entschied, was Recht war und was Unrecht.
Die Periode der Wiedervereinigung Deutschlands gehört daher zu den glücklichsten Phasen meines Lebens. Die Zeit der Einschüchterung und der Willkür war vorbei. Die Konzentration der Macht in den Händen einer Partei wurde aufgehoben. Seitdem konnte ich mich immer wieder von den Vorteilen der Demokratie überzeugen: Deutschland respektiert die Gewaltenteilung. Die Macht der Regierung findet ein Gegengewicht im Parlament und in den Organen der Rechtsprechung.
Geprägt durch die Erfahrung des Gewinns der Demokratie, beobachte ich mit besonderer Sorge, wenn es irgendwo Tendenzen gibt, den Rechtsstaat und die in vielen Ländern erprobte Gewaltenteilung zu beschränken. So frage ich mich heute und hier, ob die Unabhängigkeit der Justiz noch gesichert ist, wenn die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten in großer Zahl versetzt und sie so daran hindert, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken. Oder wenn sie danach trachtet, Urteile in ihrem Sinn zu beeinflussen oder umgekehrt ihr unwillkommene Urteile zu umgehen.
Manchem türkischen Staatsbürger und schon gar manchem türkischen Politiker mag es schwer fallen, derartige Kritik anzunehmen. Vielleicht wird der eine oder die andere sie abwehren als unberechtigt und unerwünscht. Aber bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Aus mir spricht nicht der Wunsch nach Einmischung in innere Angelegenheiten, sondern der Wunsch nach gleichberechtigtem Austausch. Aus mir spricht die Sorge eines Bürgers, der nach langjährigen Erfahrungen in einem totalitären Staat zu einem Anwalt der Demokratie wurde.
Als Demokrat vermag ich meine Ansichten nicht nur auf die Worte und Taten der Regierenden zu stützen. Als Demokrat werde ich immer auch die Stimmen der Regierten hören. Und als Demokrat werde ich dann meine Stimme erheben, wenn ich den Rechtsstaat in Gefahr sehe – auch wenn es nicht der Rechtsstaat des eigenen Landes ist. Mein Zwischenruf erfolgt um der Menschen willen, um ihrer Würde, ihrer Freiheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit willen. Und so, wie ich diese Bemerkungen als Rat verstanden wissen möchte, bin ich, sind wir in Deutschland auch bereit, den Rat aus anderen Ländern anzuhören. Wir mussten und wir wollten die Kritik aus der Türkei akzeptieren, nach der aus Opfern zeitweise Täter wurden, als nach den fremdenfeindlichen Morden ermittelt wurde.
Die Türkei ist ein Land im Auf- und im Umbruch, ein Land mit aufstrebender Gesellschaft, ein Land, das die Tradition mit der Moderne zu versöhnen sucht. Voller Anerkennung haben wir im vergangenen Jahrzehnt den rasanten Wirtschaftsaufschwung verfolgt – Millionen von Türken profitierten von wachsendem Wohlstand. Wir sahen auch: Der politische Einfluss des Militärs wurde zurückgedrängt. Nach Beginn eines Dialogprozesses mit den Kurden nahmen die gewaltsamen Zusammenstöße ab, historische Tabus begannen zu schwinden, etwa über das Unrecht an Armeniern oder Kurden. Soeben hat Ministerpräsident Erdoğan den Nachfahren der armenischen Opfer sein Mitgefühl ausgedrückt. Es sind dies positive Entwicklungen – und nicht die einzigen in der Türkei.
In jüngster Zeit erreichen uns aber auch Stimmen der Enttäuschung, der Verbitterung und Empörung über einen Führungsstil, der vielen als Gefährdung für die Demokratie erscheint – etwa wenn den Bürgern vorgeschrieben wird, wie sie zu leben haben. Wenn eine verstärkte geheimdienstliche Kontrolle über ihr Leben angestrebt wird. Wenn Protest auf der Straße gewaltsam unterdrückt wird und Menschen dabei sogar ihr Leben verlieren.
Ich gestehe: Diese Entwicklung erschreckt mich – auch und besonders, weil Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden. Wir erleben, dass der Zugang zu Internet und sozialen Netzwerken beschnitten, dass kritische Journalisten entlassen, auch verurteilt, Zeitungen mit Veröffentlichungsverboten belegt und Herausgeber juristisch unter Druck gesetzt werden.
Umfassend zu informieren und umfassend informiert zu werden, sind allerdings zwei grundlegende Voraussetzungen einer freien und demokratischen Gesellschaft. Nur so können Missstände aufgedeckt und das Handeln der Regierenden einer Kontrolle unterzogen werden. Nur so kann der mündige Bürger wachsen und sein eigenes Urteil entwickeln.
Meine gesamte Lebenserfahrung hat mich zudem gelehrt: Wo die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird, wo Bürger nicht oder nicht ausreichend informiert, nicht gefragt und nicht beteiligt werden, wachsen Unmut, Unerbittlichkeit und letztlich auch die Bereitschaft zur Gewalt.
Protest ist ein Warnsignal. Wenn Unzufriedenheit jedoch dazu führt, dass Bürger sich auf die Suche nach besseren Lösungen begeben und bereit sind zur Übernahme von Verantwortung, dann ist Unzufriedenheit nützlich und belebend. Es dient der Wohlfahrt eines Landes, wenn Bürger sich nicht als Untertanen empfinden, die auf den Zuruf einer Obrigkeit reagieren. Es dient der Wohlfahrt und auch der Stabilität eines Landes, wenn Bürger ihre Fähigkeiten einbringen und an der Gestaltung des Gemeinwesens mitwirken. Wenn sie also ihre Stadt, ihre Region, ihren Staat lebenswerter machen wollen.
Als Zeichen der politischen Reife ist zu loben, wenn türkische Bürger bereit sind, als Citoyen zu agieren – als Staatsbürger, die das Schicksal ihres Landes aktiv mitgestalten wollen. Sie sollten als Antriebskräfte einer lebendigen Demokratie willkommen geheißen werden. Eine Demokratie braucht dieses Engagement.
Unzählige Menschen türkischer Herkunft, die in Deutschland leben, teilen diese Meinung mit mir. Sie wünschen sich in der Heimat ihrer Vorfahren demokratische Diskurse. Sie haben sich unsere Erfahrungen und die Erfahrungen des europäischen Kontinents zu eigen gemacht: Nach zwei Weltkriegen und zwei diktatorischen Regimen haben wir die liberale und rechtsstaatliche Demokratie gewählt – als eine zwar nicht vollkommene, aber doch die beste aller bekannten Staatsformen.
Diese Demokratie ist ein verheißungsvolles Angebot, da sie allen Menschen Grundrechte und gleichberechtigte Teilnahme am Gemeinwesen zuspricht. All das verleiht der Demokratie Zuspruch und Zukunft.
Fünfundzwanzig Jahre nachdem ich den totalitären Staat hinter mir lassen durfte, weiß ich aber auch: Das Leben in einer Demokratie ist nicht nur die Erfüllung eines Traums, es ist auch harte Arbeit. Die Demokratie braucht den mündigen Bürger. Den Bürger, der seinen Staat trägt und um immer neue Klippen führt. Den Bürger, der die Geduld nicht verliert im langen Kampf um Verbesserungen. Nicht zuletzt den Bürger, der fähig ist zum Kompromiss.
Die Demokratie erfordert den Respekt vor dem Anderen. Niemandem darf sein Lebensstil aufgezwungen, niemand an der öffentlichen Ausübung seiner Religion gehindert werden. Auch Deutschland musste und muss diesen Respekt lernen, nicht zuletzt gegenüber den vielen Zuwanderern aus der Türkei, deren kulturelle und religiöse Traditionen uns fremd und unverständlich waren und manchmal noch sind.
Kontroverse Auseinandersetzungen in Deutschland haben uns gelehrt: Die Demokratie braucht den Dialog. Es ist schädlich für das Gemeinwesen, wenn die öffentliche Sprache vergiftet und wenn Feindbilder geschaffen werden. Demokratie sucht nach Ausgleich, vermittelt zwischen unterschiedlichen Interessen und dient so dem Ganzen.
Nicht zuletzt lebt die Demokratie vom Willen zur Teilhabe. Es ist gut, wenn engagierte Bürger – wie hier in der Türkei – mit entscheiden wollen bei der Planung von Brücken, Straßen und Shopping-Malls, beim Bau von Atomkraftwerken, Flughäfen und Stauseen. Nicht zuletzt wollen sie mitreden bei Entscheidungen über die Rolle, die der Religion und den verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Zukunft in Politik und Gesellschaft zukommen soll. Einige dieser und ähnlicher Fragen berühren Kernpunkte des gesellschaftspolitischen Selbstverständnisses.
Für Sie als Lernende und Lehrende an dieser Hochschule dürften meine Anmerkungen nur allzu Bekanntes enthalten. Ich habe mir sagen lassen, dass Sie hier auf dem Campus den Dialog der Verschiedenen längst pflegen. Dass Ihr Campus ein Ort der Offenheit und Liberalität ist, dass hier nur das Argument zählt. Denn was das friedliche Zusammenleben sichert, ist der Kompromiss – zwischen Türken und Kurden, Sunniten und Aleviten, Christen und Juden, zwischen Mehrheiten und Minderheiten, zwischen Linken, Liberalen, Konservativen. Ich finde, Ihr Land kann auf einen Ort wie diesen mit seiner konsensorientierten Streitkultur stolz sein.
Bevor ich hier zu Ihnen in die Hauptstadt kam, konnte ich mich an der Grenze zu Syrien von den großen Anstrengungen überzeugen, die Ihr Land zur Unterbringung syrischer Flüchtlinge unternimmt. Die Türkei hat zahllose dieser hilfsbedürftigen Nachbarn ohne Zögern aufgenommen. Sie hat den Heimatlosen nicht nur ein Dach über dem Kopf gewährt. Sie versorgt die Gestrandeten in den Flüchtlingslagern mit Lebensmitteln, baut Schulräume für Kinder und garantiert medizinische Betreuung für Kranke. Sogar für jene halbe Million Vertriebene, die ihr Leben selbst in die Hand genommen haben und nicht in Lagern leben, bietet die Regierung kostenlose medizinische Versorgung. Bürgerschaftliche Initiativen helfen bei Wohnungs- und Arbeitssuche oder organisieren Unterricht für Kinder. Eine Solidarität dieses Ausmaßes ist keineswegs selbstverständlich. Mein ausdrücklicher Dank dafür gilt der Regierung ebenso wie der Gesellschaft. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass Deutschland wie auch die Europäische Union die Nachbarländer Syriens bei der Versorgung der Flüchtlinge stärker unterstützen.
An der Grenze zu Syrien konnte ich mich auch von der gemeinsamen Gefahrenabwehr durch NATO-Partner überzeugen. Deutsche Soldaten sind mit Patriot-Raketen hier in der Türkei stationiert, um eine Ausweitung des Krieges in die Türkei hinein zu verhindern. Umgekehrt setzt Deutschland auf die Kooperation der Türkei, wenn es gilt, die Einreise von Dschihadisten nach Syrien zu verhindern, auch und gerade, wenn sie aus Deutschland kommen. Gemeinsam drängen die Türkei, Deutschland und die übrigen NATO- Partner auf ein Ende der Kampfhandlungen in Syrien, auf ein Ende des Mordens, ein Ende der Verwüstungen und eine Bestrafung der Verantwortlichen. Wir setzen uns gemeinsam ein für eine politische Lösung und für eine Übergangsregierung, die den Wiederaufbau des Landes einleitet und den Millionen von Flüchtlingen eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht. Fortschritte sind allerdings nur in gemeinsamen Aktionen zu erreichen. Alleingänge dienen der Sache nicht und schüren zudem das Misstrauen unter Verbündeten.
Angesichts der jüngsten Entwicklungen ist es so offenkundig wie seit langer Zeit nicht mehr: Die Türkei braucht die westlichen Bündnispartner, um nicht in den Strudel der Ereignisse in den Nachbarländern zu geraten, um weiter Investitionen ins Land zu holen und um ungestört in andere Länder exportieren zu können. Eine Türkei, die sich selbst isolierte, würde sich selbst schaden. Umgekehrt brauchen Deutschland, Europa und die Vereinigten Staaten eine verlässliche und in sich ruhende Türkei als politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und militärischen Stabilitätsanker in der ganzen Region.
Es ist nicht zu bestreiten, dass in jüngerer Zeit Fortschritte rar waren im Prozess der Annäherung von Europäischer Union und Türkei. Die Beitrittsverhandlungen gerieten immer wieder ins Stocken. Auf beiden Seiten sind Stimmen zu hören, die ihren Sinn in Frage stellen. Gerade deshalb möchte ich Ihnen hier heute zurufen: Wir sollten jenen, die der wechselseitigen Entfremdung das Wort reden, keine Chance lassen. Das Interesse der Bürger aneinander ist ungebrochen – ja, es wächst sogar.
Zum Schluss möchte ich daher einer Hoffnung Ausdruck verleihen: dass sich das Streben nach mehr Wohlstand, mehr Teilhabe und nach verbindlichen Werten der Gesellschaft, dass sich die Kraft und Dynamik dieser großen Nation immer enger verbinden möge mit dem Einsatz für die universellen Menschenrechte. Wenn dies geschieht, werden wir eine großartige Entwicklungsdynamik sehen: Eine demokratische Türkei, verbunden mit den europäischen Werten einer freiheitlichen Demokratie, kann eine dauerhaft stabile Ordnung errichten, die Modellcharakter für die Nachbarländer und den arabischen Raum besitzt.
Und eine Europäische Union, die den Prozess der Annäherung glaubwürdig fortsetzt, kann sich konstruktiv einbringen und im Dialog weitere Reformen innerhalb der Türkei befördern.
Darüber rede ich bei meinem Besuch mit den Verantwortlichen, mit der Zivilgesellschaft und mit Ihnen.
Auch in diesem Zusammenhang wird die Devise wichtig, die Sie sich hier auf dem Campus gegeben haben: Nicht übereinander reden, sondern miteinander! Wir brauchen den Dialog – einen ehrlichen und offenen Dialog. Nur auf seiner Basis kann die Verständigung auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft gelingen.