Pressenotizen zur Rede Gaucks vor Studenten
- Geschrieben von Portal Editor
Steffen Seibert: "Die Bundesregierung unterstützt Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Auseinandersetzung mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdoğan.
Die von Gauck bei seinem Türkei-Besuch benannten Punkte besorgten auch die Bundesregierung. Da gibt es keinen Unterschied zwischen der Einschätzung des Bundespräsidenten und der Bundesregierung."
Gauck hatte bei einem Besuch in der Türkei Defizite bei der Meinungsfreiheit angesprochen und dazu aufgerufen, die Unabhängigkeit der Justiz und die Medien und Pressefreiheit zu schützen.
"Das sind Punkte, die wir entsprechend unseren Werten und Prinzipien ansprechen müssen", sagte Seibert. Seibert wies aber auch auf den "enormen Respekt" Deutschlands vor der Leistung des türkischen Volkes hin. Es gebe nicht zuletzt deshalb eine große Nähe zu dem Land, weil Millionen Menschen in Deutschland Wurzeln in der Türkei hätten. "Das ist die Basis unserer Partnerschaft und Freundschaft, zu der auch natürlich das offene Wort gehört", sagte er.
Thomas de Maizière, Innenminister (CDU) lobte Gauck für seine angemessen kritischen Äußerungen: "Ich bin stolz auf unseren Bundespräsidenten, der die deutsch-türkischen Beziehungen betont und seine Meinung offen gesagt hat".
.
Auch die Türkische Gemeinde stellt sich hinter Gauck
Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat die umstrittene Rede von Bundespräsident Joachim Gauck vor Studenten in Ankara verteidigt. "Er hat eine sehr ausgewogene Rede gehalten", sagte der Vorsitzende Kenan Kolat im ZDF-"Morgenmagazin" über den Auftritt Gaucks in der Türkei.
Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei?
Erdogan hatte tags darauf Gaucks Äußerungen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei genannt und über den Bundespräsidenten und ehemaligen protestantischen Pastor gesagt: "Anscheinend denkt er immer noch, er wäre ein Priester."
Kolat kommentierte die Äußerungen Erdogans als Reaktion auf Gaucks Rede im ZDF folgendermaßen: "Der türkische Ministerpräsident ist natürlich so bekannt, er polarisiert." Das deutsch-türkische Verhältnis sei stark und werde durch Gaucks Rede nicht nachhaltig belastet.
Der Online-Ausgabe der "Mitteldeutschen Zeitung" sagte Kolat: "Es geht nicht, dass man einen Bundespräsidenten so angeht. Das gehört sich nicht."
OSZE-Experte und ROG-Türkei-Korrespondent Erol Önderoglu: "Türkische Medienlandschaft ist zweigeteilt" - Vielen Journalisten drohen Strafanzeigen
Der Reporter ohne Grenzen-Korrespondent in der Türkei, Erol Önderuglu, hat am Dienstagabend bei einem Hintergrundgespräch im Concordia Presseclub das "vergiftete Medienklima" in der Türkei bemängelt. Ministerpräsident Reep Tayyip Erdogan habe es geschafft, die türkische Medienlandschaft zu spalten.
"Die Presse ist der Türkei stark zensuriert. Allein im letzten Jahr verloren mehr als 100 Journalisten ihren Job, weil sie kritisch über die Regierung berichtet hatten. Vielen Journalisten drohen zudem Strafanzeigen", empörte sich Önderoglu.
Önderoglu hat auch eine Erklärung dafür, warum dennoch so viele Menschen in der Türkei Erdogan wählen, obwohl es solche Repressionsmaßnahmen in Bezug auf soziale Medien wie Twitter, Facebook, YouTube usw. gibt. "Zum einen muss man sagen, dass sich die Türken denken, dass es keine wirklichen Alternativen zur AKP (Adalet ve Kalkinma Partisi) gibt und zum anderen wollen sie nicht in frühere Muster einer Koalitionsregierung zurück." Derzeit sei die seit 2002 fest im Sattel sitzenden AKP-Leute nicht gefährdet.
Dass die jungen Menschen in der Türkei ihren Frust über Erdogan in sozialen Medien loslassen, wundert Önderoglu nicht. Wo immer jedoch in der Region etwas im Westen Verbreitetes verboten wird, finden die prowestlichen Bürger wie jene in der Türkei und im Iran Mittel und Wege, diese Verbote zu torpedieren. Erdogan hatte Ende März zwar offiziell den Zugang zu Twitter gesperrt, damit aber nicht bewirkt, dass die Türken nicht mehr twittern. Die Twitter-Sperre wurde von einem türkischen Gericht wie berichtet wieder aufgehoben.
Peinliche YouTube-Mitschnitte
Hauptgrund für Erdogans Antipathie gegen die modernen Medien waren für ihn peinliche Youtube-Mitschnitte, die im Netz kursieren. Zu hören ist angeblich, wie er seinen Sohn auffordert, große Geldsummen vor Korruptionsermittlern in Sicherheit zu bringen. Aufgeben will Erdogan auch nach der erneuten Freischaltung von Twitter nicht. "Twitter und solchen Sachen werden wir mit der Wurzel ausreißen. Was dazu die internationale Gemeinschaft sagt, interessiert mich überhaupt nicht", so der türkische Politiker, der damit jene Töne anschlägt, die man aus den Freitagsgebeten in Teheran gewohnt ist.
Dort wettern Kleriker wie der ultrakonservative Hardliner Ahmad Jannati seit Jahren gegen eine "kleine schwarze Box (Laptop, Anmerkung), mit deren Hilfe sich die Menschen mit der sündigen westlichen Welt verbinden, um Unheil und Verruchtheit über uns zu bringen".
Missstände und Repressalien
Önderoglu hat eine ganz klare Botschaft an die europäischen Medienvertreter. Er will auf die Missstände und die schwierigen Bedingungen, unter denen regierungskritische türkische Journalisten berichten müssen, hinweisen. Der Regierungsapparat habe ohnehin ein großes Netzwerk an regierungstreuen Medien installiert, die ausschließlich "Erdogan nach dem Mund reden würden". Darüber hinaus müssen sich die regimekritischen Journalisten ständige Repressalien gefallen lassen", resümierte der Experte. (APA, 30.4.2014) Press Freedom Watchdog
Gauck selbst wies in Istanbul die Kritik des türkischen Premierministers zurück. „Ich habe mir erlaubt, das zu tun, was ich immer tue. Nämlich die kritischen Themen, die in einer Gesellschaft diskutiert werden, aufzunehmen.“ Er habe sich im Vorfeld ausführlich mit den Konflikten in der Türkei auseinandergesetzt und sich mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgetauscht. „Ich habe getan, was meine Pflicht ist. Und ich bin eher zurückhaltend gewesen bei meinen Anmerkungen.“ Unklar blieb, wie diese ausgesehen hätten, hätte er diese „Zurückhaltung“ nicht an den Tag gelegt.