Investment - EIB leiht Türkei 200 Mio. für Marmaray-Projekt
- Geschrieben von Portal Editor
- ist die Sicherheit für Arbeitnehmer hier gewährleistet?
Vor 10 Jahren hatte die Meldung: "Die Europäische Entwicklungsbank (EIB) schießt der Türkei weitere 200 Mio. Euro für das „Jahrhundertprojekt“ Marmaray vor" kaum für irgendeine Resonanz in der Öffentlichkeit gesorgt, zu massiv und geradezu Menschen verachtend waren die Aussagen einiger türkischer Politiker und die Vorgehensweise der Polizei gegenüber Protesten in Hinsicht auf den massenhaften Tod von Bergbauarbeitern in der Kohlegrube von Soma. Eindeutig gehen die Ursachen hierfür auf mangelhafte Arbeitsbedingungen, Sicherheitsausstattungen sowie auf Bildung und Ausbildung von Bergleuten zurück, auch wenn die Untersuchungen längst nicht abgeschlossen sind. Einmal mehr zeigt sich aber auch, wie sehr eine starke Gewerkschaftsorganisation zum Schutz der Arbeiter in der Türkei, wie in vielen anderen Ländern auch, grundsätzlich fehlt.
In sicherlich vorhandener Kenntnis dieser Arbeitsplatzverhältnisse, die nicht allein für den Bereich Bergbau gelten, bleibt die Frage, ob nicht zumindest auch eine Mitverantwortung bei den Geldgebern zu sehen ist? Gibt es überhaupt eine Kontrolle hinsichtlich der Arbeits- und Sicherheitsbedingungen bei der Vergabe von Geldmitteln für Großprojekte, die, wie sich einmal mehr zeigt, mehr als dringend erforderlich wäre. Müssen immer erst Leid und Tod über die beteiligten Menschen hereinbrechen, bevor man Verantwortung in der Form wahrnimmt, das mit dem Kapital auch entsprechende Bedingungen an die Arbeitsplätze einhergehen müssen? Mal sind es Textilarbeiter, die in Fabriken für kargen Lohn arbeiten müssen, deren Arbeitsumgebung keinerlei Anforderungen an sicheren Arbeitsplätzen entspricht, dann sind es Unterkünfte, die im Winter in Flammen aufgehen und Bauarbeiter verbrennen, jetzt ist es die Kohlegrube in Soma. Dieses reine Profitdenken sichert den Reichtum für einige wenige während andere "Schicksalsschläge" erleiden, die ihr Leben zerstören.
Bereits am 14.05.2014 hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in seinem Land mit einem Vergleich aus dem 19. Jahrhundert heruntergespielt: "Solche Unfälle passieren ständig. Ich schaue zurück in die englische Vergangenheit, wo 1862 in einem Bergwerk 204 Menschen starben. Liebe Freunde, in China sind 1960 bei einer Methangasexplosion 684 Menschen gestorben."
Warum verbindet man nicht die Vergabe riesiger Investmentsummen mit Auflagen zur Arbeitssicherheit und Kontrolle derselben durch unabhängige Stellen. So zumindest könnte in kleinen Schritten etwas mehr an Sicherheit für Arbeitnehmer entstehen.
Ob Herr Ballekom auch weiß, wie die ausführenden Arbeitnehmer leben, unter welchen Bedingungen sie täglich arbeiten müssen und welchen Anteil an den Großinvestitionen sie für ihre Arbeit erhalten?
Das Marmaray-Projekt gehört zu den Lieblingsvorhaben des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan. Ende Oktober 2013, bewusst am 90. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik, wurde der Tunnel für die Bahn frei gegeben. Mit großem Pomp und unter Beisein einiger Staatschefs feierte man die Eröffnung, darunter war auch der japanische Regierungschef Shinzo Abe.
Ganz ohne Pannen ging aber auch die Premiere des Marmaray-Projekts nicht über die Bühne. Zwei Tage nach der Eröffnung der ersten Teilstrecke kam es zu den ersten Pannen. Die S-Bahnen der „Marmaray“-Verbindung blieben wegen Stromausfall vorübergehend stehen. Stromausfälle sind ein relativ häufiges Phänomen in der 15-Millionen-Metropole und wie jeder Türkeifahrer weiß, nicht nur dort.
Marmaray ist als Teil des paneuropäischen Verkehrskorridors IV projektiert. Auch die im Bau befindliche Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen Istanbul und der Hauptstadt Ankara zählt zu diesem Vorhaben und wird von der Europäischen Entwicklungsbank finanziert um die Transportinfrastruktur zwischen Europa und der Türkei zu stärken. Vorhaben also, die durchaus im beiderseitigen Interesse liegen. Dafür hat die europäische Bank in den vergangenen zehn Jahren rund 2,6 Mrd. Euro auf den Tisch gelegt.
"Das ist kein Unfall, kein Schicksal, sondern Mord und Massaker", wird vor der Geschäftszentrale der für die Grube verantwortlichen Soma Holding in Istanbul skandiert.
Der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP wird vorgeworfen immer eine schützende Hand über die Betreiberholding gehalten zu haben, Tausende demonstrierten aufgrund dessen in Ankara, Istanbul und Izmir gegen die Regierung. Mit der AKP-Mehrheit war Ende April im Parlament ein Antrag der Opposition zur Untersuchung der Arbeitsunfälle aus 2012 und 2013 in der Grube in Soma abgeschmettert worden. Der Entwurf selbst wurde Ende 2013 vom CHP-Abgeordneten der Provinz Manisa, Özgül Özel, eingereicht. Dabei wurde die Untersuchung der Unfälle der vergangenen zwei Jahre gefordert, bei dem es ein Todesopfer und viele Verletzte gegeben hatte. Auch sah der Entwurf vor, Präventivmaßnahmen und ein Monitoringverfahren für die unzureichenden staatlichen Kontrollen zu etablieren.
Im September 2012 hatte der Chef der Soma Holding, Alp Gürkan, in einem Interview stolz verkündet, dass er die Kosten in dem Bergwerk nach dessen Übernahme aus Staatsbesitz deutlich habe senken können. Das berichtet die Zeitung "Hürriyet Daily News". Die Produktionskosten pro Tonne Kohle seien von bis zu 140 Dollar (knapp 102 Euro) pro Tonne auf nun knapp 24 Dollar (knapp 17,50 Euro) gesenkt worden.
Und die Menschen und Arbeiter von Soma – wie geht es für sie weiter? Und anderswo?
Auch die Gruben der Ukraine zählen zu den gefährlichsten der Welt. Hier forderten Grubenunglücke zwischen 1991 (in diesem Jahr wurde sie von der UdSSR unabhängig) und 2002 mindestens 3.700 Todesopfer.
In der Türkei starben nach Angaben des türkischen Arbeitsministeriums allein in den neun Jahren bis 2014 mehr als 11.000 Menschen bei rund 730.000 Arbeitsunfällen; so kamen im Jahre 2010 durchschnittlich vier Bergleute pro Tag ums Leben.
Es ist die Schattenseite des Booms am Bosporus: Tödliche Arbeitsunfälle gehören in der Türkei zum Alltag. Europaweit hält das Land den tragischen Rekord. Die Regierung handelt nur halbherzig, die Gewerkschaften sind machtlos.
Zu alltäglich geworden sind die Meldungen über tödliche Arbeitsunfälle in der Türkei. Nirgendwo in Europa passieren sie häufiger als hier, weltweit rangiert das Land laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO auf dem dritten Platz.
Erst im Januar starben acht Bergarbeiter bei einer Gasexplosion im nordtürkischen Kozlu. Schon 2011 hatten staatliche Kontrolleure erhebliche Sicherheitsmängel in dem Bergwerk festgestellt - doch geschlossen wurde es nicht. Auch das Bergwerk war in staatlicher Hand, wurde jedoch von einem Subunternehmen betrieben. Die Opfer waren unerfahrene Leiharbeiter, die ohne Sicherheitstraining in die Mine geschickt wurden.
Das System von Subunternehmen ist in der Türkei weit verbreitet: Große Konzerne oder staatliche Unternehmen lassen ihre Aufträge von kleineren, billigeren Firmen ausführen. Ihre Beschäftigten sind meist ungelernte Wanderarbeiter, oft werden sie unter Mindestlohn bezahlt und nicht versichert. Neun von zehn Unfällen passieren in diesem Schatten-System.
Serkan Öngel von der linksorientierten Gewerkschaft DISK sagt dazu: "Die Arbeitslosigkeit in der Türkei ist sehr hoch, und Arbeiter haben Angst ihren Job zu verlieren, wenn sie ihre Rechte einfordern. Gewerkschaften stehen unter großem Druck, Petitionen und Streiks sind nur in Ausnahmesituationen erlaubt. Arbeitern wird reihenweise gekündigt, weil sie Mitglied einer Gewerkschaft sind. Und wenn sie protestieren, werden sie von der Polizei verprügelt oder festgenommen."
Politiker fast aller Parteien haben sich in Deutschland gegen den für nächsten Samstag geplanten Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan in Köln ausgesprochen. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, mit seiner Reaktion auf das Grubenunglück verwandele Erdogan die tiefe Trauer vieler Türken in Wut. Der Regierungschef könne jetzt nicht einfach Wahlkampf machen.
Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) forderte Erdoğan auf, seine Rede abzusagen. "Ich halte den Besuch in Ablauf und Inhalt für abwegig und unangemessen", sagte er der Zeitung WAZ. "Der Besuch kommt einem Missbrauch des Gastrechts nahe." CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte Spiegel Online: "Erdoğan darf seine Wahlkampfschlachten nicht nach Deutschland verlagern."
Viele wichtige Signale, ganz ohne Frage! Allerdings bleibt nach wie vor offen, was in der politischen Arbeit und Ausrichtung hinsichtlich der Finanzierung von Großprojekten geändert werden muss, um die ausführenden Arbeitskräfte vor Raffgier und Ausbeutung, vor Profitsucht und Habgier zu schützen. Längst ist dies keine innere Angelegenheit in die Unabhängigkeit von Staaten als Einmischung in die inneren Angelegenheiten mehr. Auch hier gilt das so oft genutzte Wort "Globalisierung", zum Schutz von Menschenleben!
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