Erneut ein abscheulicher Ehrenmord in der Türkei
Und erneut fragt man sich, wie ist das in einer doch grundsätzlich modern eingestellten Gesellschaft immer noch möglich und wie eigentlich äußern sich die Vertreter des religiösen Glaubens in der Beurteilung dieser abscheulichen Tat vor dem Hintergrund Ehrenmord?
Hatice D. war gegen ihren Willen im Alter von 13 Jahren mit einem ihr unbekannten, älteren Mann verheiratet worden, trotz bestehender Gesetze, die dies ausdrücklich untersagen, so meldet die Nachrichtenagentur Anadolu. Nach einem Jahr ständiger Gewalttätigkeiten und sexueller Übergriffe ihres Ehemannes war die Familie mit der Scheidung der Ehe einverstanden und Hatice dann in ihre Familie zurückgekehrt. Als bereits «entehrte» und «verbrauchte Frau» hatte Hatice jegliche Privilegien und Respekt, sofern diese je vorhanden waren, eingebüßt. Sie war „Freiwild“. Anadolu berichtet weiter von der Vergewaltigung Hatices durch zwei ihrer Cousins, woraufhin sie schwanger geworden sei. Nach einer Beratung des Familienrats, in welcher Zusammensetzung auch immer, wurde die jetzt im vierten Monat schwangere Hatice auf Beschluss ihrer Familie durch Ertränken ermordet. Die Leiche des Mädchens wurde anschließend in einem Fluss nahe der südostanatolischen Batman „entsorgt“, wo der Leichnam gefunden wurde. Erst viel später kann die Leiche durch Autopsie identifiziert werden, da sie ursprünglich für etwa 20-jährig geschätzt und somit nicht mit den Vermisstenlisten in Einklang zu bringen war.
Mitarbeiterin der Frauenhilfsorganisation KADEM
Am vergangenen Wochenende, so berichtet Anadolu weiter, protestierten Hunderte von Frauen auf dem Friedhof von Diyabakir gegen die unwürdige Form der Bestattung und natürlich auch gegen den Ehrenmord selbst.
Im Rahmen von Staat und Religion ein endgültiges Ende setzen
In den noch laufenden Mordermittlungen sind zwischenzeitig sieben Familienmitglieder festgenommen worden. Laut Anadolu gehören zu den Verdächtigen auch Hatices Großvater sowie auch zwei ihrer Onkel. Die mutmaßlichen Cousins, denen Vergewaltigung vorgeworfen wird, befinden sich derzeit auf der Flucht.
Es ist einfach unfassbar, warum es trotz der Verbote immer noch Verheiratungen von minderjährigen Kindern, insbesondere auch noch gegen ihren eigenen Willen, gibt. Wie es auch nicht zu verstehen ist, warum den sogenannten Ehrenmorden nicht im Rahmen von Staat und Religion ein endgültiges Ende gesetzt werden kann. Ausdrücklich sind gerade in solchen Fällen die religiösen Vertreter zum Handeln aufgefordert.
Zum besseren Verständnis so genannter Ehrenmorde
In der Mehrzahl der Fälle sind die Opfer weiblich und die ausführenden Täter männliche Familienmitglieder, es sind aber auch Männer als Liebhaber einer Frau oder Homosexuelle gefährdet und auch Frauen kommen als Täter in Betracht. Derart motivierte Morde sind in archaischen, von Stammestraditionen bestimmten Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten am häufigsten zu finden. Obwohl sie einer vorislamischen Tradition entstammen, treten sie in islamischen Kontexten, besonders in Staaten mit Scharia-Gesetzgebung im Nahen und Mittleren Osten sowie Pakistan vermehrt auf, lassen sich aber ebenfalls in nicht-muslimischen Regionen in Indien oder Lateinamerika nachweisen. Sogenannte „Ehrenmorde“ kommen auch vereinzelt in europäischen Ländern mit hohem Zuwandereranteil aus den betreffenden Gebieten vor.
Ehrenmorde kommen gehäuft in armen Ländern und hier in Gemeinschaften, die besonders von Exklusion bedroht sind, vor. Eine Umfrage unter türkischen Studenten zeigte allerdings, dass sie auch in gebildeteren Kreisen nicht selten als legitim angesehen werden. In allen betroffenen Kulturen und Religionen sind die Opfer überwiegend Mädchen und Frauen. Einem Bericht der pakistanischen Menschenrechtskommission zufolge waren 28 von 36 (78 %) in einem Monat registrierten (Ehren-)Mordopfern weiblich.
Ehrenmorde sind im Wesentlichen ein Phänomen der Gesellschaften Nordafrikas, des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens. Viele dieser Gesellschaften besitzen eine islamische Bevölkerungsmehrheit; allerdings hat der „Ehrenmord“ in der islamischen Gesetzgebung, der Schari'a, keinerlei Basis. Er fällt somit nach islamischer Erkenntnis in die Kategorie des Mordes, der laut Schari'a die Todesstrafe zur Folge hat. Schätzungen zufolge finden weltweit etwa 90 % aller Ehrenmorde in islamischen Familien oder Gemeinschaften statt.
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