Du sollst Dein Volk so fürchten, wie Du auch Gott fürchtest
- Geschrieben von Portal Editor
Dieser Spruch, in türkischer Sprache auf einem Garagentor in Istanbul fixiert, der grundsätzlich überall auf der Welt und gleichgültig jeder religiösen Ausrichtung oder Weltanschauung gilt, scheint in derTürkei eine völlig andere Auslegungsrelevanz zu besitzen.
Hier zählt nach wie vor nur die parteipolitische Auslegungsrichtung einer, wenn auch zu 50% vom Volk gewählten Partei, wie das Volk zu denken und sich zu verhalten hat. Da gibt es doch tatsächlich einen angeblich die bürgerliche Freiheit eines jeden Einzelnen garantierenden Politiker, der die Augen vor der Realität verschließt und nicht erkennen will, das sein Volk, ja selbst große Teile seiner eigenen Wählerschaft längst nicht von linken Splittergruppen oder gar Terroristen unterwandert (wie immer noch behauptet wird), sich zu den Kundgebungen und Demonstrationen begeben. Da wird nach wie vor behauptet, dass diese Elemente gar vom Ausland gesteuert werden. Wie weltfremd und verblendet muss man eigentlich sein, die tatsächliche Situation so unrealistisch einzuschätzen. Wie sonst kann man fordern, dass „Die Demonstrationen längst ihre demokratische Legitimation verloren hätten und in Vandalismus umgeschlagen seien“.
Oder geht es längst um uneingeschränkten Machterhalt?
Der bundesdeutsche Außenminister Westerwelle stellt nicht zu Unrecht fest: „Dies ist eine Bewährungsprobe für die türkische Regierung, Europa und der Welt zu zeigen, dass die Herrschaft des Rechts und die Freiheitsrechte ihr etwas gelten" und weiter: „Ministerpräsident Erdogan hat eine besondere Verantwortung, die Lage zu beruhigen. Dieser Verantwortung muss er sich bewusst sein" besser wäre hier „sich bewusst werden“. Aber wenn Pressefreiheit mit Füßen getreten wird und Medien gleichgeschaltet werden oder zu regierungsnahen Firmen Konglomeraten zählen, dann funktioniert auch die objektive Berichterstattung nicht mehr. Warum sonst hat es zwei Tage gedauert, bis sich große Teile der türkischen Medien endlich um das Geschehen auf der Straße gekümmert haben. Welch ein Glück, das es mittlerweile einige Medienvertreter gibt, die sich ihrer eigentlichen Aufgabe der objektiven Berichterstattung bewusst geworden sind und zu den Vorgängen auf den Straßen und Plätzen berichten und mit Bild und Filmmaterial belegen.
Unter dem Titel „Was passiert in der Türkei“, hatten Demonstranten eine ganzseitige Anzeige in der New York Times veröffentlichen lassen. Kontinuierlich sind in den letzten 10 Jahren die persönlichen Rechte und Freiheiten der Bürger beschnitten und eingeengt worden. Journalisten, Künstler und teilweise sogar Beamte sind unter fadenscheinigen Terrorismusanklagen festgenommen worden, Rede- und Meinungsfreiheit wurden beschränkt. Dies zeigt sich auch und besonders bei den Rechten von Frauen und anderen Minderheiten. Was wird aus der Demokratie, was aus der Bevölkerung, gibt es eine Spaltung im Volk?
Längst melden sich die obligatorischen Türkeiskeptiker in Europa zu Wort, die aufgrund der polizeilichen Gewalt gegen friedliche Demonstranten Gründe suchen und finden, den langfristigen EU Beitritt der Türkei zu verhindern: „Dieses Verhalten hat deutlich gemacht, dass die türkische Regierung weit weg ist von dem Verständnis von Demokratie, Menschenrechten, Religionsfreiheit und Freiheit generell, wie wir es in Europa haben“, sagte Frau Hasselfeldt (CSU) in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Sie betonte: „Ich bin bestärkt in der Ansicht, dass die Türkei in der EU als Vollmitglied nicht vertreten sein soll“.
Ob dies aber gerade in der momentanen Situation der Beschimpfungen der türkischen Bevölkerung als Terroristen, Vandalen, Marodeure, Lumpen, Gesindel und Alkoholiker durch die Führungselite der Türkei den Menschen selbst hilfreich sein kann, bleibt die große Frage. Hilfreich für die Menschen an dieser Stelle wäre eher der politische Druck auf die Regierungspartei AKP und deren Vertreter von Seiten ausländischer Politiker.
Wo bleiben Verlautbarungen all der vorhandenen europäischen Städtepartnerschaften mit türkischen Städten und Gemeinden, die wir gerade so beispielhaft während des Deutsch-Türkischen Freundschaftsfestes erleben konnten. Dabei sollte doch gerade jetzt der Protest besonders aus diesen städtepartnerschaftlichen Beziehungen kommen. Oder geht es immer noch nur um wirtschaftliche Beziehungen, wenn sich die Bürgermeister treffen und ihre Freundschaft bekunden? Wo bleiben in Bezug auf Izmir die Proteste aus der Partnerstadt Bremen? Längst ist wohl eindeutig belegt, welcher Art die Proteste tatsächlich sind.
Überall in der Welt gibt es bei Protesten einige wenige Demonstranten und Randale Macher, die Steine werfen, genau wie es Schlägertrupps auf der Seite der Polizei gibt, die aus dem Schutz der Polizei heraus massiv auf Demonstranten losprügeln, um dann wieder in den Schutz der Polizeigruppen zurückkehren. Beides ist nicht zu tolerieren und muss gerichtlich verfolgt werden. Aber ein Rechtsstaat würde solche Vorgänge sofort unterbinden, allein schon um sich vom Vorwurf des Beugens von rechtsstaatlichen Mitteln zu befreien. Hier ist aber das Gegenteil der Fall. Zur Vermeidung der Erkennbarkeit von Polizeinummern werden diese überklebt, ja die Übergriffe der letzten Nacht zeigten gar das Ersetzen der Dienstmützen durch weiße, neutrale Helme ohne Dienstnummer.
Es wird Zeit für eine liberale, der Natur und Umwelt verbundene Partei, die zwischen den altbackenen Kemalisten und den nicht minder einseitig orientierten Interessen der AKP eine Basis für den modernen und fortschrittlich denkenden Bürger der Türkei sein könnte. Vielleicht führen die momentanen Proteste zumindest zu diesem Ergebnis. Oft schon haben wir Parallelen zur Entwicklung in der Bundesrepublik und anderen Staaten gezogen, wo in den 70er Jahren auch erst nach massiven Polizeieinsätzen bürgerliche Grundrechte durch neue politische Gruppierungen wirklich umgesetzt werden konnten. Die Kluft zwischen den säkularen und den religiösen Gruppen in der Bevölkerung jedenfalls sind so tief wie nie.
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Bislang hat sich nur Claudia Roth von den Grünen wirklich ernsthaft in den Konflikt eingeschaltet, der mit der von Erdogan geplanten Großkundgebung in Istanbul heute Abend die nächste Eskalationsstufe erreichen kann. Sie hat auf ihrer Flucht vor der Polizei in das Divan Hotel selbst die massive Gewalt des Polizeieinsatzes durch Tränengas zu spüren bekommen. Selbst in das Divan Hotel hinein werden die Wasserkanonen gerichtet, auch das Deutsche Krankenhaus wurde massiv angegriffen.
Ist das noch alles noch mit rechtsstaatlichen Maßstäben zu vertreten? Wo bleibt hier der massive Aufruf deutscher Politiker zur Mäßigung? Wo bleiben die Proteste deutscher Investoren und Wirtschaftsvertreter, deutscher Urlauber und Reiseveranstalter?
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