Taraf - Scharfe Steuerprüfung nach Unterstützung der Proteste in der Türkei
Für viele aktiv Beteiligte der Juni-Demonstrationen, aber auch für unbeteiligte Journalisten und Fotografen haben die Demonstrationen in Istanbul, Ankara undIzmir im Juni und Juli dieses Jahres ein erhebliches Nachspiel.
Kann man polizeilich, besser gerichtliche Strafmaßnahmen gegen Demonstranten, die fremdes Eigentum zerstören und die Polizei mit Steinen oder Molotowcocktails bewerfen, nur zu gut nachvollziehen, muss der gleiche Grundsatz bei friedlichen Demonstrationen allerdings auch für Polizisten gelten, die ihre Uniform als Tarnung nutzten, um wahllos auf Demonstranten einzuprügeln.
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Ganz anders sieht es dann bereits aus, wenn Journalisten und Fotografen, die grundsätzlich zur Berichterstattung vor Ort sind, in die Auseinandersetzungen hineingezogen werden und dann aufgrund ihrer Berichterstattung auch noch ihre Kündigungen von Seite der Medienmogule erhalten, die der Regierung nahe stehen. Dies sind eklatante Eingriffe in die Pressefreiheit, die von der Organisation "Reporter ohne Grenzen" nicht ohne Grund angemahnt werden. Hier bieten auch die Urteile im so genannten Ergenekon-Prozess weitere Beispiele, wo im Rahmen der Gesamtverurteilungen auch 12 Journalisten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Jetzt muss auch der türkische Großkonzern Koc Holding mit staatlichen Maßnahmen aufgrund der Unterstützung der Demonstranten in Istanbul in Form von verschärften Steuerkontrollen rechnen. Mehrfach hatte man von Seiten des Konzerns die brutale Vorgehensweise der islamisch-konservativen Regierung gegen die politisch motivierten Proteste kritisiert. Von Seiten der oftmals gut informierten türkischen Tageszeitung "Taraf" hieß es in der letzten Woche, dass das Finanzministerium eine aus 200 Experten bestehende Gruppe von Inspektoren zusammengestellt habe, deren Aufgabe darin besteht, den Konzern zu durchleuchten. Schwerpunkte dieser Armee von Prüfern sollen die Bereiche Energieversorgung in der Koc Holding sein, zu denen Tüpras, Opet und Aygaz gehören.
Auf dem Höhepunkt der regierungskritischen Proteste rund um den Istanbuler Gezi-Park hatte das zur Koc-Gruppe gehörende Divan-Hotel am Taksim-Platz die Türen für die von der Polizei heftig attackierten Demonstranten geöffnet, um Schutz zu gewähren. Zu den seiner Zeit betroffenen Personen zählte auch die Grünen-Politikerin Claudia Roth. Damit hatte die Koc-Gruppe allerdings Kritik aus der Regierung auf sich gezogen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht nach eigenen Angaben bei den Protesten Verschwörer am Werk, die die Türkei im Auftrag einer "Zins-Lobby" destabilisieren sollen.
Mustafa Koc, der Chef des Familienkonzerns, hatte die Haltung seiner Gruppe in der vergangenen Woche mehrfach verteidigt. "Es gab viele Behauptungen, wonach wir als Besitzer der Koc Holding Teil einer großen Verschwörung zur Zerstörung der Türkei sind", sagte er. Dem widerspreche er auf das Deutlichste. Koc erklärte, Frieden und Stabilität seien wichtigste wichtige Voraussetzungen für das Wohlergehen des Landes. Er fragte auch direkt an die Medien gerichtet, ob alte Frauen und junge Leute unter den Demonstranten wirklich eine Gefahr für den Staat seien.
Die Koc-Gruppe hat in den vergangenen Monaten bereits mehrere große Aufträge verloren, darunter ein Rüstungsprojekt der türkischen Marine im Umfang von 2,5 Milliarden US-Dollar (etwa 1,9 Milliarden Euro). Die türkische Tageszeitung "Hürriyet" berichtete am Donnerstag, US-Vertreter hätten sich bei einem Besuch türkischer Oppositionspolitiker in Washington über die Untersuchungen des Koc-Konzerns informiert. Zusätzliche Finanzkontrollen und Qualitätsprüfungen haben demnach bereits vor einiger Zeit begonnen.