Erdogan - Einmischung in die Privatsphäre
- Geschrieben von Portal Editor
Erst vor kurzem hallte der Aufschrei von Frauenrechtsgruppen durch die Türkei, der selbst bis zum Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung im Europarat vordrang und für Besorgnis und Unverständnis sorgte, als die Initiative der türkischen Regierung hinsichtlich eines Abtreibungsverbotes bekannt wurde.
Mit der Erklärung, die Abtreibungsfrist von jetzt bestehenden 10 Wochen auf vier Wochen zu kürzen, was de facto ein Abtreibungsverbot bedeuten würde, gab es heftige Proteste, auch weltweit. In einem neuen Gesetzesentwurf blieb die Frist bis zur zehnten Schwangerschaftswoche aufgrund der Proteste bestehen, türkische Frauen, die sich jedoch nach der zehnten Schwangerschaftswoche einer medizinisch unnötigen Abtreibung unterziehen, könnte künftig eine Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren drohen. In jedem Fall muss der Nachweis einer psychologischen Beratung beigebracht werden.
Davor gab es sehr konkrete Einmischungen in die Familienpolitik in Hinsicht auf die Anzahl der Kinder. Mindestens drei Kinder soll jede Frau gebären, sonst drohe der türkischen Wirtschaft auf lange Sicht der Bankrott. Ein Wörtchen mitreden will die türkische Regierung auch, wenn es um das Thema Alkoholkonsum geht. Es wird nicht nur versucht, die Bürger durch massive Steuererhöhungen zur Abstinenz zu zwingen. Seit kurzem ist eine strikte Alkoholgesetzgebung für den Verkauf und die Bewerbung von Alkoholprodukten in Kraft, Sponsoring von öffentlichen Veranstaltungen ist komplett untersagt. Auch werden im Umkreis von 100 Metern um Moscheen herum keine Lizenzen zum Alkoholausschank für neue Kneipen mehr gewährt.
Doch schon folgt der nächste Schritt: Weibliche und männliche Studenten sollen nicht gemeinsam leben. Wohngemeinschaften ade! Privatsphäre ade!
Erdogan kritisiert gemischte Studentenwohnheime!
„Studentinnen und Studenten können nicht in einem Haus wohnen, das widerspricht unseren konservativ-demokratischen Strukturen“, sagte Erdogan laut Medienberichten vor Mitgliedern seiner islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) in Ankara. Auch die türkische Hürriyet zitiert Premier Erdoğan während einer Klausurtagung der AKP in Kızılcahamam am 3. November in fast gleichem Wortlaut. Man habe das Problem besonders in der Provinz Denizli beobachten können.
Grund für diese Situation sei allerdings überwiegend die Unzulänglichkeit der derzeitigen Unterbringungsmöglichkeiten für Studenten. Allein deshalb würden männliche und weibliche Studenten im gleichen Haus wohnen. Das sei vorher nicht genügend geprüft worden.
Mittlerweile wurde auch der Gouverneur von Denizli hinzugezogen. Er solle die Angelegenheit nun prüfen. Erdogan kündigte auch an, „auf die eine oder andere Weise“ die Situation in den immer seltener werdenden gemischten Wohnheimen zu überwachen.
Die säkulare Republikanische Volkspartei (CHP) forderte eine Erklärung, was Erdogan genau meine. „Wollen Sie mit Überwachung sagen, dass Sie, wie es die Sittenpolizei im Iran tut, die Kleidung der Studenten kontrollieren wollen?“, fragte der einflussreiche CHP-Abgeordnete Umut Oran mit Blick auf die Äußerungen Erdogans. „Ist das nicht ein Eingriff in die Privatsphäre? Die Studenten sind alt genug, um über ihr Leben zu entscheiden“, betonte der Oppositionspolitiker. Viele Nutzer von Internetforen äußerten sich ähnlich.
Insgesamt ist die Sprache der Politik in der Türkei sei sehr „maskulin und aggressiv“, stellte türkische Schriftstellerin Elif Şafak im Sommer fest. Erdogan wird seit langem vorgeworfen, die schleichende „Islamisierung“ der Gesellschaft zu verfolgen. Warum sich gerade Themen, wie die aktuelle Anti-Alkohol-Gesetzgebung, die es in ähnlicher Weise auch in zahlreichen europäischen Staaten gibt, derart hochgeschaukelt haben, erklärt sie wie folgt: „Die Menschen haben kein Vertrauen. Sie sind argwöhnisch.“ Überall würden Verschwörungstheorien gewittert. Doch in erster Linie sei es eine konkrete Angst: „Sie sorgen sich, dass ihr Lebensstil verändert werden könnte.“
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