Alter St. Pauli-Elbtunnel und die "Rote Flora"
- Geschrieben von Portal Editor
Unser Besuch in Bremen neigte sich dem Ende entgegen, zwei weitere Termine in Hamburg machten den Kurztrip in die naheliegende Hansestadt notwendig, den wir am Vormittag über die Autobahn A1 schnell erledigen konnten.
Durch den Elbtunnel ging unsere Reise hinein in den Stadtteil Hamburg Altona, wo wir direkt am Bahnhof Altona das Fahrzeug parken konnten. Unsere Mitfahrerin Laura hatte sich bereit erklärt, uns das Schanzenviertel zu zeigen, hier insbesondere das autonome Kult- oder Kulturzentrum "Rote Flora" im Restgebäude des ehemaligen Flora-Theaters am Schulterblatt 71.
1855 kaufte der Gastronom H.F.P. Schmidt das Gelände, ließ eine neue Bühne und einen dazugehörigen Fachwerkrundbau errichten. Im Garten wurden ein Teich, diverse Schaukeln, Tierkäfige und auch Karussells für die Kinder angelegt. Das Gelände wurde 1859 als „Schmidt’s Tivoli“ eröffnet und soll zu diesem Anlass 4.000 Besucher gehabt haben. Das Programm auf der Bühne bot Possen, Lustspiele und Opern. Ein neuerlicher Besitzerwechsel brachte 1869 die Neugestaltung und Umbenennung in „Damm's Tivoli“ mit sich. Nun wurden „Brillantfeuerwerke und italienische Nächte“ geboten.
Gesellschafts- und Concerthaus Flora
Am Anfang des Jahrhunderts wurde die Vergnügungsstätte durch den Operettenkomponisten Paul Lincke mit dem so genannten Flora-Marsch bedacht:
- „Dora - komm in die Flora,
- die so viele Reize hat.
- Sie liegt am Schulterblatt,
- ist ganz in deiner Näh’,
- das schönste Varieté“
1987 wurde der Musical-Produzent Friedrich Kurz auf das Gebäude aufmerksam. Kurz trat an die Stadt Hamburg mit dem Wunsch heran, das Gebäude zum Musical-Theater umzubauen. Er wollte ab 1989 das Musical "Das Phantom der Oper" dort zur Aufführung bringen. Innerhalb weniger Monate regte sich vielfältiger Widerstand gegen die Musicalpläne. Ein Bündnis von Anwohnern, Gewerbetreibenden und autonomen Gruppen organisierte vielfältige Proteste. Es wurde die Sorge formuliert, dass mit einem Musicaltheater an dieser Stelle Mieten für Gewerbe und Wohnraum steigen würden.
Nicht verhindert werden konnte der Abriss des größten Teils des historischen Floratheaters im April 1988, insbesondere des denkmalgeschützten Crystallpalastes von 1890. Lediglich der Eingangsbereich sollte erhalten werden, dahinter sollte ein Neubau mit der neuen Musicalspielstätte entstehen. Doch zahlreiche Aktionen, eine Platzbesetzung im Juni 1988 und militante Anschläge gegen die Baustelle führten im September 1988 dazu, dass trotz täglicher Polizeibewachung die Investoren das Musicalprojekt zumindest an dieser Stelle aufgaben.
Bis zum Sommer 1989 stand das Restgebäude leer.
Nachdem am 23. September 1989 die Rote Flora offiziell eröffnet wurde, wurde sie dann am 1. November 1989 für besetzt erklärt. Seitdem wird das Gebäude als kultureller und politischer Treffpunkt genutzt. Es gibt keine bezahlten Stellen, keine Fördergelder, die Belange des Projekts werden im Rahmen der Selbstverwaltung organisiert. Nach einem großen Brand im November 1995 wieder in Eigenarbeit durch die Besetzer in Stand gesetzt, diente die Rote Flora nach wie vor als kulturelles Stadtteilprojekt sowie als politisches Zentrum autonomer Gruppen in Hamburg. Die Rote Flora gilt europaweit als eine Erfolgsgeschichte für eine autonome und antikapitalistische Lebensgestaltung im bewussten Widerstand zu Recht und Gesetz. Und ist bis heute, betrachtet man die vielen, auch internationalen Besucher des Schanzenviertels in den Cafes und Restaurants, wohl als einer der wirklichen Anziehungsmagnete der Stadt zu sehen, auch wenn aktuell wieder über die zukünftige Nutzung der Roten Flora heftig diskutiert wird.
Nach einem stärkendem Kakao zieht es uns entlang der Budapester Straße in Richtung St. Pauli. Hier ein kurzer Fotostopp an der wohl berühmtesten Polizeistation der Welt, der Hamburger Davidswache, und dem gleichfalls bekannten Schmidts Tivoli Theater, geht es weiter Richtung Elbe. Wir wollen noch kurz einen Blick in den alten Elbtunnel werfen, wo doch aktuell in Istanbul gerade der Bosporustunnel für den Verkehr freigegeben worden ist. Nein, auch wenn wir direkt am Zugangsbereich der "Herbertstraße" vorbei gegangen sind, hinein gegangen sind wir nicht. Wenige Meter weiter waren wir am Zugangsgebäude des alten Elbtunnels angekommen.
Der St. Pauli Elbtunnel an der Norderelbe
Wenige Meter weiter waren wir am Zugangsgebäude des alten Elbtunnels angekommen.Der 1911 eröffnete St. Pauli-Elbtunnel unterquert die Norderelbe auf einer Länge von 426,5 Metern und verbindet mit zwei Tunnelröhren die nördliche Hafenkante bei den St. Pauli-Landungsbrücken mit der Elbinsel Steinwerder. Er wird als öffentlicher Verkehrsweg sowohl von Fußgängern und Radfahrern sowie eingeschränkt von Kraftfahrzeugen genutzt.
Er galt bei seiner Eröffnung 1911 als technische Sensation, steht seit 2003 unter Denkmalschutz und wurde am 7. September 2011 von der Bundesingenieurkammer und der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau mit dem Titel "Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" ausgezeichnet.
Spurweite der Pferdefuhrwerke bestimmt die Fahrbahnbreite
Bei dem unter der Leitung von Otto Stockhausen 1907 begonnenen Bau wurde Druckluft eingesetzt, um mittels des so erzeugten Überdrucks das Eindringen von Wasser zu verhindern. Die beiden horizontalen Tunnelröhren baute man im Schildvortriebsverfahren, sie führen mit einer Sohlentiefe von 24 Meter von den St. Pauli-Landungsbrücken nach Steinwerder am südlichen Ufer der Norderelbe. Die Oberkante der sechs Meter hohen Röhren liegt zwölf Meter unterhalb des damaligen mittleren Hochwassers. Zwischen Tunnelröhre und Flussbett lag eine drei Meter dicke Schlickschicht.
Der Tunnel wurde am 7. September 1911 für den Fußgängerverkehr und im November 1911 für Pferdefuhrwerke und Kraftfahrzeuge eröffnet. Die Presse kommentierte:
• „mit lauter Sprache reden, wie die moderne Technik zu Lande, zu Wasser und unter dem Wasser die an sie herantretenden Aufgaben überwindet“ (Hamburger Fremdenblatt, 21. Mai 1911)
• „Seine einem Mausoleum nicht unähnliche Gestalt ist wohl geeignet, beim Beschauer, der den Zweck nicht ahnt, ein Grübeln über dessen Bestimmung zu wecken“ (Deutsche Bauhütte, 1911)
• „als einen von den licht- und formenfrohen Mächten des modernen Zeitgeschmacks durchfluteten Zeitgedanken, der zwar völlig im Zwecke aufgeht, bei dessen Verwirklichung aber nichts unterlassen worden ist, was beiträgt, diesem Zwecke die Schönheit zu verbinden“ (Hamburger Nachrichten, 13. Juli 1911).
Je Uferseite vier Schächte mit je einem Fahrkorb
Bei der Elbvertiefung 1981/82 wurde die Überdeckung des Tunnels bis auf einen Meter reduziert. Während dieser Arbeiten waren Teile des Tunnels durch eine Stahlbetonwand vom restlichen Tunnelsystem abgetrennt. Als Schutz gegen das Aufschwimmen und Beschädigungen wurde eine Stahlbeton-Konstruktion auf den Tunnel gelegt, wodurch die Wassertiefe auf 10,6 Meter bezogen auf das alte SKN (mittleres Springniedrigwasser) erhöht werden konnte.
Noch heute ist der Alte Elbtunnel für Fußgänger und Radfahrer kostenfrei und zeitlich unbeschränkt begehbar (mit Ausnahme der Silvesternacht von 21:00 bis 04:00), die Benutzung mit Motorfahrzeugen (motorisierte Zweiräder, Pkw, Klein-Lkw) ist kostenpflichtig und auf festgelegte Öffnungszeiten beschränkt.
Über die kostenfreie Benutzung für Fußgänger gab es 1906 eine hitzige Debatte in der Hamburger Bürgerschaft. Von den Sozialdemokraten wurde dialektisch pointiert argumentiert: „Weil die Bourgeoisie für die Instandhaltung der Reitwege auf der Uhlenhorst auch keine Abgaben bezahlt, muss die Tunnelbenutzung für Arbeiter frei sein.“ Der Elbtunnel bildete neben den Hafenfähren die einzige Möglichkeit, den Arbeitsplatz im Hafen zu erreichen. So blieb die Benutzung für Fußgänger kostenfrei. Die unterirdische Elbquerung kostete bei der Eröffnung 1911 für Droschken, Personenwagen, leere LKW, geführte Pferde und Esel 50 Pfennig (entspricht heute 2,70 Euro). Beladene Lastwagen und Gesellschaftswagen mussten eine gewichtsabhängige Gebühr bezahlen (bis vier Tonnen: eine Mark / bis sechs Tonnen: zwei Mark / bis zehn Tonnen: vier Mark). Für mitgeführte Hunde hatten die Halter eine Gebühr von zehn Pfennig zu zahlen.
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, das historische Tunnelbauwerk zu betreten, auch wenn es sicherlich keine Sicherheitslücken gibt. Allein die Einrichtung der Fahrstühle ist absolut sehenswert. Wir nutzen einen der Fahrstühle hinab auf das Tunnelniveau, durchquerten dann die für den Verkehr geöffnete Röhre, die noch die traditionelle Befliesung an den Wänden aufweist und stiegen auf der Elbinsel Steinwerder die Treppen hinauf. Der Blick auf die Skyline von Hamburg war trotz oder gerade wegen der einsetzenden Dämmerung ein Traum. Die vielen Lichter und die beleuchtete Betriebsamkeit auf der Elbe ließen uns kurz verweilen, bevor es durch den Tunnel zurück nach St. Pauli ging. Ein 100-jähriges Meisterwerk der Baukunst, das es zu besuchen lohnt.
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