Riesig ist sie, die heutige, entomologische Sammlung des Naturhistorischen Museums der Universität Oxford, denn über fünf Millionen Insekten lagern in ihr.
Scherzhaft haben wir nach einem Besuch mit George McGavin gelästert, dass es wohl dem Lebenswerk von mindestens 3 Tischlern entspräche, um all die Schubkastenschränke für die Aufbewahrung der Insekten zu fertigen. Aber der Reihe nach.
Zufälliges Treffen im Pub nahe der Universität Oxford
Mit einer Gruppe Auszubildender waren wir im Rahmen des Englischkurses zu einem mehrtägigem vor Ort-Praxis-Sprachkurs nach London gefahren, wobei auch eine Tagestour nach Oxford im Programm enthalten war. Es war reiner Zufall, dass wir gegen Abend in einem nahegelegenen Pub auf Prof. Dr. George McGavin trafen, der dort sein Feierabendbier trank. Schnell waren wir so tief in Gespräche verwickelt, dass wir um ein Haar die Rückfahrt nach London verpasst hätten. Allerdings waren wir uns einig, dass es zu einem erneuten Treffen kommen sollte, wann immer möglich. Die Kontaktadressen noch schnell ausgetauscht, folgte bereits ein erster telefonischer Kontakt am folgenden Tag, zu groß war das Interesse an den von George beschriebenen Insektensammlungen der Universität. Schon zwei Tage darauf gab es ein erneutes Treffen an der Universität Oxford, das in der Folge weiterer Exkursionen nach London zu einem festen Programmteil der regelmäßigen Besuche mit Auszubildenden werden sollte.
Oxford unterhält eine Reihe von Museen und Galerien, welche für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglich sind. Das 1683 gegründete Ashmolean Museum ist das älteste Museum in Großbritannien und das älteste Universitätsmuseum der Welt. Es beherbergt bedeutende Sammlungen von Kunst und Archäologie, darunter Werke von Michelangelo, Leonardo da Vinci, William Turner und Pablo Picasso sowie antike Schätze wie den Skorpions-Streitkolben, die Parische Chronik und das Alfred-Juwel. Es enthält auch eine Stradivari-Geige, die als eines der besterhaltenen Exemplare der Welt angesehen wird.
Das naturhistorische Museum der Universität beherbergt die zoologischen, entomologischen und geologischen Exponate der Universität. Es befindet sich in einem großen neugotischen Gebäude an der Parks Road im Wissenschaftspark der Universität. Zu dessen Sammlung gehören die Skelette eines Tyrannosaurus und eines Triceratops sowie die vollständigsten Überreste eines Dodos weltweit. Es beherbergt auch die „Simonyi Professorship for the Public Understanding of Science“.
Vorgeschichte mit unglaublichen Auswirkungen – Laus am Wein
Wie kam es zu dieser unglaublichen Ansammlung von Insekten? Hier eine Teilanekdote, die mitverantwortlich für die Ausweitung und Größe ist. Oxford ist die älteste Universität der englischsprachigen Welt und existiert nachweislich seit dem 12. Jahrhundert, klar also, dass das Sammeln von Insekten schon sehr viel früher begonnen hatte. Wir hatten später das Glück, einige Exemplare aus dem 14. Und 15. Jahrhundert zu sehen, die längst ausgestorben sind.
Im Jahr 1863 öffnet J.O. Westwood, Professor für Entomologie (Insektenkunde) an der Universität von Oxford, ein Paket mit Pflanzenproben, das ein paar Rebenblätter mit gallenartigen Auswüchsen enthält. In einem davon entdeckt der Forscher ein Millimeter kleines, ihm unbekanntes Insekt. Westwood notiert ein paar Beobachtungen und vergaß die Sache wieder.
Etwa zur gleichen Zeit gehen in einem Weingut in Pujaut bei Tavel (Côtes du Rhône) ein paar Rebstöcke ein. Sie leiden an keiner der bisher bekannten Rebenkrankheiten. Doch auch dieser Tatsache schenkt niemand Beachtung. Vier Jahre später adressiert der Verwalter eines Weinguts bei Arles einen Brief an den Präsidenten des regionalen Landwirtschaftskomitees. Seit zwei Jahren sterben auf seinem Weingut Reben ab, ohne dass er die Ursache dafür findet.
Es vergehen Monate, bis die regionalen Instanzen reagieren. Sie betrauen Henri Marès mit der Untersuchung des Problems. Marès, umjubelter Erfinder der Methode zur Bekämpfung des Echten Mehltaumittels mit einer Schwefellösung, begibt sich in einen betroffenen Rebberg bei Carpentras, notiert die Symptome, ohne deren Ursache auf den Grund zu gehen, und spielt die Bedeutung des Phänomens herunter.
Im Juli 1868 wird eine zweite Kommission gebildet. Sie besteht aus Jules-Emile Planchon, Professor an der Apothekerschule von Montpellier, dem Agronomen Gaston Bazille und dem Gärtner Félix Sahut. Die drei Experten reißen bei einem Winzer namens de Langloy in Saint-Martin du Crau (bei Saint-Remyde Provence) einen befallenen Rebstock aus der Erde. Sie glauben an Pilzbefall und suchen mit gezückten Lupen nach Zeugen. Sie finden keinen Pilz, sondern eine kleine Laus von gelblicher Farbe, am Holz festklebend und dessen Saft saugend.
Eine Laus? Nein, es sind Tausende von Läusen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Sie sind überall, an den tiefsten Wurzeln wie an den oberflächlichsten. Nach einigem Hin und Her wird der Schädling Phylloxera vastatrix getauft.
Inzwischen hat auch der Engländer J.O. Westwood, Professor für Entomologie, seine Forschungen wieder aufgenommen, das Insekt entdeckt und ihm den Namen Peritymbavitisana verliehen. Der Name Phylloxera sei nicht treffend, weil das Insekt sowohl in den Wurzeln als auch in den Blättern sitze, Phylloxera sich aber allein auf Letzteres beziehe: „Ich verfolge die Entwicklung einer Nymphe und werde Zeuge des Ausschlüpfens eines eleganten Insekts mit vier durchsichtigen Flügelchen. Damit ist klar: Das ursprünglich Rhizapis (‹das in den Wurzeln lebende›) getaufte Insekt ist eine Phylloxera“, antwortet Planchon 1874 darauf. Und vergisst zu erwähnen, dass der Erste, der die Phylloxera in Europa identifiziert, der Pariser Entomologe Signoret ist, dem der Mediziner und Pharmakologe Planchon, der wenig von Insekten versteht, ein paar Exemplare zur Analyse zukommen lässt. Und dass nicht er, Planchon, die geflügelte Form des Insekts entdeckt hat, sondern der Veterinär Pierre Boiteau aus Villegouge bei Bordeaux, der dafür vom französischen Landwirtschaftsministerium eine Goldmedaille zugesprochen erhält.
Während sich eitle Wissenschaftler um treffende Namen balgen und darüber streiten, wo die Laus ihre Tage verbringe und wer als Entdecker der Reblaus in die Geschichte eingehen soll, setzte die Reblaus ihr Zerstörungswerk ungehindert fort. Ein Jahr nach ihrer offiziellen Entdeckung taucht sie in Bordeaux auf. 1879 sind zwei Drittel der französischen Rebfläche vom Schädling befallen. Dies als kleiner Wink, welch eklatante Bedeutung Insekten, und sind sie noch so klein, für uns und die Umwelt haben können. Aber nun zurück zu George McGavin.
Ein Insektenkundler, der noch dazu vermitteln kann
Eine wirklich prägende und zugleich erste rätselhafte Aufgabe stand gleich zu Beginn des Besuchs mit einer kleinen Gruppe Auszubildender weit im Vordergrund, als es um die o.a. Laus und vergleichend um Eintagsfliegen ging, die er uns in verschiedenen Facetten präsentierte. Aufgabe: Stellt euch vor, Mann und Frau Eintagsfliege haben am frühen Morgen Sex, ihre zahllosen Kinder gleich darauf auch und auch ihre Enkel, usw. usw., weil Eintagsfliege! Es gibt keine natürlichen Feinde, auch keinen Menschen, der diese Produktion an einem Tag unterbricht. Und alle Fliegen erleben zumindest die nächsten 24 Stunden. Wieviel Eintagsfliegen gibt es nach 24 Stunden? Selten haben ich so aufmerksam interessierte und rechnende junge Leute gesehen, die sich noch dazu sehr lebhaft austauschten. Als dann noch dazu Größenordnungen einer Kugel im Durchmesser Erde – Mond zum Ergebnis erklärt wurde, war das Erlebnis perfekt. Das Interesse an weiteren Vorträgen ohne jegliche Zwischenbemerkung, da immer wieder in Bezug auf die Menschheit Parallelen gezogen wurden. Einfach spannend.
George McGavin war von 1984 bis 2008 stellvertretender Kurator der entomologischen Sammlungen mit über fünf Millionen Insekten des Museums in Oxford. Sie stammen aus verschiedenen Familien und aus der ganzen Welt und wurden teilweise vor weit mehr als 150 Jahren gesammelt, nicht erst seit der Laus am Wein.
McGavin besuchte das Daniel Stewart's College, eine Privatschule in Edinburgh und studierte anschließend von 1971 bis 1975 Zoologie an der University of Edinburgh, gefolgt von einem Doktortitel in Entomologie am Imperial College in London. Anschließend lehrte und forschte er an der Universität Oxford. Er ist Honorary Research Associate am Oxford University Museum of Natural History und am Department of Zoology der Oxford University, wo er seine Interessen als „Terrestrische Arthropoden, insbesondere in tropischen Wäldern, Höhlen und Savannen“ auflistet. Er ist außerdem Gastprofessor für Entomologie an der University of Derby.
George ist Fellow der Linnean Society und der Royal Geographical Society und hat mehrere Insektenarten zu seinen Ehren benannt. Zuvor war er stellvertretender Kurator für Entomologie am Museum of Natural History der Universität Oxford.
George hielt auch Vorträge beim Cheltenham Science Festival, hielt die Weihnachtsvorlesung für Kinder der Royal Geographical Society und leistete einen Beitrag zu deren Schulprogramm. Er gewann die Earthwatch-Debatte „Unersetzlich – Die unschätzbarsten Arten der Welt“, die 2008 auf BBC Radio 4 ausgestrahlt wurde und er ist Dozent an Bord von Cunard-Schiffen. Im Jahr 2017 hielt er die Verrall Lecture der Royal Entomological Society zum Thema „Geschichten aus dem Fernsehen: die Perspektive eines Entomologen“.
Er ist Schirmherr der Wohltätigkeitsorganisation Wildscreen des Bees, Wasp and Ants Recording Scheme und des Alderney Records Centre und er ist Präsident des Dorset Wildlife Trust und globaler Botschafter von Earthwatch.
Er war außerdem Dozent am Trinity College und dann am Jesus College. Nach einer 30-jährigen akademischen Karriere wurde er Fernsehmoderator und arbeitete hauptsächlich für Produktionen der BBC Natural History Unit in Bristol. Zu seinen Programmauftritten zählen die BBC-Serie „Lost Land“, „Prehistoric Autopsy“, „Miniature Britain“, „Planet Ant“, „Ultimate Swarms“, „Dissected: The Incredible Human Hand and Foot“, „Monkey Planet“ und der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm „After Life: The Strange Science of Decay“. Seine jüngste Sendung „The Oak: Der größte Überlebende der Natur“ gewann einen Royal Television Society Award und einen Grierson Award.
Ein von ihm geschriebenes, umfassende Handbuch deckt alle 29 Insektenordnungen sowie Spinnen und Landarthropoden ab. Es ist vollgepackt mit Hunderten von kommentierten Fotos und Illustrationen, die den Lesern und Nutzern dabei helfen, die vielen Insektenarten zu erkennen, und bietet eine kurze Beschreibung jeder Insektenfamilie mit Hauptmerkmalen, einschließlich Lebenszyklen, der Umgebung, in der sie gedeihen, sowie einen fotografischen Leitfaden, der weiterhilft bei der Kategorisierung der Insektengruppe. Es ist ein unverzichtbares Handbuch für Anfänger und Enthusiasten gleichermaßen.
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