Römischer Brückenbau in der Türkei
Mit einer Länge von 360 m stellt die Brücke bei Limyra das größte erhaltene Ingenieurbauwerk aus der Antike in Lykien dar. Die Brücke weist 26 gleichförmige Segmentbögen auf, die aus zwei übereinanderliegenden, radial aufgemauerten Ziegelsteinlagen bestehen.
Im Bild die Cendere Brücke über den Chabinas!
Am östlichen Ende der Brücke befinden sich anstelle des einstigen 27. Segmentbogens zwei kleinere, halbkreisförmige Reparaturbögen späteren Datums, die nur mit einer einfachen Ziegellage gebaut wurden. Der ursprüngliche, flache Ansatz des eingestürzten Bogens ist in den Pfeilern noch gut erkennbar.
Bei der archäologischen Sondierung fanden Wurster und Ganzert das gesamte Bauwerk bis über die Kämpferpunkte mit Flussablagerungen verschüttet vor; Freilegungsversuche wurden nicht unternommen. Lediglich zwei der 28 Brückenbögen lagen so weit offen, dass die lichte Weite und die Pfeilerdicke direkt gemessen werden konnten. Es war jedoch möglich, aus den nicht verschütteten Bogenabschnitten die Achsabstände aller Pfeiler rechnerisch zu ermitteln.
Segmentbögen und Pfeiler
Die Stützweiten der Segmentbögen, also die Entfernungen zwischen den Pfeilermitten, reichen von 11,60 m bis 14,97 m (Bogen 2 bzw. 26). Es lassen sich vier Gruppen ähnlicher Größe bilden, deren mittlere Weiten folgende Werte betragen:
• 11,60–12,30 m (4 Bögen: 2, 3, 7, 21)
• 12,75 m (14 Bögen: 5, 9–15, 17–19, 22–24)
• 13,10 m (4 Bögen: 1, 4, 6, 8)
• 13,60 m (3 Bögen: 16, 20, 25)
Warum die Abstände der Pfeilerachsen der Brücke gruppenweise voneinander abweichen, ist unklar; als Anpassung an die Beschaffenheit des Flussbetts lassen sie sich nicht erklären. Die Schwankungen könnten auf eine Mehrfachverwendung verschiedener Lehrgerüste beim Bau der Tonnengewölbe hindeuten.
Die Pfeilerbreite ließ sich von Wurster und Ganzert nur in einem Fall mit 2,10 m ermitteln (zwischen Bogen 26 und 27). Zieht man diesen Wert vom 12,75 m weiten Normalbogen ab, ergibt sich eine lichte Weite von 10,65 m. Da alle Segmentbögen eine Stichhöhe von rund 2 m besitzen, beträgt bei der Brücke von Limyra das Verhältnis von lichter Weite zu Höhe ungewöhnliche 5,3 zu 1. Derartig flach gespannte Bögen waren im damaligen Steinbrückenbau einzigartig und blieben bis zum Wiederaufkommen von Segmentbogenbrücken im Italien des 14. Jahrhunderts unübertroffen. Der größte Bogen der Limyra-Brücke überspannt sogar eine Länge, die dem 6,4fachen seiner Höhe entspricht. Die Überhöhung der beiden Reparaturbögen bewegt sich dagegen mit 2,7 zu 1 noch im normalen Bereich von Halbkreisbögen.
Brückenhöhe und -niveau
Die Gesamthöhe der Brücke konnte aufgrund ihres Verschüttungszustandes nicht festgestellt werden, wohl aber der Abstand von den Kämpfern zur Fahrbahnoberfläche, der nur 3,25 m beträgt.
Das Brückenniveau bildet eine nahezu horizontale Ebene: Während die Fahrbahn von Bogen 1 bis 20 auf einem Niveau von 20,05–20,55 m ü. M. liegt, fällt sie in östlicher Richtung bei den restlichen sechs Segmentbögen auf 19,94 m bis 19,66 m leicht ab. Angesichts der Länge des Bauwerks werden die Schwankungen von den Autoren als minimal eingestuft. Da es keine Hinweise auf eine spätere Absenkung des Bauwerks gibt, lässt die gleichmäßige Höhe auf ein sorgfältiges Nivellement und eine solide Fundamentierung der Pfeiler beim Bau schließen. Im Kontrast dazu weicht die Längsachse der Brücke von Bogen zu Bogen teilweise deutlich von der Hauptrichtung ab.
Statik
Bemerkenswerterweise ist die Stützlinie für das Eigengewicht fast identisch mit der Kurve der Gewölbeachse. Die statische Untersuchung der Segmentbogenbrücke erweist die große Tragfähigkeit der Konstruktion:
„Nach heutiger Einstufung könnte die Brücke die Lasten der Brückenklasse 30 nach DIN 1072 übernehmen; das würde bedeuten, dass sie auf einem Bogen einen 30 Tonnen schweren Lastwagen und zusätzlich auf der restlichen Oberfläche des Bogens 500 kp/m² tragen könnte. Die Brücke war also für den antiken Verkehr mit großer Sicherheit bemessen.“
Baukörper
Hypothetischer Arbeitsablauf bei Einrüstung und Aufmauerung der Doppelbögen. Die Brücke bei Limyra wurde in einer Kompositbauweise aus Ziegeln, Steinquadern und Bruchsteinen konstruiert.
Ziegelbögen
Die Ziegel der Segmentbögen bestehen aus gelb-rotem Ton, dem feiner Ziegelsplitt beigemischt wurde. Die rechteckigen Platten haben ein Format von 40 × 50 cm, sind ca. 5 cm dick und stehen mit der kürzeren Seite aufrecht im Bogenverband, so dass die doppelt aufgemauerten Bögen eine Gesamtdicke von 80 cm besitzen. Das Bindematerial in den 4 cm dicken Fugen ist harter Kalkmörtel mit einem Zusatz von grobem Ziegelsplitt und feinem Kies. Die beiden Halbkreisbögen wurden mit etwas kleineren Ziegeln gemauert, stellenweise wurden auch die Originalziegel des zerstörten Segmentbogens wiederverwendet. Die Kämpfersteine sind glatt behauene Kalksteinquader mit schräger Auflagefläche für den Bogenansatz.
Das zweilagige Bogengewölbe erlaubte einen effizienten Einsatz der Lehrgerüste, die bereits nach der Fertigstellung der unteren Ziegellage zur nächsten Bogenöffnung verschoben werden konnten:
„Das in zwei Phasen getrennte Aufmauern der beiden Lagen der doppelten Ziegelbogen hatte zwei Vorteile. In der ersten Phase musste das Lehrgerüst nur die Last der unteren Bogenlage tragen, konnte also schwächer bemessen werden. In der zweiten Phase konnte die Last der oberen Schicht bereits von der unteren Gewölbelage getragen werden, das Lehrgerüst stand also schon wieder für eine weitere Brückenöffnung zu Verfügung.“
Mauerschale
Soweit erkennbar, besitzt die Brücke von Öffnung 2 bis 21 eine vier-lagige Ziegelverkleidung, auf der sich ein gemörteltes Bruchsteinmauerwerk anschließt. Zwischen dem 22. und 26. Bogen sowie bei den beiden Brückenrampen besteht die Mauerschale hingegen aus Steinquadern. Die reparierten Felder 27a und 27b unterscheiden sich durch die Kleinteiligkeit der verbauten Bruchsteine und den ungeordnet eingearbeiteten Ziegeln erkennbar von der Ziegel- und Bruchsteinverkleidung im Westen und der Quaderschale im Osten. Die Bogenunterseite von Öffnung 26 lässt noch das vorsprungartige Auflager für das Lehrgerüst erkennen.
Das Brückeninnere oberhalb der Bögen und Pfeiler setzt sich aus einem Verbund aus Bruchsteinen und großen Flusskieseln mit Kalkmörtel zusammen.
Pflaster
Nur 30–40 cm über dem Scheitelpunkt der Bögen befindet sich das aus großen und unregelmäßigen Kalksteinplatten bestehende Brückenpflaster, das beidseitig 10 cm über den Brückenrand vorsteht. Die Verwendung kleiner Flusskiesel als Pflasterung lässt auch hier den Reparaturcharakter der beiden Halbkreisbögen erkennen. Der Brückenweg ist 3,55 bis 3,70 m breit und vergrößert sich an den Brückenenden auf 4,30 m.
Datierung
Die zeitliche Einordnung der Brücke bei Limyra wird durch ihren außergewöhnlichen Charakter innerhalb der römischen Bautradition und den Mangel an vergleichenden Untersuchungen römischer Brücken erheblich erschwert. Als Ansatzpunkt führen Wurster und Ganzert folgende charakteristische Konstruktionsmerkmale der Brücke auf:
• mehrfeldrige Anlage mit gleicher Feldweite und horizontaler Brückenbahn mit geringer Anrampung an den Brückenköpfen
• sehr flache Segmentbögen aus doppelten, radial geschichteten Ziegelgewölben
• Mörtelmauerwerk
• Außenschale überwiegend Bruchstein mit Ziegeldurchschuss, teilweise isodomes Quadermauerwerk
• besonders großformatiges Steinplattenpflaster.
Im Gegensatz dazu besaßen die meisten römischen Steinbrücken Quaderverkleidungen und ruhten auf Keilsteingewölben, die auch beim Gewölbebau in Lykien lange Zeit dominierten. Im Unterschied zu den massiven und hochaufragenden Halbkreisbogenbrücken, die für die römische Bautechnik typisch waren, bietet die Brücke bei Limyra mit ihren flachgespannten Segmentbögen eine deutlich niedrigere und gestrecktere Erscheinung, so dass Wurster und Ganzert „versuchsweise“ eine späte Datierung des Bauwerks etwa in die Zeit Justinians I. (6. Jahrhundert) vorschlagen, für die auch der Gebrauch von Ziegel-Stein-Verbänden in der lykischen Regionalarchitektur belegt ist.
Da andererseits aber diese Mischtechnik bereits beim nahen Aquädukt von Aspendos im 3. Jahrhundert n. Chr. zur Anwendung kam, und die Römer durchaus Segmentbogenbrücken kannten, wie die beiden Bauforscher selbst an drei Beispielen erläutern, wäre auch eine frühere Entstehungszeit am Ende des 2. oder im 3. Jahrhundert möglich. Diese frühe Datierung erscheint aus heutiger Sicht wahrscheinlicher, nachdem in der Zwischenzeit sieben weitere Segmentbogenbrücken aus der Römerzeit dokumentiert werden konnten.
Die Reste der römischen Brücke bei Kemer, die ebenfalls aus dem 3. Jahrhundert stammt und einige konstruktive Ähnlichkeiten aufweist, befinden sich im benachbarten Flusstal des Xanthos.