Kasten - Das alttürkische Wohnhaus
Wenn Sie einen Bummel durch die Altstadt von Antalya machen oder, noch besser, in den „Museumsort“ Safranbolu in der Nordtürkei fahren, fallen Ihnen die Vielzahl und Vielfalt der alttürkischen Wohnhäuser auf, die das Straßenbild bestimmen.
Nachdem die Häuser der Altstadt von Antalya bis in die 70iger Jahre hinein völlig verkommen und vom Abriss bedroht gewesen waren, hat man in den letzten Jahren mit besonderer Sorgfalt die alte Bausubstanz erhalten und restauriert und so den Charakter einer alttürkischen Stadt wieder entstehen lassen.
Einerseits bestimmt aus der Nomadentradition, andererseits geprägt von islamischem Geist hat der alttürkische Hausbau spezifische Merkmale entwickelt, die ihn unverwechselbar machen. Wenn auch unterschiedliche klimatische Bedingungen und Landschafts- bzw. Vegetationsformen zu unterschiedlichen Ausformungen geführt haben, so sind doch die Grundstrukturen überall gleich. Ein wesentliches Merkmal war die Trennung der Frauen- von den Männerräumen. Dies galt ohne Ausnahme und ohne Ansehen des sozialen Standes. Auch die kleineren Hausanlagen, die aus nur aus zwei Zimmern bestanden, waren in "Harem" und "Selamlik" getrennt, d.h. in Frauen- und Männergemächer. Nur zum Schlafen betrat der Hausherr den Harem, während Essen und Empfang stets getrennt jeweils in den eigenen Räumen stattfanden. Die Zimmer, die getrennt geplante und gestaltete Lebenseinheiten darstellten, waren durch den Sofa, eine gemeinsame Fläche zwischen den Zimmern verbunden. Im Laufe der Zeit entwickelte sich dieser Raum zum bevorzugten Wohnraum und wurde bald der wichtigste Ort innerhalb des Hauses. Der Sofa ging zum Garten hinaus, war luftig, z.T. als Loggia gestaltet, und war vor allem für die Frauen, die die meiste Zeit im Haus und dem dazugehörenden Garten verbrachten, der Ort, um mit der Natur in Berührung zu kommen. Durch seine offene Lage war er meist auch der kühlste Raum des Hauses, in seiner Funktion jedoch immer der gemeinsame Raum, der die Zimmer miteinander verband, d.h. Durchgangszimmer und Aufenthaltsraum in einem.
Das türkische Haus war meist einstöckig. Erst später baute man größere Hausanlagen, immer aber war das oberste Stockwerk das wichtigste. Das Erdgeschoss diente nur der Vorratshaltung, Wirtschaftsräume und die Küche waren hier untergebracht.
Das Erdgeschoss stellte eine "Verbindungseinrichtung" zwischen der äußeren Welt und dem Obergeschoss, dem sog. "Wohngeschoss" dar. Der scharfe Gegensatz von innen und außen, der in einer fast schroffen Abwendung von der Straßenseite im Erdgeschoss deutlich wird, macht es auch schwierig, die Häuser nach dem sozialen Status ihrer Bewohner sofort einzuschätzen. Das Zimmer als eigene Lebenseinheit unterscheidet sich in seiner Funktion und Gestaltung erheblich von dem, was der westlich orientierte Besucher erwartet. Eine Aufteilung in verschiedene Funktionen (Wohn-, Schlaf- oder Eßzimmer) gab es nicht. Die Zimmer waren Mehrzweckräume und stets umwandelbar, selbst Tische und Stühle gehörten nicht zur festen Einrichtung eines türkischen Zimmers, wohl aber der Sedir, die unterhalb der Fensterreihe, meist in L-Form verlaufende Sitzbank, die mit weichen Kissen und Teppichen gepolstert war. Vor die anderen, i.d.R. fensterlosen Wände baute man feste Einbauschränke und offene Regale oder Nischen. Betten und Kissen für die Nacht verstaute man in diesen Wandschränken, und zum Esszimmer verwandelte sich der Raum, indem ein großes Messing- oder Kupfertablett auf einen Ständer gestellt wurde, um den herum man am Boden Platz nahm. Aufgrund der klimatischen Verhältnisse gab es Sommerzimmer mit luftigen und großen Fensterfronten und Winterzimmer mit kleinen Fenstern und dickeren Mauern, die teilweise durch einen Kamin beheizbar waren. Im Sommer waren die Stadthäuser bisweilen verlassen. Man zog dann in die Sommersitze in der näheren Umgebung.
Ein charakteristisches Merkmal des türkischen Hauses ist der Erker. Das Straßenbild vieler Wohnviertel wird von den vorkragenden Wohngeschos-sen bestimmt. Die Gründe, weshalb sie über die meist fensterlosen Erdgeschosse hinausragen, liegen zum einen in der winkligen Straßenführung, die keine rechteckigen Grundflächen zulässt, so dass über einen unregelmäßigen Grundriss ein rechteckiges Wohngeschoss gelegt wurde, zum anderen aber in den Vorteilen, die eine vergrößerte Fensterfront mit sich brachte. Hier war auch der Platz, der es den Frauen des Hauses ermöglichte, das Geschehen auf der Straße mitzuverfolgen. Das fast obligatorische Holzgitter verwehrte den Einblick in das Rauminnere, hinderte jedoch nicht das Hinausschauen.
Die Schlichtheit der äußeren Erscheinung wird kontrastiert von der besonderen Sorgfalt bei der Ausgestaltung des Innenraumes. Deckengestaltungen, Oberfenster, Kaminabzüge und die z.T. raffinierte Gliederung der mit Einlegearbeiten versehenen Wandschränke und Nischen gehören zu den Kostbarkeiten türkischer Holzbaukunst. Das wesentliche Baumaterial war Holz, das vor allem für Nordanatolien charakteristisch ist. In Mittelanatolien wurden die Häuser aus Stein, Lehmziegeln, z.T. auch in gemischter Bauweise errichtet.