Koc - Wie privates Sponsoring türkische Kunst voranbringt
Zeitgenössische Kultur in der Türkei lebt von privatem Engagement. Das Tempo, mit dem sich durch Sponsoring türkische Künstler international etablieren, ist bemerkenswert.
Es gibt Bilder, die gehen einem nicht aus dem Kopf. Da stehen Menschen in ländlicher Gegend, sie haben sich an der Hand gefasst und tanzen Ringelreihen. Eine Szene aus Anatolien, die nicht weiter bemerkenswert wäre – gäbe es da nicht die beiden Lämmer und den Schäferhund, die sich brav einreihen in das surreal anmutende Idyll. Mensch und Tier, Wolf und Schafspelz, Klischee und Realität, Dorf und Metropole: In der Fotoserie von Aydan Murtezaoglu steckt eine ungeheure Spannung.
Auch die Arbeiten von Cengiz Tekin geben ihr Geheimnis nicht preis. Ein älterer Mann sitzt auf einem Divan, vor ihm auf dem Teppich ein Tablett mit Teeglas und Kanne – und erst nach längerem Hinsehen erkennt man, dass ein Arm unter dem Kissen hervorschaut. Wird da ein verfolgter Mensch versteckt, ist es ein Bild der Unterdrückung oder beides? Auf einer anderen großformatigen Fotografie nimmt ein Fußballspieler in einem leeren Stadion Anlauf zu einem Freistoß. Die Familie des Künstlers bildet die Mauer.
Das jüngst in Istanbul eröffnete Kunsthaus „Arter“ widmet sich der zeitgenössischen türkischen Szene und der Kunst des östlichen Mittelmeerraums, was den Balkan und den Mittleren Osten einschließt. „Starter“, so hat der Kurator René Block die erste Ausstellung in dem gediegen renovierten Gebäude an der Istiklal Caddesi genannt, der Hauptgeschäfts- und Touristenstraße in Beyoglu. „Arter“ bedeutet Arterie.
Es ist ein starker Anfang mit politisch aufgeladener Kunst, die selten plakativ und umso eindringlicher wirkt. In dem Video „Köpük“ des in Finnland lebenden Irakers Adel Abidin lernen kleine Jungs, wie ein Bart rasiert wird. Sie streichen schwarze Luftballons mit weißem Schaum ein, ziehen mit größter Sorgfalt das Messer über die hauchdünne, straffe Oberfläche, bis die Blase platzt und rote Farbe über den Friseurstuhl spritzt. Die lebensgroße Skulptur der Iranerin Mandana Moghaddam spielt mit dem Verhüllungsgebot. Eine Figur aus schwarzem Haar, das unter einer Glasvitrine vom Kopf bis auf den Boden fließt; gesichtslos und gewissermaßen von der eigenen Sinnlichkeit am ganzen Körper verhüllt. Das weibliche Pendant zur blutigen Rasur.
Zeitgenössische Kultur in der Türkei lebt von privatem Engagement, und die Vehbi Koc Foundation war die erste ihrer Art. Die Koc-Dynastie, eine der reichsten Industriellenfamilien des Landes, finanziert eine eigene Universität und ein Krankenhaus. 1980 wurde am Bosporus das erste private Museum der Türkei gegründet. Es ist benannt nach Sadberk, der Frau des Firmengründers Vehbi Koc, und besitzt eine einzigartige Sammlung ottomanischer Festtagskleider, neben archäologischen Artefakten aus Kleinasien und islamischen Kunstgegenständen.
Mehmet Ömer Koc, ein Enkel des Unternehmers, setzt die Sammelleidenschaft fort. Seine Villa gleicht einem Schatzhaus mit Bildern quer durch die Jahrhunderte, Stile und Epochen; das träumerische Domizil strahlt Lust und Kennerschaft aus. Die Sammlung der Koc Foundation wiederum konzentriert sich ganz und gar auf das Hier und Jetzt. Sie umfasst 400 Arbeiten, von denen nun ein gutes Drittel bei „Starter“ der Öffentlichkeit präsentiert wird. Ebenfalls an der Istiklal Caddesi liegt das Borusan Center for Culture and Arts, ein anderes Beispiel privatwirtschaftlichen Sponsorings im großen Stil. Die Borusan-Stiftung leistet sich ein eigenes Sinfonieorchester und hilft jungen Künstlern. In die vor hundert Jahren entstandenen Stadthäuser der Istiklal ist wieder ein kosmopolitischer Geist eingezogen.
Wenn René Block auftritt, darf Fluxus nicht fehlen und die Erinnerung an seine großen Berliner Jahre beim DAAD. Er hat die Sammlung Koc mit aufgebaut und zeigt hier mit Ben Vautier, Nam June Paik, George Macunias und Joseph Beuys einige gute alte Bekannte. Block gab der zeitgenössischen türkischen Szene entscheidende Impulse, als er 1995 zur Istanbul-Biennale Fluxus-Kunst einführte. „ORIENTation“ hieß das Motto. Die sechziger Jahre betrachtet er als Ausgangspunkt für vieles, das heute noch die Kunst prägt. Video, Performance, politische Färbung – all das hatte damals Initiationscharakter und wirkt fort, zumal in der Türkei, wo die Entwicklung einerModerne übersprungen wurde.
Die räumlichen Bedingungen in der Istiklal Caddesi 211 sind allerdings begrenzt. Es können dort nur kleinere Stücke der Sammlung Koc ausgestellt werden. Der aufblasbare Panzer des Berliner Künstlers Michael Sailstorfer, ein T 72 in Originalgröße, spielt mit der Enge. Er füllt beinahe das gesamte Erdgeschoss von „Arter“ aus. Das Monstrum aus Kunststoff scheint zu atmen, sackt in sich zusammen und bläst sich mit seinem Rohr wie eine Hüpfburg auf. Auch die Sammlung wächst. Auf einer ehemaligen Hafenanlage am Goldenen Horn soll ein großes modernes Museum entstehen. Man spricht von 100 Millionen Euro, die die Koc Foundation dafür zur Verfügung stellt.
Die Defizite waren ebenso gewaltig. Niemand hatte bis dahin systematische Gegenwartskunst gesammelt, sagt René Block. Es gab keine Publikationen, und die staatlichen Stellen haben nichts unternommen, um türkische Künstler im Ausland zu repräsentieren. Seit zwei Jahren unterhält die Koc Foundation in Berlin eine Art Außenposten, „Tanas“ im Galerienquartier an der Heidestraße beim Hauptbahnhof. Anfang des Jahres gab es da eine Ausstellung mit dem Titel „Es ist nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten“. Aber das Tempo, mit dem sich türkische Künstler international etablieren, ist bemerkenswert. „Kismet“, die aktuelle Schau bei „Tanas“, wird von Ebru Özsecen bestritten. Die Türkin hat Objekte aufgebaut, die mal verstellt, mal explizit erotische Formen aufnehmen.
Istanbul trägt dieses Jahr den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt. Solche Titel sind oft Schall und Rauch, und wenig bleibt bei den offiziellen Programmen zurück, worauf sich etwas aufbauen lässt. Die Koc Foundation, deren Aktivitäten bis nach Berlin reichen, hat offenbar die Mittel und die Möglichkeiten, etwas grundsätzlich zu bewegen. „Art is only a question of signature and date“, heißt es bei Ben Vautier. Geld schadet aber auch nicht, wenn es zu den richtigen Quellen fließt.