Norman Davies - Verschwundene Reiche
- Geschrieben von Portal Editor
Das ist wieder ein Buch, wie ich es liebe. Ein Sachbuch, das sein opulentes Wissen so geschickt und spannend verpackt, dass man es wie einen Roman lesen kann.
Ein gutes Sachbuch stellt außerdem das gesammelte „Halbwissen“ eines Lesers in einen Zusammenhang, der Ordnung im Kopf schafft.
In dem Buch stellt uns Norman Davies die Geschichte von heute verschwundenen Reichen, im Europa der letzten 1500 Jahren, in Fallstudien vor. Dabei gliedert er jede Fallstudie in drei Teile: Die jeweilige Region wird skizziert, wie sie heute in Erscheinung tritt. Teil 2 erzählt dieGeschichte des Reiches; Teil 3 erzählt, wie das Reich in Erinnerung geblieben ist oder wie manche, vergessen wurde.
Was ich an dem Buch neben der historischen Darstellung besonders spannend finde, ist das Aufspüren von literarischen Bezügen, die man bei der Lektüre entdecken kann:
Ein Beispiel. Vor einiger Zeit kam mir das Buch mit dem Titel „Cagot“ von Tom Knox in die Hand.
Ich las darin zum ersten mal von heutigen Nachfahren der Goten in den Pyrenäen. Beim Nachlesen erklärt sich das Wort Cagot als Kurzform von lat. „Canis Gotorum“.
Aus Wickipedia: „Dabei leitete man das Wort Cagots von chiens Gots, cans Gots = "gotische Hunde" ab“.
In „verschwundene Reiche“ findet sich nun die Geschichte des Königreiches von Tolosa, (heute Toulouse) das als geschichtlicher Hintergrund und Inspiration für diesen spannenden Thriller dient. Im Zuge der Völkerwanderung und des Untergangs des Römischen Reiches eroberten die Westgoten unter Alerich und seinen Söhnen ab dem Jahre 418 über knapp hundert Jahre den Westen und Süden Frankreichs, bis über die Pyrenäen bis nach Spanien und begründeten das Tolosanische Reich der Westgoten.
Gleich im zweiten Kapitel, das nächste Literatur- Erlebnis:
Das Königreich Strathclyde, das vom 5. bis 12. Jahrhundert existierte. Die bis heute erhaltene Felsenburg auf dem Dumbarton Rock, die historisch im Norden England in mitten von 7 Königreichen rund um den Hadrianswall angesiedelt ist, könnte gut die Vorlage für die „Game of Thrones“ Reihe von George R. Martin gewesen sein:
Die im Norden der großen Mauer lebenden Pikten, die 7 Königreiche, die Landschaft, mit vielen Inseln und Halbinseln, die an die Landschaft der „Finger“ im Roman erinnert. Die Zufälle wären zuviel. Der Felsen von Dumbarton, auf dem noch die Reste einer gewaltigen Festung thronen, regt bis heute die Fantasie an.
In „Verschwundene Reiche“ erfährt man noch von vielen klingenden Namen wie Burgund, Aragon, Savoyen, dem Deutschen Ordensreich, schließlich wird mit dem verschwundenen Russischen Reich die Neuzeit erreicht.
Ich bin sicher, dass alle Leser, die sich für Europäische Geschichte und auch Romane mit realem Hintergrund interessieren, dieses Buch als wahre Fundgrube an interessanten historischen Bezügen entdecken werden, die man in dieser Form noch nicht gelesen hat.
Ich denke, dass man vieles von dem, was wir im heutigen Europa sehen, erst so richtig verstehen kann, wenn man weiß, auf welchen historischen Wurzeln vieles gewachsen ist. Dieses Buch trägt sehr dazu bei und ist somit eine absolut empfehlenswerte Lektüre.
2) Verlagsinfos
Verschwundene Reiche
Die Geschichte des vergessenen Europa
Davies, Norman
Verschwundene Reiche
Die Geschichte des vergessenen Europa
Übersetzung: Schuler, Karin; Juraschitz, Norbert; Freundl, Hans u. a.
Davies, Norman
Orginaltitel: Vanished Kingdoms. The history of the half forgotten Europe
Verlag: Theiss (2013)
Sprache: Deutsch
Gebunden, 958 S., m. 82 Abb. u. 74 Ktn.
ISBN-13: 978-3-8062-2758-1
Inhaltsbeschreibung
Der Pomp sowjetischer Militärparaden vergangen. Die Eroberungen stolzer westgotischer Könige längst vergessen. Die Wappen deutscher Herzöge im Strudel der Geschichteverschwunden.
Zusammengebrochen, verloren, für alle Zeiten von der politischen Landkarte Europas radiert. Die Geschichte Europas ist auch eine Geschichte verschwundener Reiche. Das stolze Alt Clud, heute ein heruntergekommener Landstrich in Schottland, das sagenumwobene Burgund oder das preußische Kernland der Prussen, im 12. Jahrhundert eine terra incognita, aber im Verlauf der Geschichte einer der einflussreichsten Staaten Europas: Norman Davies spürte 15 solcher Reiche vor Ort und in bisher vernachlässigten Quellen nach.
In diesem politisch wie historisch aufrüttelnden und sprachlich virtuosen Standardwerk erzählt er ihre Geschichte von der Entstehung bis zum Untergang und wie wenig von ihrer großen Vergangenheit heute in Erinnerung geblieben ist. Denn das kollektive Gedächtnis ist wichtig, um das heutige Europa zu verstehen.
Davies, Norman
Norman Davies, geb. 1939 in Bolton, Lancashire, ist Professor em. der Universität London, seit 1974 Fellow of the Royal Historical Society, seit 1996 Supernumery Fellow am Wolfson College, Oxford und Mitglied der Fakultät für Moderne Geschichte, Oxford University. Er hat zahlreiche Werke zur Geschichte Polens und Europas veröffentlicht.