Tulumba-Gebäck und Die Heiligen von Idecik
- Geschrieben von Portal Editor
Es ist Nikolaus. Auch bei Filiz Penzkofer daheim wird dieses Datum gewürdigt - wobei ihr bayerischer Vater da durchaus andere Traditionen kennt als das, was die türkische Oma aus diesem christlichen Fest macht.
Heute überredet uns Oma, noch vor dem Frühstück einen Morgenspaziergang zu machen. "Die ganze Familie!", sagt sie. "Okay", sagt Vater, "aber nur bis zum Bäcker und zurück." Oma klatscht in die Hände. "Einverstanden!", ruft sie. Während wir uns die Schuhe anziehen, lehnt sie an der Wand und strahlt uns erwartungsvoll an. Ich schlüpfe in meine Winterstiefel. Es knackt. Dann spüre ich etwas Feuchtes an meinen Socken. "Ihh! Ich habe eine Maus zertreten", schreie ich hysterisch. Meine Schwester kreischt auf: "Ihh! Ich auch!" Mutter hüpft panisch auf einem Bein. Nur Vater, der immer eine Ewigkeit und einen Schuhlöffel braucht, bis er endlich seinen Fuß im Schuh hat, sieht uns verwundert an. "Alles okay?", fragt er.
Oma spielt Nikolaus
Ich schleudere mir den Stiefel vom Fuß. Der Socken, der jetzt zum Vorschein kommt, ist voll von brauner Glibbermatsche - und stinkt wie eine Schnapsfabrik. Vater quiekt auf: "Ihh! Ich habe auch eine Maus zertreten!" - "Schluss jetzt!", ruft Oma, "das sind keine Mäuse, sondern beste deutsche Qualität-Weinbrandpralinen!" "Weinbrand-Pralinen?", frage ich. "Im Schuh?", fragt meine Schwester. "Im Ernst?", fragt meine Mutter. Oma sieht verzweifelt aus. "Ich dachte, ihr freut euch!", sagt sie. "Klar freuen wir uns!", sage ich, "aber warum das alles?" "Heute ist doch Nikolaus!", ruft Oma, "ich dachte, das macht man so in Deutschland!" Vater lacht: "Du hast Nikolaus gespielt?" - "Naja, eigentlich wollte ich das nicht verraten!", sagt Oma, "aber ja, ich war das!"
Äpfel und Nüsse statt Schnappspralinen
Kurze Zeit später sitzen wir im Wohnzimmer, wärmen unsere nackten Füße am Kaminfeuer und trinken Tee. Vater erzählt uns von früher. "Als ich noch ein kleiner Junge war", sagt er, "hatte ich furchtbare Angst vor dem Nikolaus." "Und was ist mit dem Krampus?", frage ich. Vater lacht auf: "Vor dem hatte ich einen unsäglichen, kaum in Worte zu fassenden Horror. Schon Tage vor dem heiligen Nikolaus waren ich und der Gruber Toni draußen auf den Feldern unterwegs und haben nach dem Krampus Ausschau gehalten. Gesehen haben wir ihn gottseidank zwar nie, aber manchmal meinten wir, im Wald Ketten rasseln zu hören, dann sind wir schreiend nach Hause gerannt, wo meine Mutter uns die Tür geöffnet hat, wo es frische Plätzchen gab, wo es warm war und wir Schutz fanden." - "Hattet ihr keine deutsche Weinbrandschokolade in Schuh?", fragt Oma. Vater schüttelt den Kopf: "Zu uns kam der Nikolaus noch persönlich und hat uns mit Äpfeln und Nüssen beschenkt."
Der Nikolaus von nebenan
Oma bringt uns einen großen Teller mit Süßigkeiten: Tulumba Tatlisi - dattelförmige, in der Pfanne ausgebackene Teigteilchen, die in Sirup eingelegt werden und in etwa so süß schmecken, wie ein Rehkitz aussieht. Dankbar langen wir zu, stören uns nicht am Sirup, der uns klebrig über die Finger läuft. Eine Weile ist es still. Nur unser Kauen und das Knacken des Holzes erfüllt den Raum. Vater wendet sich an Oma: "Wusstest du eigentlich, dass der Bischof Nikolaus auch aus derTürkei kam?" - "Aus Türkei?" - "Um genauer zu sein, aus Myra, dem heutigen Demre." - "Aus Demre?", Oma starrt Vater an, "aber das ist ja nur wenige Autostunden entfernt von meine Heimatdorf!" - "Ja, um Idecik herum, da tummeln sich die Heiligen!", sagt Vater trocken.
Warum der Nikolaus rot-weiße Kleider trägt
Rezept
Nicht nur zur Weihnachtszeit: Tulumba-Gebäck
- Zutaten:
- Für den Teig:
- 250 ml Wasser
- 180 g Mehl
- 70 g Hartweizengrieß
- 25 g Speisestärke
- 20 g Butter
- 4 Eier
- 1 EL Zucker
- 1 Prise Salz
- 1 l Sonnenblumen-Öl zum Frittieren
- Für den Sirup:
- 500 ml Wasser
- 350 g Zucker
- Zubereitung:
Mehl und Grieß in einer Schüssel vermengen. Wasser in einem Topf zum Kochen bringen, Zucker, Butter und die Prise Salz dazu geben, alles gut vermischen.
Die Temperatur reduzieren und die Mehl-Grieß-Mischung mit in den Topf geben. Den Teig zehn Minuten lang auf der Herdplatte lassen (dabei permanent rühren, damit er nicht anbrennt), danach alles in eine große Schüssel füllen und mit den Eiern und der Speisestärke vermengen.
Als nächstes werden die Tulumba frittiert. Dafür das Öl in einem tiefen Topf erhitzen (wer eine Fritteuse hat, kann das Gebäck natürlich auch dort frittieren), den Teig in eine Spritztüte füllen und in etwa fünf Zentimeter langen Teigstreifen ins Öl pressen. Die Teigteilchen dann wieder aus der Pfanne nehmen, wenn sie goldbraun gebacken sind - am besten auf Küchenpapier legen, damit das überschüssige Fett aufgesaugt werden kann.
Um den Sirup herzustellen, wird das Wasser mit dem Zucker in einem Topf vermischt und aufgekocht. Den Siruptopf vom Herd nehmen, die Tulumba-Teilchen eintauchen, fertig!
Am besten schmecken Tulumba zu einer schönen Tasse Schwarztee.
Afiyet olsun!
Filiz Penzkofer: Deutsch-türkische Geschichten
Filiz Penzkofer ist keine, wie sagt man so schön, Biodeutsche. Dass ihr das Bio fehlt, liegt an ihrer Mutter. Die ist Türkin. Unter diesem Aspekt betrachtet, ist Filiz die dritte Generation: ein gelungenes Beispiel der Integration, das man bei Sarrazin-Debatten wirkungsvoll heranziehen könnte. Statt Gemüse zu verkaufen, studierte Filiz Germanistik - und weil sie vorerst lieber Texte produziert als Kinder, arbeitet sie unter anderem als freie Journalistin und Drehbuchautorin.
Deutsch? Türkisch? Bayerisch?
Ihre türkische Verwandtschaft weiß das nicht immer zu schätzen. "Wenn du so gut türkisch reden könntest wie bayerisch, wärst du in der Türkei jetzt vielleicht Premierministerin", hört Filiz nicht selten. Deshalb glaubt sie, dass ihre türkische Verwandtschaft gar nicht so genau weiß, was bayerisch ist. Denn wenn sie ihrem deutschen Großvater zuliebe bayerisch reden will, dann scheitert das Vorhaben meist schon an der Butter? An dem Butter? Für ihre türkische Verwandtschaft redet Filiz zu bayerisch, für ihren Großvater zu preußisch. Aber eigentlich ist es ihr schnurz egal, wie sie redet, solange es was zum Reden gibt.
Man ist, was man issta.
- Filiz Penzkofer
Bitte lesen Sie auch: