Bundesverdienstkreuz - Interview mit Nevfel Cumart
- Geschrieben von Portal Editor
Nevfel Cumart, der in Deutschland geborene Lyriker türkischer Herkunft hat die Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu seiner Lebensaufgabe gemacht.
Für dieses Engagement verlieh ihm am 10. Juli 2014 Bundespräsident Joachim Gauck das Verdienstkreuz am Bande. Alaturka führte mit dem Autor, Lyriker, Übersetzer und Rezensionisten ein Interview folgenden Wortlauts:
ALATURKA: Sie haben als türkischstämmiger Deutscher die höchste Auszeichnung bekommen, die die Bundesrepublik ihren Bürger vergibt. Und dann auch noch persönlich vom Bundespräsidenten Joachim Gauck in Berlin überreicht. Was haben Sie gefühlt an diesem für Sie denkwürdigen Tag?
Cumart: Das ist ja nicht meine erste Auszeichnung. Insofern habe ich schon einige Erfahrung mit solchen Feierlichkeiten. Aber im Schloß Bellevue vom Bundespräsidenten persönlich eine derartige Auszeichnung zu erhalten und solch eine Laudatio zu hören, ist natürlich ein ganz anderes Kaliber! Das stellt für mich alles bisher Dagewesene in den Schatten. Am meisten hat mich Bundespräsident Gauck beeindruckt. Was er mir auf der Bühne ins Ohr geflüstert hat während wir für die Presse posierten, hat mich echt gerührt. Man hatte ihn gut informiert, denn er wusste recht viel über mich und meine Arbeit. Auch später, nach der Zeremonie, haben wir uns unterhalten können. Was mich dabei besonders bewegt hat: Er hat mir erzählt, dass er Gedichte sehr mag und hat mich ausdrücklich darum gebeten, ihm meinen letzten Gedichtband zuzusenden. Frau Schadt, seine Lebensgefährtin, die ich noch aus ihrer Zeit bei der „Nürnberger Zeitung“ kenne, hat mir zum Abschied Grüße an Nürnberger Kollegen ausgerichtet und mich daran erinnert, den Gedichtband ja nicht zu vergessen.
ALATURKA: Das Bundesverdienstkreuz würdigt Ihr Engagement für die Integration. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern zwei, drei Beispiele für diese Integrationsarbeit geben?
Cumart: Das ist eine sehr heikle Aufforderung, denn ich müsste jetzt aufzählen, wo und wie ich mich engagiere. Das liegt mir nicht, so über meine Arbeit zu sprechen. Ich kann nur sagen, dass die Mitarbeiter im Bundespräsidialamt ganz schön recherchiert und viele Informationen über mich eingeholt haben müssen. Das hat sich auch in der Laudatio niedergeschlagen. Darin wird ziemlich viel in der gebotenen Kürze aufgeführt. Das beginnt mit einer Stadtteil-Initiative, die ich schon als Jugendlicher in Stade gegründet habe, geht über meine Vorträge und Seminare über Migration oder Islam und meine Funktion in literarischen Vereinigungen bis hin zu meiner ehrenamtlichen Arbeit in einer Stiftung, die sich intensiv dem christlich-islamischen Dialog widmet. Auch meine Tätigkeit als Übersetzer von Werken türkischer Autoren ins Deutsche wird erwähnt. Ich denke, dass auch die vielen interkulturellen Schreibwerkstätten insbesondere an Schulen in so genannten sozialen Brennpunkten mit vielen ausländischen Jugendlichen eine Rolle gespielt haben. In der Laudatio werde ich als „Brückenbauer zwischen Deutschen und Türken“ bezeichnet. Das trifft sicher meine Arbeit und mein Engagement ganz gut.
ALATURKA: Was bedeutet für Sie eigentlich Integration? Was heißt es, integriert zu sein? Wird in der Diskussion hierzulande Integration nicht oft gleichgesetzt mit Assimilation und der Aufgabe der eigenen Kultur?
Cumart: Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Ihre Beobachtung ist leider richtig. Viele Menschen verwechseln Integration mit Assimilation und fordern eine totale Anpassung an die deutsche Gesellschaft und die Aufgabe der Herkunftskultur. Das finde ich nicht gut. Für mich hat eine geglückte Integration auch einen bereichernden Charakter. Nicht nur für den Menschen selbst, sondern auch für die Gesellschaft, in der er lebt. Die Herkunftskultur zu bewahren und sie zu pflegen und gleichzeitig die deutsche Kultur sich anzueignen und diese zu leben, ist in meinen Augen eine Bereicherung. Ich rede auch gerne von einer „Kultursynthese“. Das ist aber kein leichter Prozess, den man mal eben über Nacht bewältigen kann. Ich habe es am eigenen Leibe erlebt, den ich habe auch als Jugendlicher sehr lange unter dem Identitätskonflikt zwischen deutscher und türkischer Kultur gelitten. Die Migrationsforschung hat deutlich aufgezeigt, dass solch ein Akkulturationsprozess als erwachsener Immigrant oft schwer zu bewältigen ist. Erst recht, wenn die deutsche Mehrheitsgesellschaft diese Menschen kulturell fremder Herkunft nicht mit offenen Armen empfängt. Deswegen kann ich verstehen, dass so manche Migranten die Segregation oder aber noch schlimmer die selbst auferlegte Marginalisierung wählen.
ALATURKA: Sie sind Lyriker, haben bislang 16 Gedichtbände veröffentlicht. Sie arbeiten also tagtäglich mit der Sprache auf hohem Niveau. Wie wichtig ist für Sie Sprache als Voraussetzung dafür als Migrant in Deutschland anzukommen?
Cumart: Sprache ist ungeheuer wichtig. Am liebsten würde ich zehn Ausrufezeichen hinter diesen Satz setzen. Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe. Ohne Sprache sind keine Kommunikation, keine Verständigung, keine Bildung und eben auch keine Teilhabe an der deutschen Gesellschaft möglich. Klar: Sprache ist nicht alles. Aber ohne Sprache ist alles nichts. Ich habe schon an vielen Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen zu diesem Thema teilgenommen. Oft wird dann von den Gesprächsteilnehmern in schillernden Farben das Studium an der Universität, der berufliche Erfolg, die Karriere, die ohne Sprachkenntnisse nicht möglich wäre, in den Vordergrund gestellt. Aber ich finde, so hoch sollte man gar nicht ansetzen. Sprache ist viel elementarer, viel grundlegender. Sprache ist das Fundament, auf dem ein gutes Miteinander von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft aufbauen kann. Anders gesagt: Vor dem Studium und der beruflichen Karriere kommt das Gespräch mit dem Nachbarn in deutscher Sprache.
ALATURKA: Sie sind als Sohn türkischer Eltern hier in Deutschland geboren und aufgewachsen. Fühlten Sie sich als Jugendlicher ausgegrenzt? Haben Sie negative Erfahrungen gemacht?
Cumart: Natürlich habe ich als Kind und als Jugendlicher negative Erfahrungen gemacht. Ich habe ja nicht unter einer Käseglocke gelebt, sondern im wirklichen Leben. Ich habe schon als Kind und besonders als Jugendlicher solche Schimpfwörter wie „Kümmeltürke“ oder „Knoblauchfresser“ gehört, auch an der Schule. Solch sprachlich plumpe Anmache war aber manchmal besser wegzustecken wie sprachlich subtile Entwertung. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie mich ein Freund, den ich am Nachmittag besuchte, seinen Eltern mit den Worten vorstellte: „Das ist Nevfel. Nevfel ist Türke, aber intelligent.“ Und der meinte das gar nicht mal böse.
ALATURKA: Aber es wird sicher auch positive Erlebnisse gegeben haben. Sie haben ja immerhin einen sehr erfolgreichen Lebensweg absolviert bis hin zu einem mehrfach ausgezeichneten Lyriker, Übersetzer und Referenten.
Cumart: Gott sei dank gab viele positive Erlebnisse. Sie überwiegen eindeutig. Ich hatte das Glück, dass ich Hilfe und Unterstützung von deutschen Erwachsenen erhielt und auch Halt bei ihnen fand. Das begann schon am Gymnasium, wo zwei, drei Lehrer sich oft mit mir unterhielten und mich auffingen, wenn die seelische Not zu groß wurde in der Adoleszenz. Diese vielen Gespräche haben mir auch geholfen, meinen Identitätskonflikt zwischen deutscher und türkischer Kultur zu bewältigen. Aber es gab auch handfeste Unterstützung, die ich daheim nicht bekommen konnte. Mein Vater arbeitete ja den ganzen Tag als Elektroschweißer und meine Mutter konnte nicht lesen und schreiben. Also übte eine Nachbarin Lateinvokabeln mit mir und ihr Mann half mir mit meinem Referat in Geschichte, um nur zwei Beispiele zu geben. Ich bin mir sicher, dass ich ohne die Fürsorge und Unterstützung, ohne die vielen Gespräche mit diesen hilfsbereiten Menschen es nicht soweit gebracht hätte im Leben.
ALATURKA: Haben Sie sich mit Bundespräsident Gauck über das Thema Migration unterhalten? Was wünschen Sie sich in Sachen Integration. Wo sollte Deutschland in zehn, fünfzehn Jahren stehen?
Cumart: Ich habe natürlich meine Träume und Visionen von einem Deutschland als Einwanderungsland. Der erste Schritt dorthin wäre, dass man überhaupt bewusst wahrnimmt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir haben über 40 Jahre lang von der Bundesregierung das Gegenteil gehört. Sie hat einfach die Realität nicht wahrhaben wollen. Über 40 Jahre lang haben wir hier gar keine nennenswerte Integrationspolitik gehabt. Wie soll da überhaupt eine Einwanderermentalität entstehen? Ich finde aber, dass wir seit dem Integrationsgipfel 2006 und dem darauf folgenden Nationalen Integrationsplan auf einem guten Weg sind. Ich träume von einem Deutschland, in dem eine Willkommenskultur auf breiter Basis herrscht, in dem die kulturelle Vielfalt als Bereicherung empfunden wird und die nicht-deutsche Herkunft eines Menschen irgendwann als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird.