Nachbetrachtung: Konferenz „Medien und Freiheit“ in Izmir
- Geschrieben von Portal Editor
Nur zu gern waren wir der Einladung des Goethe Instituts Izmir zur Teilnahme an der Konferenz „Medien und Freiheit“ gefolgt, die, um ein Fazit gleich vorweg zu nehmen, sowohl terminlich, aufgrund der aktuellen Relevanz hinsichtlich der Mohammed Karikaturen und des aktuell diskutierten Films „Unschuld der Muslime“ als auch inhaltlich hinsichtlich der Auswahl der Referenten aus der Türkei und Deutschland, nicht besser hätte ausfallen können.
Noch während der Konferenz wurde, passend zum Thema, die von dem deutschen Karikaturisten Klaus Stuttmann zur Verfügung gestellte Sammlung politischer Karikaturen in der Aula der gastgebenden Yasar Universität eröffnet.
Wir waren schon am Tag vor der Konferenz nach Izmir angereist, da uns bislang die Yasar Universität im Stadtteil Bornova noch unbekannt war und wir auch keine der Konferenzen versäumen wollten. Sehr angenehm überrascht waren wir bereits kurz nach unserem Eintreffen von der Anlage der Universität direkt neben dem großen Autobahnkreuz Bornova mit architektonisch sehr interessanter Gebäudegestaltung und einer als riesigem Innenhof gestalteten Freifläche, die mit Sitzelementen und Pflanzen ausgestattet, sich als Erholungs- und Pausenraum geradezu aufdrängte. Komplett durch die eigenen Gebäude vom Lärm der Autobahn und der Großstadt abgeschirmt, hätten auch wir das Studentendasein hier gerne noch einmal durchlebt.
Die gesamte Konferenz fand auf zwei Tage verteilt und in je eine Sitzung am Vormittag und eine Sitzung am Nachmittag auf gesplittet statt, so dass auch die Studenten der Yasar Universität die Möglichkeit hatten, sich entsprechend ihrer zeitlichen Gestaltung an den Sitzungen beteiligen zu können. Und so waren wir kaum mehr erstaunt über die rege Beteiligung an der Konferenz, die im Hörsaal der Yasar Universität zweisprachig in Deutsch und Türkisch bei entsprechender Simultanübersetzung in die jeweils andere Sprache zurSprache des vortragenden Referenten über das Kopfhörersystem zu empfangen war. Nur bei zwei Vortragenden war es den Dolmetscherinnen kaum möglich in der Übersetzung zu folgen, so schnell ließen sie Faktenwissen auf die Zuhörer hernieder prasseln.
Im ersten Teil der Sitzung, die unter Leitung von Prof. Dr. Ünal Narmanlioglu von der Yasar Universität stattfand, stellte die Professorin Dr. Gülgün Tosun als Leiterin der Abteilung Journalismus an der Ege Universität die momentane Situation zur „Medienfreiheit in der Türkei“ anhand von einigen Fallbeispielen vor, die auch gerade in der ausländischen, vor allem der deutschen Presse hinsichtlich der Verhaftungswelle von türkischen Journalisten unter dem Vorwurf der Beteiligung am Terrorismus, heftig diskutiert werden. Teilweise ohne jegliche richterliche Anschuldigung verhaftet, protestiert allerdings nicht nur die ausländische Presse. Es folgt ein Vortrag mit dem Thema „Meinungsfreiheit und Demokratie“ von Dr. Serkan Ekiz von der juristischen Fakultät der Universität, der auf die Regelungen im Verfassungsrecht der Türkei verweist und eindringlich vor den Folgen der Pressezensur durch veränderte Gesetzgebung oder auch lediglich veränderte Auslegung der Gesetze warnt. An der sich anschließenden Diskussion beteiligen sich auch die anwesenden Studenten recht lebhaft.
Nach der Mittagspause, die in der Mensa der Yasar Universität verbracht wird, beginnt unter der Leitung von Prof. Gören Bolut als Dekan der Fakultät für Kunst und Design der dritte Teil der Sitzung mit dem Thema „Medien und Freiheit der Kunst“. Der von der Universität Leipzig angereiste Prof. Dr. Helmut Goerlich, der in Leipzig Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht liest, referiert zum Thema „ Säkularität – eine Voraussetzung der Freiheit von Kunst“. In seinem Vortrag geht es vor allem um die Verknüpfung von Staat und Religion, die eigentlich schon vom Gesetz her in den besagten Ländern verboten ist, allerdings in der Realität doch sehr enge Verflechtungen aufweist. Mittlerweile sind die Einflüsse von Religion auf den Staat in Deutschland eher mit rückläufig zu bezeichnen während in der Türkei geradezu die umgekehrte Tendenz immer deutlicher spürbar wird.
Es folgt das Referat von Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Staats- und Verwaltungsrechtler der Johannes Gutenberg Universität Mainz, der mit Hilfe konkreter Beispiele anschaulich vermittelt, was Freiheit und Kunst darf und wo deren Grenzen liegen. Dankenswerterweise hat uns Herr Prof. Dr. Hufen sein Konzeptpapier überlassen, so dass wir einige Passagen direkt hieraus und mit seiner Zustimmung entnehmen können. Sein Vortrag unter dem Titel „Der Schutz der Karikatur durch Kunst- und Meinungsfreiheit nach deutschem Verfassungsrecht“ beginnt mit einem Beispiel aus der deutschen Geschichte und der Frage: Was darf Satire? Zum Ende der Weimarer Republik beantwortete der deutsche Dichter und Journalist Kurt Tucholsky diese Frage sehr klar: Satire darf alles! Im Ergebnis brachte ihm diese Äußerung zahllose Verfahren und die glücklicherweise, rechtzeitige Emigration ins Ausland gleich zu Beginn der Nazizeit.
„Nicht allein Muslime werden durch solche Beispiele gekränkt. Anders als die meisten Katholiken greifen sie aber zu Gewalt und Gegenwehr gegen die Nationen der Zeitschriften und Schauspieler“. Wie etwa in den Mordaufrufen gegen Salman Rushdie.
Aber auch die religiösen Gefühle der Bevölkerung und die Privatsphäre stellen Schutzgüter der Verfassung dar, die in einen schonenden Ausgleich mit den genannten Freiheitsrechten gebracht werden müssen („praktische Konkordanz“). „Entweder Kunstfreiheit oder Persönlichkeitsrecht“ und der schnelle Ruf nach Verboten sind keine Lösung, so Prof. Dr. Hufen.
„Aus verfassungsrechtlicher Sicht stelle sich nicht die Frage, ob bestimmte Meinungsäußerungen und andere Wahrnehmungen grundrechtlicher Freiheit „erlaubt“ sind. Gefragt ist vielmehr grundsätzlich, ob in die geschützte Freiheit eingegriffen werden darf und ob ein solcher Eingriff im Hinblick auf die Rechte anderer oder wichtige Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt ist. Die juristische Falllösung geht im Dreischritt vor:
• Fällt eine Handlung in den Schutzbereich eines Grundrechts? - handelt es sich also um Kunst, Meinung, Presse?
• Liegt in einer staatlichen oder einer staatlich geduldeten privaten Sanktion ein Eingriff in das Grundrecht?
• Ist der Eingriff durch Gesetz oder ein gleichrangiges Grundrecht gerechtfertigt?“
„Es ist also eine unangemessene Beschränkung grundrechtlicher Freiheit, wenn von vornherein unterstellt wird, nur solche Äußerungen seien geschützt, die nicht beleidigend, die Rechte anderer tangierend, religiöse Gefühle verletzend sind. Solche Fragen sind vielmehr erst im dritten Prüfungsschritt zu stellen, wenn es um Zuordnung und Abwägung von Rechten geht.
Gebote und Verbote, zivil- oder strafrechtliche Sanktionen, Sperren im Internet als Reaktion auf Meinungsäußerungen, Karikaturen usw. stellen Eingriffe in die Meinungs-, Presse- oder Kunstfreiheit dar.
Die Grenzen der Freiheit sind vielmehr erst dann überschritten, wenn der hinter der satirischen Form stehende Inhalt nicht mehr der öffentlichen Auseinandersetzung über ein mit der Religion in Zusammenhang stehendes Sachthema gilt, sondern ausschließlich die Religion, deren Repräsentanten oder Religionsgründer als solche schmähen und verunglimpfen wollen. Bei Politikern bezeichnet man das mit „Schmähkritik“ – der Mensch wird erniedrigt, ohne inhaltlichen Bezug in den Dreck gezogen“.
Nach den genannten Maßstäben sind alle Karikaturen, die sich mit Themen wie Frauenrolle, Missbrauch derReligion für Gewalt, Versuch der Einflussnahme auf weltliche Entscheidungen, moralische Rückständigkeit usw. befassen, in der Regel erlaubt.
Die Grenzen des § 166 StGB sind überschritten, wenn ohne jeden Bezug zu einem der genannten Sachthemen dieReligion oder ein als Religionsgründer oder religiöser Führer als solcher verunglimpft oder verächtlich gemacht wird. Das kann zum Beispiel bei groben Verzerrungen, durch historische Tatsachen nicht zu rechtfertigende Unterstellungen und sexuelle Anzüglichkeiten der Fall sein.
Wie dürfen sich nun Katholiken und Muslime wehren: Auch sie dürfen demonstrieren, Briefe veröffentlichen und sind durch Art. 8 geschützt. Im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung und mit deren Mitteln ist die verbale „Gegenwehr“ angegriffener Gemeinschaften nicht nur erlaubt, sondern sogar verfassungsrechtlich gleichrangig geschützt.
Aber: Die Grenzen der Gegenwehr sind eindeutig überschritten, wenn dadurch Leib und Leben eines oder gar terroristischer Attacken auf einen demokratischen Staat und seine Repräsentanten hervorgerufen oder bewusst in Kauf genommen werden.
Kein Mordaufruf gegen Salman Rushdie, kein Niederbrennen der Titanic-Reaktion. Auch diejenigen haben nicht Recht, die anraten, das Video „Unschuld der Muslime“ aus Furcht vor gewalttätigen Reaktionen gegen deutsche Botschaften oder Demonstrationen in Deutschland zu verbieten.
Lösung von Einzelfällen
Video: „Unschuld der Muslime“. Soweit dieses Video den Propheten ohne jeden sachlichen Bezug als pädophilen, sexsüchtigen und geistig Verwirrten darstellt, stellt es eine Schmähung und Beschimpfung im Sinne von § 166 StGB dar und darf verboten werden.
Das ändert aber nichts an der Unzulässigkeit von Gewaltdrohungen.
Papst-Karikatur. Die Haltung der katholischen Kirche zur Geburtenregelung, zur Homosexualität und die Diskriminierung von Frauen sowie Missbrauchsfälle in der Kirche können Anlass für scharfe und überspitzte, selbst die Grenzen des guten Geschmacks überschreitende Karikaturen und szenische Darstellungen bieten. (Beispiel: Papst mit Kondom über dem Zeigefinger, „lüsterner Priester“, Popsängerin in Kreuzigungspose).
Sie rechtfertigen aber nicht die offensichtlich die Menschenwürde verletzende Darstellung des Papstes als inkontinenter Greis (kein sachlicher Bezug zur „Vatileaks- Affäre“). Es war also ein Fehler, dass die katholische Kirche im Fall „Titanic“ die Anzeige zurückgezogen hat.
Die Ausführungen und Beispiele Prof. Dr. Friedhelm Hufens waren unserer Auffassung nach sehr gut geeignet die gesamte Breite des Spektrums Medienfreiheit bei gleichzeitiger Würdigung der Menschenrechte aufzuzeigen. Dies war für uns der Grund, Teile der Ausführungen direkt zu übernehmen.
Zum Abschluss der dritten Sitzung referiert Prof. Dr. Nazli Bayram von der Yasar Universität im Bereich Kommunikation zum Thema „Die Freiheit des Films und das Türkische Kino.
Nach der sich anschließenden Diskussion erfolgt gegen 18.30 Uhr die Eröffnung der Karikaturenausstellung in der Aula der Yasar Universität. Der durch seine politischen Karikaturen bekannte Zeichner Klaus Stuttmann hatte dem Goethe Institut freundlicherweise mehr als 30 seiner Karikaturen zur Verfügung gestellt. Aufgrund weiterer Termine war es Herrn Stuttmann leider unmöglich, selbst an der Eröffnung der Ausstellung teilzunehmen. Schon während des Tages hatten unzählige Studenten die Möglichkeit genutzt, sich die ausgehängten Karikaturen anzusehen. Jeweils mit türkischen Untertiteln versehen, waren allerdings auch die Bilder selbst aussagekräftig genug, um leicht verstanden zu werden.
Nach der folgenden Kaffeepause erfolgt die sechste Sitzung mit dem Thema „Die neuen Medien und staatliche Aufsicht in der Türkei. Der Referent Prof. Dr. Korkmaz Alemdar trägt sein Referat zum Thema „Medien und öffentlich rechtliche Ordnung in der Türkei“ vor, worin auch die bekannten Beispiele der Schließung von bekannten Webseiten durch die türkische Regierung wie YouTube Erwähnung finden, deren rechtliche Verbindlichkeit zumindest zweifelhaft ist. Weitere Beispiele von Schließungen werden auch vom aufmerksamen Publikum registriert und führen zu Diskussionen im Zuhörerraum. Fortgesetzt wird die Veranstaltung von Prof. Dr. Ümit Atabek, der zum Thema „Die neuen Medien und die Regelungen des Internets in der Türkei“ vorträgt.
Es folgte der Vortrag von Dr. Gottfried Plagemann von der juristischen Fakultät der Universität Istanbul, der auch Spezialist für die Bereiche Straf- und Strafverfahrensrecht ist. Sein Thema: „Medien und Justiz inDeutschland – gegenseitige Kontrolle und Unterstützung. Den Abschluss der Konferenz bildete der Rechtsanwalt Özkan Yücel, der zum Thema „Justiz, Pressefreiheit und Menschenwürde referierte. Als Mitglied des Vorstandes der Anwaltskammer Izmir konnte er einen gesicherten Überblick über Zahlen von zurzeit inhaftierten Journalisten und Regimekritikern liefern, die teilweise ohne richterliche Anordnung aufgrund der Auslegung einiger Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus in der Türkei inhaftiert sind.
Eine wirklich aufschlussreiche Sitzungsreihe, die einen tiefen Einblick in die Struktur der Medien, in die Gesetzgebung von Pressefreiheit und deren Folgen für freien Journalismus, Meinungsfreiheit und Schutz der Menschenrechte gewährte. Trotz häufig fast gleich lautenden Gesetzestextes dieser beiden Länder Türkei undDeutschland kann die Auslegung und Interpretation kaum unterschiedlicher sein. Einmal mehr wurde klar, wie wichtig freie Meinungsäußerung für jeden Einzelnen ist, denn ohne sie funktioniert Demokratie keinesfalls. Und was für jeden Einzelnen gilt, ist besonders für Journalisten von eklatanter Bedeutung. Zeit und Mittel für Recherche und detaillierter Untersuchung, dabei Schutz der eigenen Quellen besonders vor staatlichen Behörden und Sicherheit des Arbeitsplatzes sind für Journalisten und damit für Freiheit und Demokratie im Land von immenser Bedeutung.
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