Schmerzlicher Blick in dunkle Vergangenheit - Zülfü Livaneli
- Geschrieben von Portal Editor
Zülfü Livanelis bewegender Roman über das Schicksal deutscher Juden in der Türkei - Der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk ist vielen Literaturinteressierten in Deutschland ein Begriff.
Keine Frage. Sein Landsmann Zülfü Livaneli ist hierzulande weitaus weniger bekannt.
Viel zu unrecht, zumal der Nobelpreisträger selbst feststellt: „Livaneli ist eine unverzichtbare Autorität in der kulturellen und politischen Szene der Türkei.“ Diese positive Einschätzung kann man auch anders ausdrücken: Livaneli ist eine schillernde Figur in der türkischen Kulturlandschaft! Die Betonung liegt auf „Kultur“, denn der 1946 geborene Livaneli ist vielseitig.
Abgeordneter der traditionsreichen „Republikanischen Volkspartei“
Livaneli genießt also heute durch die Bank weg hohes Ansehen in der Türkei. Doch das war nicht immer so. Livaneli hat auch andere Zeiten erlebt. Zeiten, in denen seine Musik verboten war. Zeiten, in denen er nur unter Pseudonym Filmmusiken komponieren konnte. Zeiten, in denen er seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte und für einige Jahre ins Exil nach Schweden gehen musste. Viele seiner nationalistisch gesinnten Landsleute würden ihn gerne auch heute ins Exil schicken! Denn Livaneli hat sich - wieder einmal - nicht um gesellschaftliche Tabus geschert und für seinen neuen Roman ein Thema ausgesucht, das für Furore sorgt. Eine Tragödie aus der jüngeren türkischen Vergangenheit, an der auch Deutschland, England und Russland beteiligt waren. Dabei siedelt Livaneli die Erzählung in der Gegenwart an und taucht immer wieder in die unaufgearbeitete Vergangenheit ein.
In der Gegenwart stehen zwei Figuren im Mittelpunkt des Romans: Zum einen die junge Maya, allein erziehende Mutter eines 14-jährigen Sohnes und als Angestellte der Universität Istanbul zuständig für die Betreuung ausländischer Gäste. Zum anderen der aus den USA zu einem Vortrag angereiste Professor Maximilian Wagner, der sich in die Obhut von Maya begibt. Recht schnell bemerkt Maya, dass den 87-jährigen Mann mit deutschen Wurzeln eine tiefe Traurigkeit überkommt, wenn sie ihn an bestimmte Orte in Istanbul führt. Dabei stellt sich heraus, dass sowohl der türkische als auch der russische Geheimdienst die beiden auf Schritt und Tritt verfolgen. Der betagte Professor hütet ein Geheimnis, das er der jungen Frau in einer langen Nacht erzählt.
Zuflucht vor Hitlers Schergen am Bosporus
Livaneli hat für seine Geschichte sehr viel recherchiert. Sein Verdienst ist es, neben der Struma-Tragödie auch einen Einblick in die Welt der deutsch-jüdischen Emigranten, der vielen Professoren, Politiker und Künstler zu geben, die bis zum Ende des Nationalsozialismus im sicheren türkischen Exil lebten. Unter ihnen befanden sich auch der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, der Jurist Ernst Hirsch oder der Bildhauer Rudolf Belling.
„Serenade für Nadja“ ist ein sehr gelungenes, ein wichtiges Buch
„Serenade für Nadja“ ist ein sehr gelungenes, ein wichtiges Buch. Lediglich mit einem kleinen Manko, dass womöglich Livanelis Übereifer geschuldet ist: Er packt sehr viel thematischen Inhalt in die Geschichte hinein und hat gelegentlich einen überaus aufklärerischen Gestus, als ob er seinen Figuren nicht genug Vertrauen schenken würde. Diese kleine Schwäche ist ihm aber gerne zu verzeihen, denn schließlich hat er uns ein bewegendes, über weite Strecken spannendes Stück Literatur geschenkt und eine bislang totgeschwiegene, dunkle Episode der türkischen Vergangenheit beleuchtet.
Nevfel Cumart
Zülfü Livaneli: Serenade für Nadja. Roman. Klett Cotta Verlag; Stuttgart. 336 S., 21,95 Euro.
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