Doğan Akhanlı - Unteilbarkeit der Menschenrechte
- Geschrieben von Portal Editor
Der 1957 in Şavşat in der Provinz Artvingeborene Schriftsteller Doğan Akhanlı gilt in der westlichen Hemisphäre als ein wahrer Verfechter der Menschenrechte, die er, wohl auch aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung in der Türkei, mit Nachdruck von den politisch Regierenden einfordert.
In seinen Publikationen geht es oftmals um einzelne Personen, aber auch um ganze Volksgruppen, denen in der Vergangenheit Unrecht geschehen ist und die bis heute keine Gerechtigkeit erfahren haben, u.a. auch mit der Fragestellung zur Verfolgung der Armenier. In seinen Romanen, in Aufsätzen und Interviews sowie in verschiedenen Projekten setzt Doğan Akhanlı sich immer wieder für den wahrhaftigen Umgang mit historischer Gewalt und für die Unteilbarkeit der Menschenrechte ein. Kein Wunder also, das Doğan Akhanlı sich nicht nur Freunde gemacht hat.
Bei der Einreise in die Türkei am 10. August 2010 wurde Doğan Akhanlı festgenommen, da er angeblich an einem Raubüberfall mit Todesfolge beteiligt gewesen sein soll, der im Jahr 1989 auf ein Geldwechselbüro in Istanbulstattgefunden hatte. Allein die Festnahme sorgte bereits für viel Aufregung in den Medien. Nach vier Monaten in Untersuchungshaft kam Akhanlı dann überraschend frei; immer hatte er die Anklage als politisch motiviert und von der Strafverfolgungsbehörde als konstruiert bezeichnet. Wir hatten in anderen Artikeln über die Zeitdauer möglicher Untersuchungshaftzeiten in der Türkei berichtet, die besonders für Personen, die unter Terrorverdacht stehen, unermesslich lang sein können, weshalb auch die EU seit Jahren Neuregelungen und eine Justizreform fordert.
Prozess sei "offenkundig von Anfang an politisch motiviert gewesen"
Besonders von den beiden Vorsitzenden der Partei Bündniss 90 / Die Grünen, Claudia Roth und Cem Özdemir, wurde der Freispruch mit der Begründung begrüßt, der Prozess sei "offenkundig von Anfang an politisch motiviert gewesen". Özdemir forderte damals die türkischen Behörden sogar auf, das Einreiseverbot für den in Köln lebenden Akhanlı aufzuheben.
Im April 2013 hatte dann der Istanbuler Kassationshof den Freispruch aufgehoben und gleichzeitig einen international ausgeschriebenen Haftbefehl erlassen. Für den 4. Oktober war der neue erste Prozesstag angesetzt, der aber am Termin auf den 20. Dezember verschoben wurde.
"Ich entscheide mich für die Freiheit von diesem Prozess", sagte der Schriftsteller anlässlich eines öffentlichen Frühstücks mit rund 70 Unterstützern am Freitag in Ehrenfeld. Er habe nur ein Leben und stehe für einen monatelangen Schauprozess in der Türkei nicht zur Verfügung. Aufgrund der deutschen Staatsbürgerschaft Doğan Akhanlı´s erfolgt keine Auslieferung an dieTürkei, trotz des bestehenden internationalen Haftbefehls.
Doğan Akhanlı dazu wörtlich:
Derselbe Kassationshof, der hinter der Ermordung Hrant Dinks keine Organisation gefunden hat, unterstellt mir erneut, ich sei unter dem Decknamen "DOĞAN K." der Kopf einer terroristischen Organisation gewesen, und erwartet von mir, ich solle meine "Hinrichtung" auch noch mit den Anklägern gemeinsam inszenieren.
Als Literat kenne ich die erschreckende Anpassungsfähigkeit und das tragische Ende von Josef K., des Protagonisten von Kafkas Roman "Der Prozess". Deshalb bin ich schon am 8.12.2010, dem ersten Prozesstag gegen mich, mit meinem Schweigen und geschützt von der öffentlichen Solidarität dem Kafkaesken Raum entflohen, den die türkische Justiz für mich gemauert hatte.
Nun will das Gericht mich mit aller Macht zurück in diesen Raum zerren. Ich stemme mich dagegen, ich werde nicht zurückkehren. Der türkischen Justiz gilt auch künftig mein Schweigen. Ich bin nicht Kafkas Romanfigur, die sich am Ende ihres "Prozesses" mit einem Fleischermesser "freiwillig" hinrichten ließ und doch von jedem Leser wieder neu zum Leben erweckt wird. Ich habe im Unterschied zu einer Romanfigur nur ein einziges Leben. Und ich will dieses Leben nicht in einer kafkaesken Farce verbringen.
Ich steige aus. Ich werde vor der türkischen Justiz nicht mehr erscheinen, nicht freiwillig, nicht erzwungen. Ich nehme mir damit die Freiheit, die sie mir verweigern will. Ich werde frei sein, aus eigenem Willen.
Ich tue das auch deshalb, weil "mein" Prozess menschenrechtlich und politisch betrachtet ein Teil der zahlreichen ungerechten Prozesse ist, die in der Türkei mit lärmender Willkür und Arroganz eröffnet, durchgeführt und beendet werden. Ich weiß mich mit meiner Entscheidung, mich diesem Verfahren zu verweigern, an der Seite derer, die jeweils auf ihre Weise der hoffnungslos unrechtsstaatlichen türkischen Justiz die Stirn bieten."
Doğan Akhanlı ist Mitglied in der internationalen Schriftstellervereinigung PEN, seine Projekte wurden unter anderem von der Bundesstiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft gefördert und zuletzt im Jahr 2009 vom "Bündnis für Demokratie und Toleranz" ausgezeichnet. Doğan Akhanlı ist auch Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins „Recherche International“. Der Verein befasst sich vorrangig mit der bildungsorientierten Aufarbeitung von genozidalen Gewalterfahrungen. Er ist der Initiator der Raphael-Lemkin-Bibliothek in Köln. Schwerpunkte seines zivilgesellschaftlichen Engagements sind das Gedenken und die Aufarbeitung von Völkermorden des 20. Jahrhunderts, wie den Völkermord an den Armeniern und seine Opfer.
Werke von Doğan Akhanlı
1998/99 erschien in türkischer Sprache die Trilogie „Kayıp Denizler“ (Die verschwundenen Meere). Die ersten beiden Bände heißen „Denizi Beklerken“ (Warten auf das Meer) und „Gelincik Tarlası“ (Das Mohnblumenfeld). Der letzte Band „Kıyamet Günü Yargıçları“ (Die Richter des jüngsten Gerichts) thematisiert den Völkermord an den Armeniern und die staatliche Unterdrückung und Verfolgung von Anerkennung des Völkermordes in der RepublikTürkei. Die (fiktiven) Schicksale einiger freundschaftlich miteinander verbundener junger Menschen, die in den vorangegangenen Bänden erzählt werden, beleuchten die politische Entwicklung in der Türkei zwischen den 1970er und 1990er Jahren.
Der Roman „Madonna'nın Son Hayali“ (Der letzte Traum der Madonna), erschienen 2005, erzählt über den Fall ‚Struma’, eines Schiffes mit über 700 jüdischen Flüchtlingen, das 1942 im Schwarzen Meer versenkt wurde. Das Buch wurde von türkischen Kritikern und Schriftstellern zu den besten zehn Romanen des Jahres 2005 gerechnet. 2009 erschien „Babasız günler“ (Tage ohne Vater), Ende 2010 „Fasıl“.
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