Seyran Ateş – Frauenrechtlerin und Autorin
Stark prägend und leider nicht ungewöhnlich waren die ersten Lebensjahre von Seyran Ateş, die am 20. April 1963 als Kind einer türkischen Mutter und eines kurdischen Vaters inIstanbul geboren wurde.
Bereits kurze Zeit später zogen ihre Eltern ohne das Seyran davon wusste nach Berlin Wedding. Erst im Alter von 6 Jahren konnte auch Seyran den Umzug nach Berlin zurück zu ihren Eltern in eine allerdings typische Frauen- / Mädchenrolle einer türkischen Familie umsetzen. Neben vielen „Dienstleistungen“ zugunsten ihres Bruders und ihrer Eltern durfte sie das Haus nicht allein verlassen, wurde bei Ungehorsam geschlagen und beschimpft. Halt leider eine typische Frauenrolle in vielen Familien mit Migrations Hintergrund.
Zunächst mit Problemen aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse als einzige Türkin in der Klasse, konnte Seyran schnell die deutsche Sprache erlernen und wurde auch schnell besser in den schulischen Leistungen so das sie gar eine Empfehlung fas das Gymnasiums erhielt. Ihre eigene Entscheidung fiel zu Gunsten einer Gesamtschule wodurch nicht zuletzt auch ihr Wunsch zum Jurastudium zu gelangen stetig wuchs. Schnell wurde Seyran aufgrund ihrer Aktivitäten auch zur Schulsprecherin gewählt, was allerdings zur weiteren Entfremdung von der Familie führte. Einerseits die repressive Erziehung zu Hause und andererseits die schulische Anerkennung in der Öffentlichkeit veranlassten Seyran Ateş im Alter von 17 Jahren ihr Elternhaus zu verlassen. Bis zum Abitur am Oberstufenzentrum für Wirtschaft-Verwaltung-Recht lebte sie in einer Wohngemeinschaft und bei einer befreundeten Anwältin.
Mit Beginn ihres Jurastudiums an der Freien Universität Berlin begann Seyran Ateş auch eine Arbeitsstelle zur Finanzierung des Studiums beim Kreuzberger Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei (TIO). Hierher kommen Frauen türkischer und kurdischer Herkunft auf der Flucht vor häuslicher Gewalt. Als angehende Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und mittlerweile auch Buchautorin setzte sich Seyran Ates hauptsächlich im Strafrecht und im Familienrecht ein. Während eines Beratungstermins im Jahr 1984 erschoss ein Mann hier eine Klientin wobei auch Seyran Ates lebensgefährlich verletzt wurde. Zwar wurde der Tatverdächtige von ihr und weiteren sechs Zeugen identifiziert, auch seine Mitgliedschaft in der nationalistischen türkischen Gruppe „Graue Wölfe“ wurde nachgewiesen, das Gericht sprach ihn jedoch frei. Bis heute lebt der Verdächtige in Berlin Kreuzberg was Seyran Ates zu ersten heftigen Kritiken an den Behörden veranlasste. Aufgrund der langwierigen Heilungsfortschritte in Folge des Angriffs konnte Seyran Ates erst im Jahr 1997 ihr zweites Staatsexamen am Kammergericht in Berlin ablegen.
Im Jahr 2003 veröffentlicht Seyran Ates ihr autobiographisches Buch „Große Reise ins Feuer – dieGeschichte einer deutschen Türkin“ in dem sie ihr Aufwachsen in beengten Verhältnissen schildert und wie sie sich persönlich daraus befreien konnte.
Am 7. Juni 2006 gab es einen erneuten Anschlag auf Seyran Ates als sie mit ihrer Mandantin nach einem Scheidungstermin am Kreuzberger U-Bahnhof Möckernbrücke vom Ex-Ehemann bedroht und dann zusammengeschlagen wurde, ohne das Passanten zu Hilfe kamen. Es folgten weitere Bedrohungen, so das Seyran Ates im August ihre Anwaltszulassung zurück gab. Ihre Vorwürfe gingen vor allem an die Adresse der türkischen Gemeinde in Berlin. In der Folge kam es zu einigen Diskussionen hinsichtlich des Personenschutzes als Rechtsanwältin für Ates durch die Behörden. Da sie weiterhin politisch aktiv Vorträge, Podiumsdiskussionen und Interviews geben wollte, war zumindest hier der Personenschutz gewährleistet. Mehr und mehr äußerten sich jetzt auch Berliner Politiker aller Landtagsfraktionen sehr positiv und die Unterstützung für die Arbeit von Seyran Ates stieg kontinuierlich an. Selbst die Anwendung von Zeugenschutzprogrammen, die von der Justizsenatorin Karin Schubert vorgeschlagen wurden, konnten Ates nicht von der Rückgabe ihrer Anwaltszulassung abbringen. Am 11. September 2006 gab es Gespräche mit den Vertretern des Berliner Anwaltsvereins (BAV) und dem Deutschen Juristinnenbund (djb), die ihre Hilfe in Form von gemeinsamen Anwaltspraxen anboten, damit mehr Schutz für Ates gewährleistet werden konnte. Erst am 6 September 2007 nach mehr als einjähriger Bedenk- und Genesungszeit nahm Ates ihre Arbeit als Anwältin wieder auf, engagierte sich verstärkt in der Ausländerpolitik. Seyran Ates war auch Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und nahm auch am Integrationsgipfel der Bundesregierung teil. Im gleichen Jahr am 21. Juni wurde sie von Bundespräsident Horst Köhler aufgrund ihres Engagements für Integration und Gleichberechtigung mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Ihre Gedanken in der Integrationsdebatte gehen mehr in Richtung einer Transkulturalität, sie sieht das Modell Multikulturalität als gescheitert an. Klar gegen das Kopftuch, gegen Zwangsheirat und Ehrenmorde eingestellt, setzt Ates sich für Sozialarbeit in den Türkischen und Kurdischen Familien ein. Ihre Forderung ist ein klares Gewaltschutzgesetz für Frauen vor gewalttätigen Männern. Aus diesem Grund ist Seyran Ates Mitorganisatorin und Unterstützerin der Mahnwache für das Ehrenmordopfer Hatun Sürücü.
Nach neuen Morddrohungen aufgrund der Veröffentlichung ihres Buches „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ ließ Seyan Ates im Oktober 2009 durch ihren Verlag verkünden, das sie sich nunmehr ganz aus der Öffentlichkeit zurück ziehen werde. Erst mit Sommer 2011 gibt es wieder vernehmbare Äußerungen in der Öffentlichkeit und wahrscheinlich auch die Wiedereröffnung ihrer Kanzlei in Berlin.
Weitere Veröffentlichungen:
• 1983: Michael Kuhlmann, Alwin Meyer (Hrsg.): "Wo gehören wir hin?", In: Lamuv Taschenbuch Band 25, Bornheim-Merten, ISBN 3-921521-73-4 (veröffentlicht mit einer Freundin
unter den Pseudonymen „Ayşe“ und „Devrim“, 8. Auflage 1994).
• 2003: Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin. Rowohlt, Berlin, ISBN 3-87134-452-4
• 2004: Religionsfreiheit nicht auf Kosten von Frauen und Mädchen - Durchsetzung der Grundrechte auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Eingangsstatement zum Forum
"Gesetz und Religion" auf dem „Feministischen Juristinnentag“ FJT am 8. Mai 2004 in Frankfurt am Main. In: Verein Frauen Streiten für Ihr Recht (Hrsg.): Streit, feministische
Rechtszeitschrift. Vol. 22, No. 3, S. 99 - 103. ISSN 0175-4467
• 2005: Individualität. Ich sein oder Ich haben? In: Michael Alberts (Hrsg.): Flensburger Hefte Band 87, mit einem Beitrag von Seyran Ateş. Flensburger Hefte Verlag, Flensburg, ISBN
978-3-935679-22-0.
• 2007: Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können. Ullstein, Berlin, ISBN 978-3-550-08694-6
• 2007: Co-Autorin des Drehbuchs zur Tatort-Folge "Familienaufstellung"
• 2009: Der Islam braucht eine sexuelle Revolution. Eine Streitschrift. Ullstein, Berlin, ISBN 978-3-550-08758-5.
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Seyran Ateş: Ade, du mein lieb Heimatland
Warum ich meinen türkischen Pass abgebe und nur den deutschen behalte.
Vor einer Woche habe ich endlich meine deutsche Einbürgerungsurkunde wiedergefunden. Jetzt kann ich meine Ausbürgerung aus der Türkei beantragen. Ich will den türkischen Pass nicht mehr. Ich mache auf dem Papier Schluss mit dem Land meiner Herkunft. Wie konnte es so weit kommen?
Bisher gehörte ich zu den wenigen Türkinnen, die legal über eine doppelte Staatsangehörigkeit verfügen. Ich empfand das immer als Segen, keineswegs als Fluch. Es entsprach meiner transkulturellen Identität. Denn ich bin beides, deutsch und türkisch. Seit einer deutschen Gesetzesreform im Jahr 2000 ist es für Bürger der Türkei eine absolute Ausnahme, beide Staatsangehörigkeiten zu besitzen. Ich gebe also freiwillig ein Privileg auf. Nein, meine Motive sind nicht türkeifeindlich. Aber sie haben mit der politischen Lage in der Türkei zu tun, vor allem mit der Meinungs- und Pressefreiheit, die dort in den letzten Jahren eine besorgniserregende Einschränkung erfahren haben und von einer zunehmenden Islamisierung der gesamten Gesellschaft begleitet werden.
Als Anwältin besorgt mich jede Einschränkung von Freiheitsrechten. Als säkulare Muslimin besorgt mich der zunehmende Einfluss von Religion auf die Politik. Die Meinungsfreiheit gehört weltweit zu den am stärksten bekämpften Rechten, sie wird attackiert von Regierungen, die fürchten, ihre Macht zu verlieren, wenn zu viel Kritisches über sie gedacht und geschrieben wird. So auch in der Türkei. Nach einem internationalen Ranking der Reporter ohne Grenzen rutschte die Türkei bei der Pressefreiheit auf Platz 148 von insgesamt 178 Ländern. Kein Wunder. Denn mit zahlreichen Verhaftungen von Journalisten versucht die aktuelle türkische Regierung, sich Autorität zu verschaffen. Sie behauptet, eine nationalistische Terrororganisation namens Ergenekon zu verfolgen, deren Absicht es sei, die Regierung zu stürzen. Man fühlt sich mittlerweile erinnert an die Türkei der achtziger Jahre nach dem Militärputsch, als es zum guten Ton gehörte, unliebsame liberale Journalisten und Autoren einzusperren.
Selbstverständlich ist die Türkei nicht das einzige Land auf dieser Erde, in dem so etwas passiert. Es ist aber meine ursprüngliche Heimat. Früher war ich froh darüber, und bis vor wenigen Monaten konnte ich zumindest damit leben. Nun finde ich aber: Es ist besser für mich, wenn ich nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitze und auf dem Papier ausschließlich Deutsche bin. Das ist eine bittere Entscheidung, weil ich mich als Juristin bisher vehement für die doppelte Staatsangehörigkeit eingesetzt habe. Ich werde dann nicht mehr einfach in die Türkeieinreisen und bleiben dürfen, solange ich will. Ich muss nach drei Monaten eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Es wird auch Probleme beim Erbe meines Elternhauses geben. Ausländer haben sehr eingeschränkte Rechte auf Grund und Boden. Doch diese Einschränkungen quälen mich kein bisschen. Man kann mir natürlich in Zukunft die Einreise verweigern, weil ich die Türkei öffentlich kritisiere, in den Augen einiger gar beleidige, indem ich die Rückgabe meines Passes mit den politischen und religiösen Entwicklungen begründe. Doch das Risiko nehme ich auf mich. Weil ich mir treu bleiben will. Weil man die Menschenrechte nicht halbherzig verteidigen kann.
"Ich gelte als Nestbeschmutzerin"
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