Yunus Emre – das Schaffen des Mystikers
Im 13. Jahrhundert bereits verfasste der islamische Volksdichter und Mystiker Yunus Emre (1241 – 1321) Verse und Gedichte in Türkischer Sprache, was zu der Zeit erstmalig geschah.
Aufgrund der singbaren, einfachen mystischen Verse wird der Name Yunus Emre immer auch mit den Aleviten in Verbindung gebracht, deren Tradition des Sprechgesangs „Nefes" (Atem) schon vor dem 9. Jahrhundert existierte. Die türkischen Aleviten vertreten bis heute die Meinung, das Yunus Emre die Entwicklung des Alevitentums maßgeblich geprägt und damit gefestigt hatte. Besonders die Preisungen Ali Ibn Abi Talip, einer Figur, die in vielen der Gedichten Emres erscheint, manifestieren diese Auffassung der Aleviten.
Nach sunnitischer Auffassung war er kein Alevit. In seinem Gedicht "Kabe'nin Yolları" (Die Wege zur Kaaba), das in ästhetischer Verklärung - laut sunnitischer Auffassung - von der erwünschten Pilgerfahrt [hadsch] erzählt und wie alle seine Werke und Lieder heute noch sehr gerne in Moscheen gesungen werden.
Bei genauer Analyse seiner Werke kann man zu dem Schluss kommen, dass Yunus Emre weder Alevit noch Sunnit war. Seine Gedichte deuten, wie bei vielen anderen Mystiker seiner Zeit, wie z.B. Dschalaleddin Rumi, auf eine schiitische Lehre, aus der sich die heutigen Aleviten abgespalten haben.
Diese Dichtungen und Verse Emres haben die Aleviten veranlasst, Emre als heiligen Dichter zu bezeichnen, auch wenn dies die offizielle Lesart des Glaubens nicht zulässt. Vielmehr gilt Emre als ein fortgeschrittener Schüler (Derwisch) des Sufismus, hier ganz speziell des Bektaschi Ordens. Mit seinen zahlreichen Gedichten und Liedern, die in den İlâhi-Sammlungen (Gesangbücher) überliefert sind, prägte Emre den anatolischen Humanismus über lange Zeit so sehr, das die UNESCO das Jahr 1990 zum Yunus-Emre-Jahr als „Jahr des Friedens und der Liebe" erklärte.
Angeblich befindet sich das Grab des Dichters Yunus Emre in der Yunus-Emre-Camii in der zentralanatolischen Stadt Karaman. Aber selbst in Wien gibt es einen Brunnen zu Ehren Emres, der mit Schriften des Mystikers verziert, im Türkenschanzpark von Wien steht.
Als sein bekanntestes Gedicht gilt seine Gottespreisung
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Meine Liebe zu Dir von mir nahm mich
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Gestern wie Heut brenne ich
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Das Dasein kann mich nicht erfreu'n,
Das Nichtsein kann ich nicht bereu'n,
Nur Deine Lieb' kann Trost mir sein.
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Dein Lieben tötet jedermann,
Taucht ihn in Deinen Ozean,
Es füllt ihn mit Erleuchtung an
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Vom Liebeswein will trinken ich,
Verwirrt in Berge stürzen mich,
Und Tag und Nacht denk' ich an Dich
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Weisen brauchen das Wort
Fromme brauchen der Hort
Madschnun braucht Leila dort
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Und wollt' man mich dem Tode weih'n,
Die Asche in den Himmel streu'n,
So würde dort mein Staub noch schrei'n:
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Das was genannt Paradies
Sind nur Schlösser und Huris
Wer es will, dem gibs'
Du für mich, ich brauch nur Dich!
Ich werde Yunus wohl genannt,
Und täglich wächst mein Liebesbrand
Ein einziges Ziel ist mir bekannt:
Du für mich, ich brauch nur Dich!