Lale Akgün - Der getürkte Reichstag
Lale Akgün ist nicht nur Türkin und Psychotherapeutin, sondern zudem politisch aktiv – ein Umstand, der bei beiden Bevölkerungsgruppen eher selten vorkommt.
Akgün war sogar von 2002 bis 2009 für die SPD im Bundestag. Ihre Erfahrungen in der SPD-Bundestagsfraktion, noch mehr aber die mit ihrer Familie verarbeitet sie in heiteren, manchmal boshaften Geschichten. Schon 2008 hat sie einen ersten Band mit Geschichten aus dem deutsch-türkischen Alltag vorgelegt („Tante Semra im Leberkäseland“), nun kommen ihre Erfahrungen als türkische Vorzeige-Fraktionskollegin hinzu.
Akgün vergleicht öfter die SPD-Fraktion mit einer Familie und kommentiert dies aus familientherapeutischer Sicht – zum Glück reitet sie aber auf diesen Vergleichen nicht all zu sehr herum. Statt dessen erzählt sie von den besorgten Nachfragen wohlmeinender Fraktionskollegen, ob ihr Mann sie denn allabendlich zurück nach Köln beordern würde; von den Sammelbestellungen eben dieser Kollegen zum Viagra-Import aus der Türkei; von ihrer Cousine, die ihren langweiligen deutschen Mann mit einem Araber aus Wien betrügt; von ihrer Kopftuch tragenden Tante Semra und ihrer schnodderigen, Zigaretten rauchenden Mama und von ihrem sparsamen und zwanghaft ordentlichen Mann Ahmet.
Die Geschichten sollen erkennbar ein Gegengewicht zum Klischee der traditionellen türkischen Familie mit Geschlechterhierarchie und muslimischer Lebensweise bilden, sie sind aber auch einfach ganz witzig und leicht verdauliche Lesekost (etwas mehr Tiefgang hätte nicht geschadet). Immer wieder setzen sich die Familienmitglieder auch direkt mit ihrer Situation als „Menschen mit Migrationshintergrund“ auseinander, zum Beispiel dann, wenn sie sich beim großen Familienstreit gegenseitig vorwerfen, „gar keine richtigen Türken mehr“ zu sein. Danach tritt erstmal Stille ein: „Eigentlich hätte jetzt jeder von uns etwas sagen können. Aber gerade weil wir richtige Türken sind, mussten wir unbedingt Mama den Vortritt lassen bei der Antwort. Weil sie die Älteste im Raum war. Abgesehen davon hätte sie es uns sehr übelgenommen, wenn sie ihre Verteidigung nicht selbst hätte in die Hand nehmen können; das war nun weniger türkisch, sondern mehr Latife.“
Am Freitag, den 17. Oktober 2014, kommt Lale Akgün im Rahmen des "Deutsch-Türkischen Literatur und Freundschaftsfests" im Rahmen des Projekts "Verständigungs- und Kulturreise entlang des ehemals Römischen Straßensystems" zu einer Lesung nach Regensburg in das Evangelische Bildungswerk.
Das Buch, aus der die Lesung erfolgen wird, ist: "Tante Semra im Leberkäseland"
Bei Familie Akgün war es nie langweilig. Dafür sorgten schon die unterschiedlichen Familienangehörigen: der politisch sehr begeisterungsfähige Vater, ein Zahnarzt, und die schlanke, vornehme Mutter, überzeugte Kemalistin und begeisterte Mathematikerin, einen Kopf größer als ihr Mann und völlig humorlos. Tante Semra, die erst nach Mekka pilgert, um eine echte Hadschi zu werden, und dann alles dafür tut, den Ramadan zu umgehen und sich Leberkäsebrötchen zu gestatten. Die Schwester, die den deutschen Adel für sich entdeckte und ihre Liebe zum Klatschblätterwald – von den deutschen Nachbarn und ihrer türkischen Gastfreundschaft ganz zu schweigen. Herrlich komische Geschichten von Türken und Deutschen, die so unterschiedlich und doch auch wieder so gleich sind.