Jede Wanderung, zumindest wenn man mit offenen Augen durch die Natur geht, bringt auch immer wieder neue Blickwinkel oder gar neue Erkenntnisse, denen man zwar schonoft begegnet ist, jedoch wenig bis gar nicht ergründet hat.
So auch hinsichtlich so genannter Kopfweiden während unserer letzten Wanderung, die uns von Memleben entlang der Unstrut bis zur Burg Wendelstein führen sollte, geschehen. Schon oft sind wir auf diese gestutzten Bäume gestoßen, hatten zwar über den tieferen Sinn nachgedacht und auch schon einige Ansätze mit Biologen besprochen, was in deren Theorien zu unterschiedlichen Begründungen geführt hatte.
Mit Kopfweiden bezeichnet man Weiden, deren Stamm als Jungbaum auf einer Höhe von etwa 1 bis 3 Metern eingekürzt wurde und deren Zweige in der Folge regelmäßig beschnitten werden, was im Volksmund gern mit Schneitelung bezeichnet wird. Auch andere Baumarten wie Eschen, Pappeln oder Linden werden geschneitelt, sodass sich daraus Kopfbäume entwickeln. Bei den Weiden nutzt man hierzu meist die Silber-Weide (Salix alba) oder die Korb-Weide (Salix viminalis).
Bewußte Verstümmelung - sinnvolles Unterfangen?
Schon oft haben wir bei derart behandelten Bäumen über Sinn und Zweck nachgedacht, auch Fachleute um Rat gefragt, der dann durchaus unterschiedlich ausfiel. Klar, an der Schnittfläche treibt der so behandelte Baum in großer Zahl neue Triebe aus. Diese „Ruten“ oder Äste lassen sich gut erreichen und zur wirtschaftlichen Nutzung abschneiden (schneiteln), bei der Weide beispielsweise um aus den „Zweigen“ Körbe zu flechten. Im Laufe der Zeit verdickt sich der oberste Abschnitt des Stammes; durch den wiederholten Kopfschnitt entsteht der Kopf der Weide. Ist eine Weide einmal zur Kopfweide geschnitten worden, muss sie regelmäßig gepflegt werden. Alle drei bis zehn Jahre ist ein Schnitt notwendig, dieser Zeitraum ergibt sich aus der gewünschten Nutzung, Ruten zum Flechten werden in kurzen Abständen geschnitten, für die Nutzung als Pfosten oder Stiele wird länger gewartet. Bereits ein um wenige Jahre längeres Intervall (15 bis 20 Jahre) und der Baum, mit seiner durch große Äste veränderten Statik, kann unter deren Last teilweise auseinanderbrechen. Dieser Effekt erklärt die große Anzahl an bizarren, beschädigten Kopfweiden, deren Vitalität aber derartig große Schäden noch lange kompensieren kann.
Nutzung als lebende Abgrenzungen und Zäune
Da Äste von Weiden früher häufig als Pfähle für das Errichten von Weidezäunen benutzt wurden, entstanden aus diesen Pfählen durch die enorme Regenerationsfähigkeit der Weiden oftmals sogar neue Pflanzen. Aus diesem Grund stehen Kopfweiden häufig in einer Reihe. Eine moderne Form der Weidennutzung ist der Lebendverbau, hierbei werden lebende Zweige zur Erstellung von Begrenzungen verwendet. Von der Befestigung von Hängen durch das Verwurzeln der Äste, bis zu beachtlichen Gebäuden aus lebendem Holz (wie z. B. einem Weidendom) reicht die Verwendungsmöglichkeit. Für den Einsatz als Faschine können sowohl lebende wie auch bereits getrocknete Ruten verwendet werden. Einerseits liefert totes Material eine hohe Belastbarkeit, aber die austreibenden, lebend verbauten Ruten sichern mit ihren Wurzeln die Erdmassen deutlich effektiver. Allerdings ist das dabei entstehende Weidenfeld nicht überall gewünscht.
Verwendung sogar im Hausbau
Die gewonnenen, dünneren Ruten wurden in früheren Zeiten, wie bereits erwähnt, für die Korbflechterei (Korb-Weide) oder in Verbindung mit Lehm als Baumaterial zum Flechten für Häuserwände benutzt. Ältere bzw. durchgewachsene Äste wurden für die Herstellung von Besen- und Werkzeugstielen verwendet.
Heute gibt es kaum noch eine wirtschaftliche Nutzung der Weiden, da sich industrielle Ersatzprodukte durchgesetzt haben; dementsprechend werden Kopfweiden heute auch nur noch selten gepflegt. Wird heutzutage noch eine Pflege durchgeführt, so meistens durch Naturschutzorganisationen, die sich für den Erhalt der Kopfweiden als Lebensraum zahlreicher Tierarten einsetzen, vor allem die in ihrem Bestand bedrohten Fledermäuse und Eulen. Diese Tiere finden in den häufig hohlen Stämmen Unterschlupf und Nistgelegenheit. Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Weiden mit ihren Kätzchen bieten den Bienen im Frühjahr die erste Nahrung. Darum werden in der Regel in einem Jahr nicht alle Weiden eines Bestandes geschneitelt, sondern abwechselnd immer nur einzelne.
Kopfweiden sind prägend für das Erscheinungsbild der Region Niederrhein aber auch anderer Regionen, wie z. B. Vorpommern oder Mecklenburg.
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