Wie bereits in einem ersten Blogartikel berichtet, war Ziel unserer Fahrt ins Wochenende das nordholländische Callandsoog, ein kleiner, idyllisch gelegenen Küstenort an der Nordsee, der besonders durch die Höhe und Schönheit seiner Sanddünen und seiner Radwege bekannt geworden ist.
Um das Gewusel auf den Straßen um Amsterdam während der Anfahrt zu vermeiden, hatten wir uns von Rheine kommend den Weg über den Zuiderdamm gewählt. An der einstigen Verbindungsstelle der ehemaligen Zuiderzee zum Wattenmeer (Waddenzee) ist durch den Bau des 29 Kilometer langen Abschlussdeichs (Afsluitdijk) eine Verbindungsstrasse entstanden, die bis heute als ein Meisterstück der Ingenieurbaukunst des Jahres 1932 gilt.
Der Deich ist 90 Meter breit und trägt auf seiner dem IJsselmeer zugewandten Seite die niederländische Autobahn 7 (Europastraße 22) und deren Fahrradweg. Er wurde als Teil der Zuiderzeewerke vor allem zum Schutz der Küste errichtet. Durch den Wegfall der Gezeiten im IJsselmeer konnten im Anschluss Wasserflächen leichter eingedeicht und trockengelegt werden. So entstanden große Polder in den Randbereichen des Sees, von denen die größten in der Provinz Flevoland liegen.
Römer bereits hatten Respekt vor den sumpfigen Flächen
Bereits die Römer kannten eine moorige, großflächige Wasserlandschaft in diesem Bereich, auch wenn der eigentliche See, genannt lacus Flevus, vermutlich sehr viel kleiner war als die spätere Zuiderzee. Der römische Feldherr Drusus ließ um 12 v. Chr. den so genannten Drusus-Kanal (fossa Drusiana) vom Rhein zum Flevosee anlegen, um den Weg der römischen Flotten in die Nordsee zu verkürzen. Eine große Rolle spielte diese Seeverbindung während der Germanicus-Feldzüge (14 bis 16 n. Chr.). Entstanden war diese Seenlandschaft vermutlich seit dem siebten vorchristlichen Jahrhundert. Bei Sturmfluten drang das Wasser schon damals weit in das flache und niedrig gelegene Land vor, um beim Rückfluss allmählich das hinter den Dünen liegende Moor abzutragen. Auf der anderen Seite wurde das Seensystem durch Zuflüsse der IJssel (rechter Ästuararm des Lek, auf deutscher Seite die Issel am rechten Niederrhein) sowie weiterer Bach- und Flussläufe zunehmend erweitert, so dass sich mit der Zeit ein großer Süßwasserstrom Richtung Norden bildete. Der Flevosee wurde daher mit der Zeit erheblich größer und daher bald Almere (Aalsee) genannt.
Eindeichung als Lösung vor großen Fluten
Mit der Julianenflut im Jahre 1164, der Allerheiligenflut von 1170 und endlich durch die Fluten von 1219 (Erste Marcellusflut) und 1228 brach das Salzwasser in das Gebiet ein – der natürlich entstandene Sanddeich war gebrochen, aus dem Binnengewässer entstand eine Meeresbucht im Norden der Niederlande. Mit dem Abtragen des Sumpfbodens des neuen Meeres bildete sich neben der Zuiderzee auch die Waddenzee (Wattenmeer) auf der Südseite der heutigen westfriesischen Inseln. Nach der Annexion des Königreichs Holland durch Napoleon Bonaparte gab es zwischen 1811 und 1814 das zum Französischen Kaiserreich gehörende Département Zuyderzée.
Erst mit der Errichtung des künstlichen „Abschlussdeichs“ im Jahr 1932 entstand erneut ein Binnengewässer. Aus der Zuiderzee wurde faktisch am 28. Mai 1932 um 13.02 Uhr durch Schließen des letzten Tores (De Vlieter) des Deiches das IJsselmeer („der IJsselsee“). Am 20. September erfolgte die offizielle Umbenennung. In der Folge wurden Teile der ehemaligen Zuiderzee als Polder trockengelegt (Zuiderzeewerke), darunter die heutige Provinz Flevoland einschließlich des Nordostpolders (Noordoostpolder) mit den ehemaligen Inseln Schokland und Urk. Hauptinitiator dieser Arbeiten war der Ingenieur und Politiker Cornelis Lely, nach dem die Flevoländer Provinzhauptstadt Lelystad benannt ist. Die größte Stadt auf Flevoland heißt Almere und gehört zum Einzugsbereich von Amsterdam. Als zusätzliche Fläche für diesen Ballungsraum ist Flevoland heute wichtiger denn als landwirtschaftliche Nutzfläche, für die es ursprünglich gedacht war.
Eindeichung brachte auch Gefahrenpotential
Der durch Eindeichung im Jahr 1932 künstlich entstandene heutige Süßwassersee besteht aus einem großen Teilgebiet der ehemaligen Meeresbucht Zuiderzee zwischen Friesland und Noord-Holland. Das zwischen Zuiderdamm und dem „Festland“ verbliebene IJsselmeer hat, abgesehen von einzelnen künstlichen Vertiefungen, zwischen 2 m und 5,5 m Wassertiefe. Seit 1976 ist es durch den Binnendeich (Houtribdijk) geteilt in das 1137,4 km² umfassende restliche IJsselmeer und, südwestlich davon, dass 700,6 km² große Markermeer. Zwei Schleusen bei Enkhuizen und Lelystad verbinden die Wasserflächen. Das Markermeer sollte ursprünglich als Polder Markerwaard trockengelegt werden. Wegen des kaum noch gegebenen Bedarfs an Neuland wurde der Bau 1991 auf unbestimmte Zeit verschoben.
Bereits beim Bau des Abschlussdeiches zur Nordsee erkannte man bei der niederländischen Generalität die militärische Gefahr, die der Festung Holland mit diesem neuen Zugang aus dem Norden drohte. Man reagierte darauf mit dem Bau der Festungen Den Oever und Kornwerderzand an den beiden Enden des Abschlussdeiches. Im Mai 1940, während des Überfalls im Zweiten Weltkrieg, konnte sich die angreifende deutsche Wehrmacht an dieser Stelle keinen Zugang zur Festung Holland verschaffen.
Der Name Zuiderzee findet sich noch auf historischen Karten und Dokumenten bis zum frühen 20. Jahrhundert und wird heute nur noch im historischen Kontext benutzt.
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