Erneut in Polen unterwegs, hatten wir für die Nacht in der Umgebung von Legionowo nach einer Unterkunft gesucht und waren direkt am Ufer des Zegrze-Stausees fündig geworden.
Der Zegrze-Stausee ist ein Stausee, der von den Flüssen Narew und dem Bug gespeist, in der Woiwodschaft Masowien nur wenige Kilometer nördlich von Warschau liegt. Der See ist bei Wassersportlern äußerst beliebt und dient den Bürgern Warschaus daher auch als Naherholungsgebiet. Schon bei der Anreise begegneten wir zahlreichen Fahrzeugen mit Bootsanhängern, die jetzt im November ihre Boote ins „Trockene“ verbrachten. Das Gebiet ist touristisch sehr gut erschlossen, so gibt es zahlreiche Marinas und exzellente Unterkünfte, auch zahlreiche hervorragende, gastronomische Betriebe, wie wir mehrfach erleben durften.
Zum Zegrze-Stausee bei noch herrlichem Sonnenschein
Unsere Ankunftszeit lag so günstig, dass uns Zeit genug blieb, die Umgebung ein wenig zu erkunden. Auch lernten wir schnell einige Details zum Fluss Narew sowie seinem Zufluss dem Bug. Wer von Beiden hier der Hauptstrom und wer Zufluss ist, darüber streiten sich, wie in vielen Punkten, die Gelehrten. Uns war es egal, denn der Narew ist ein aktuelles Beispiel dafür, dass entgegen den gewässerkundlichen Merkmalen eine Namensentscheidung den Nebenfluss als Hauptfluss erscheinen lassen kann. Das Flusssystem wird hier nämlich von zwei Hauptentwässerungslinien, der des Narew und der des Bug, dominiert, die sich erst kurz vor der Mündung in die Weichsel vereinigen. Die Dominanz des Bug ergibt sich wissenschaftlich aus folgenden Kenndaten:
Narew 146 m³/s Wasserdurchflussmenge 28.856 km² entwässernde Fläche 438 km Länge
Bug 158 m³/s Wasserdurchflussmenge 39.420 km² entwässernde Fläche 772 km Länge
Vor der Anlage des im Mündungsbereich von Bug und Narew gelegenen Zegrze-Stausees (33 km²) im Jahr 1962 galt in den Anrainerstaaten der Bug als der Hauptfluss. Nach dem Aufstau wirkt wegen des breiteren Tals und der örtlich konstant bleibenden Fließrichtung der Narew als der scheinbar bedeutendere Fluss. Am 27. Dezember 1962 erklärte Premierminister Józef Cyrankiewicz, dass für den Unterlauf in Polen fortan der Name Narew statt Bugonarew gelte.
Wie auch immer, der Stausee eignet sich zum Wassersport: Schwimmen, Tauchen, Segeln, Kajak und Sonnenbaden. Sport- und Hausboote aus Warschau können den See über den Weichsel-Bug-Kanal, der ihn unmittelbar mit der Weichsel verbindet erreichen.
Einige wissenswerte Details zum Narew
Die Quelle des Narew befindet sich in den Wäldern von Białowieża in Weißrussland, nördlich der Stadt Brest. Der Fluss verläuft in markant wechselnden Richtungen mehrfach durch Urstromtäler und breite Schmelzwasserrinnen, die im Vorfeld des weichseleiszeitlichen Inlandeises entstanden sind. Bei Nowy Dwór Mazowiecki nördlich von Warschau mündet der Narew von Osten in die Weichsel, kurz nach der Vereinigung mit dem am Mündungspunkt größeren Westlichen Bug.
Der stark mäandrierende Fluss Narew wird von zahlreichen Altarmen und Nebenarmen begleitet und gilt als einer der letzten erhaltenen anastomisierenden Flüsse Europas. Bis vor ein paar Jahren brüteten hier 151 Vogelarten in großer Dichte, wie zum Beispiel Tüpfelsumpfhuhn, Kleines Sumpfhuhn, Wasserralle, Rohrdommel, Zwergdommel, Blaukehlchen oder Rohrschwirl.
Das Tal des Oberen Narew wurde 1985 als Narew-Landschaftspark unter Schutz gestellt. Ein Teil davon gehört seit 1996 zum Nationalpark Narew.
Geschichtliche Bedeutung der Narew
Gemeinsam mit Pisa, Weichsel und San sollte der Narew die Grenze zwischen der deutschen und der sowjetischen Interessenssphäre bilden, wie sie im geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 vereinbart worden waren. In den anschließenden diplomatischen Vereinbarungen, vor allem dem Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939, wurde diese Grenze auf sowjetischen Wunsch nach Osten an den Bug verschoben und Polen damit zum vierten Mal geteilt, so dass der Narew fortan als Grenze keine Rolle mehr spielte.
Rückkehr in der Dämmerung
Wir machten uns dann langsam an den Rückweg, die Dunkelheit kam schnell und irgendwie überraschend. Am Steg zurück bemerkten wir eine junge Frau, die Selfie-mäßig im Wasser possierte. Klar lockte das schimmernde Wasser im Gegenlicht, aber ob man dafür eine Erkältung oder etwas Schlimmeres in Kauf nehmen sollte?
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