Pandemie und der Stoiker Marcus Aurel
- Geschrieben von Portal Editor
Pandemien haben schon oft unsere Welt erschüttert, ob, wie im Mittelalter, durch Schmutz und mangelhafte Hygiene oder wie in der Neuzeit durch unkontrollierbare Laborversuche mit dem Corona-Ausbruch.
Auch im 2. Jahrhundert nach Christus entvölkerte eine Pandemie ganze Landstriche. Wie ein römischer Kaiser Widerstand leistete, lesen Sie im Artikel von Renata Egli-Gerber.
Ausgrabungen in Avenches in der Schweiz
Fragen, die sich nie abschließend klären lassen. Die kostbare Goldbüste ist heute im Musée romain von Avenches zu sehen. Mindestens ebenso wertvoll wie sie ist für die Nachwelt die Schrift «Selbstbetrachtungen», deren Autor ganz ohne Zweifel Kaiser Marc Aurel ist. Er verfasste sie fern von Rom an der Donaufront, zum Teil in Carnuntum, dem heutigen Petronell in Niederösterreich.
Damals starben die meisten der von ihr Befallenen. Ganze Landstriche wurden entvölkert. Es gab Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Soldaten. Um die Militärausgaben zu bestreiten, musste Marc Aurel Schätze aus seinem Palast verkaufen. Heute sind die Pocken dank umfassenden und konsequenten Impfungen verschwunden. 1980 hat die Weltgesundheitsorganisation die Welt für frei von dieser Krankheit erklärt.
Denken soll der Mensch
Aus den «Selbstbetrachtungen» geht hervor, dass Marc Aurel Anhänger der stoischen Philosophie war, einer in Athen in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts entstandenen Denkschule. Als Stoiker war er überzeugt, dass auch Pflanzen und Tiere eine Seele haben. Doch allein den Menschen sei eine «denkende Seele» gegeben. Diese ermögliche ihnen, ein Staatswesen zu gründen. Auch das «leitende Organ», das die Stoiker im Gehirn vermuteten, sei allein den Menschen eigen.
Unermüdlich fordert Marc Aurel sich selber auf, von diesem Organ Gebrauch zu machen und die «denkende Seele» einzusetzen. Nur dann nämlich ließen sich die Menschen nicht von Zorn, Begierde, Angst und Schmerz fortreißen und letztlich zerstören. Immer wieder verweist er auf die Endlichkeit des Lebens und den untrennbar mit ihm verbundenen Tod.
Ein einziges Mal erwähnt er die gerade wütende Pest: «Die Verderbnis der Vernunft ist in einem viel höheren Masse eine Pest als irgendeine derart schlechte Mischung und Veränderung der uns umgebenden Luft.» Er folgt damit der damaligen Lehrmeinung, die Pocken würden durch verdorbene Luft übertragen.
Eine Art von Selbsttherapie
Er wandte sich mit seinem Buch nicht an römische Zeitgenossen und auch an keine andere Leserschaft: Er richtete sich schreibend nur an sich selber, als eine Art geistige Übung und Selbsttherapie. Dadurch wird die Schrift zu einem einzigartigen Dokument, das bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Der Text ist oft stichwortartig, wirkt sprunghaft und hastig hingeworfen. Auf kurze Aphorismen folgen längere Passagen. Und immer bleibt der unerschütterliche Glaube spürbar, dass trotz allen Schrecken das Weltganze ein bestens geordneter Kosmos sei.
Ständiges Werden und Vergehen, Leben und Tod seien in ihm enthalten. Darum sollten sich die Menschen vor dem Ende des Lebens nicht fürchten. Er ermahnt sich selber: «Grabe in deinem Inneren. In dir ist die Quelle des Guten und sie kann immer wieder sprudeln, wenn du gräbst.» Hingegen werde zwangsläufig unglücklich, wer die «Regungen der eigenen Seele nicht aufmerksam verfolge». Als Marc Aurel dies schrieb, war der im Jahr 121 n. Chr. geborene Kaiser Anfang fünfzig. Ein beträchtliches Alter für einen Römer jener Zeit.
Lauter schleimige Kerle
Er dankt seiner Frau Faustina dafür, dass sie «so hingebungsvoll, so zärtlich, und so unkompliziert» ist. Mit ihr hatte er dreizehn Kinder, von denen nur ein Sohn und eine Tochter die Eltern überleben sollten. Faustina begleitete ihren Mann auch auf einem der Feldzüge. Als sie auf der Rückreise über Kleinasien starb, überführte der Witwer die Urne mit ihrer Asche nach Rom. Dort liess er die Kaiserin in den Rang einer Göttin erheben.
Kritisch allerdings richtet sich Marc Aurel gegen das politische Establishment. Schon in frühester Jugend habe er gelernt, dass «die Adligen, die bei uns Patrizier heißen, meistens ziemlich lieblos und grausam sind». Und: «Die Ursache des Weltganzen ist ein reißender Strom. Wie nichtig sind doch diese politischen und, wie sie glauben, philosophisch handelnden Menschenkinder, lauter schleimige Kerle. Mensch, was nun?»
Die Menschen lieben, wie sie sind
Doch wie ein roter Faden führt durch die ganze Schrift die Aufforderung an sich selber und andere, die Menschen zu lieben, wie sie halt sind, und mit ihnen solidarisch zu sein. Ja, selbst «die Einfaltspinsel, die ihre Meinung äußern, bevor sie nachdenken», sollen in dieser Liebe eingeschlossen sein. Im Jahr 180 starb der Kaiser auf einem Feldzug in Vindobona, dem heutigen Wien, vermutlich an der nach ihm benannten Krankheit. Seinem Sohn Commodus war nur kurze Zeit an seinem Sterbebett vergönnt. Man fürchtete die Ansteckung.
Kaiser Marc Aurel kämpfte gegen die Germanen und gegen die Pocken, die im Römischen Reich wüteten. Und schrieb ein Buch, das sich heute noch liest, als wäre es gestern geschrieben.
Renata Egli-Gerber
Renata Egli-Gerber ist Altphilologin und lebt in Kreuzlingen. Gemeinsam mit ihrem Mann Urs Egli hat sie im Verlag Dr. Kovac 2018 «Zurück zum Logos. Der Logos als grundlegendes Prinzip von der antiken Philosophie bis zur heutigen Vernunftdiskussion» veröffentlicht. Ein modernes Fenster muss ziemlich viel leisten. Es soll das Licht der Jahreszeiten einfangen, doch deren Launen – Sturm, Regen, Kälte – Einhalt gebieten. Es soll eine Öffnung zur Welt sein, doch deren Lärm einen Riegel vorschieben. Es soll Blicke auf sich ziehen, doch Langfinger verzweifeln lassen.
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