Zuerst hatten die alten Römer die Idee, neben dem Bosporus, der das Mittelmeer mit dem Schwarzen Meer durch die Meerenge bei Istanbul verbindet, einen Bypass zu bauen, der die hohe Belastung der Meerenge durch den Schiffsverkehr mindert.
Vor einigen Jahren hat dann der türkische Premier Tayyip Erdogan, nun fast 2.000 Jahre später, diese Idee erneut aufgegriffen und dem Hohen Planungsrat in Ankara zur Prüfung vorgelegt. Und man höre und staune, der Hohe Rat hat das Milliarden-Projekt genehmigt. Die Türkei wird also einen Kanal bauen, der etwa 50 Kilometer lang vom Schwarzen Meer bis in die Ägäis reichen und somit den Bosporus entlasten wird.
Fährschiffe und Ausflugsdampfer gefährlich für den Frachtverkehr
Wer einmal in Istanbul am Bosporusgewesen ist, kann sicherlich sehr gut nachvollziehen, dass das hohe Schiffsaufkommen in der Meeresenge tatsächlich ein riesiges Gefahrenpotential für die Stadt und die umgebende Natur bildet. Etwa 150 Frachtschiffe unterschiedlicher Nationalitäten und so unterschiedlichem Frachtguts, das mitten durch Istanbul transportiert wird. Vor allem Gas- und Öltanker mit täglich etwa 300.000 Tonnen Gas oder Öl werden jeden Tag durch den Bosporus geleitet. Ein wirklich kaum einschätzbares Gefahrenpotential für die Menschen in der Megacity Istanbul. Eine Kollision zweier Schiffe könnte verheerende Auswirkungen haben. Die Fahrt durch den Bosporus ist für die Kapitäne der Schiffe jedes Mal eine echte Herausforderung, denn es gibt 14 enge Kurven, die zu durchfahren sind. Starke Strömungen im Wasserausgleich zwischen Schwarzem Meer und der Ägäis machen es nicht einfacher, die 32 Kilometer des Bosporus zu passieren. Eine weitere mögliche Kollisionsgefahr wird durch die vielen Fährschiffe und Ausflugsdampfer verursacht, die ständig zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Stadt Istanbul pendeln und dabei immer die Nord-Süd Richtung der Großschifffahrt kreuzen. Und noch ist die Anzahl der Schiffe ansteigend. Ist es da nicht eine wirklich gute Idee, denBosporus als bislang einzige natürliche Verbindung zwischen den Meeren durch den Bau eines Kanals zu entlasten?
Erstmals in der Moderne tauchte der Plan eines Kanals parallel zum Bosporus in den Medien auf, als Erdogan Oberbürgermeister von Istanbul war. Mit der Entscheidung des Hohen Planungsrates jetzt werden die Planungen merklich konkreter, allerdings nicht wie die Römer, die den Sangarius Fluss und den Sapanca See in ihr Bauvorhaben mit einbinden wollten, will die Regierung Erdogan einen komplett neuen Kanal etwa 40 Kilometer westlich des Bosporus vom Terkos-See an der Schwarzmeerküste nach Süden ziehen, der zwischen den Ortschaften Silivri und dem Büyükcekmece-See das Marmarameer erreichen soll. Geplant ist eine Breite von 150 Metern bei einer Tiefe von 25 Metern, so dass selbst Supertanker die künstliche Wasserstraße benutzen können. Nach den jetzt genehmigten Plänen können bis zu 160 Schiffe täglich den Kanal passieren, so dass damit derBosporus komplett entlastet werden könnte. Baukosten von etwa 10 Milliarden Euro sind kalkuliert worden.
Kanalbau - ein realistisches Projekt, von dem die Welt sprechen wird!
Zwischenzeitig sprach selbst Erdogan von einem „verrückten“ Projekt, das nun durch den Hohen Planungsrat genehmigt wurde und zur Umsetzung ansteht. Es ist längst nicht das einzige Großprojekt was in der noch immer boomenden Wirtschaftsphase in der Türkei umgesetzt werden soll. Beiderseits des Kanals könnten so Trabantenstädte zur Metropole Istanbul entstehen, das langsam aus allen Nähten platzt. Offizielle Zahlen sprechen von 14 Millionen Einwohner, tatsächlich sind es eher 18 – 20 Millionen Menschen, die den Moloch Istanbul bevölkern. Auch der neue Großflughafen soll in der Kanalzone gebaut werden, der laut seiner Planer der größteFlughafen der Welt werden wird. Bisher gibt es keine offiziellen Angaben zu den Bauzeiten und wann mit dem Projekt überhaupt begonnen wird. Falls Istanbul, das sich auch für die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2020 beworben hat, den Zuschlag erhalten kann, ist die Kanalregion auch für den Bau der Sportstätten vorgesehen. Somit kann von umfassender Planung gesprochen werden, die im Ergebnis dazu führen wird, das die Türkei zu den zehn größten Wirtschaftsnationen der Erde aufschließen wird. Der türkische Wirtschaftsminister Ali Babacan formuliert die es wie folgt: „..ein realistisches Projekt, von dem die Welt sprechen wird“.
Natürlich ruft die Veröffentlichung der Projektidee auch die Umweltschützer auf den Plan, denn der Kanal wird ein für Istanbul wichtiges Waldgebiet durchschneiden, das zur Wasserversorgung der Stadt von großer Bedeutung ist. Natürlich wird ein Großprojekt wie dieser Kanal auch ganz erheblichen Einfluss auf das Klima insgesamt haben, Fauna und Flora der Region wird sich stark verändern. Ob sich die Politik hier auf Untersuchungen zur Erstellung von Prognosen der nachhaltigen Veränderungen einlassen wird, bleibt dabei zunächst noch offen.
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Die Stadt ist der türkische Schmelztiegel an Innovation, moderner Lebensfreude und jugendlicher Aufmüpfigkeit. Am Bosporus boomt die Wirtschaft, herrscht reger Handel und Wandel und werden die neuesten Trends des Landes zwischen Orient und Okzident, zwischen Kommerz und Koran vorgegeben. Gleichzeitig pflegt man liebevoll sämtliche Klischees aus 1001 Nacht: mit illuminierten Kuppeln und Minaretten, orientalischen Basaren und glitzernd-rasselnden Bauchtänzerinnen.
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