Das Kloster Mar Gabriel von Hah / Anıtlı
Eine Vielzahl an Klostern und Kirchen rund um den Ort Midyat lohnen einen Besuch, allen voran das wohl bekannteste Kloster Mor Gabriel.
Aber auch die kleineren oder besser gesagt, die weniger bekannten Klöster sind absolut sehenswert, sei aufgrund der baulichen Struktur oder der noch immer funktionierenden Aufgaben im Rahmen ihrer Gemeindetätigkeiten und das trotz all der Probleme mit der umgebenden Bevölkerung.
Besonders sehenswert ist die als Kleinod oder Perle des Tur Abdin bekannte wunderschöne Marienkirche der ehemaligen Klosterkapelle von Anıtlı (das aramäische Hah), einem Christendorf, das etwa 22 Kilometer nördlich von Midyat liegt. Bis zum heutigen Tag wird die Marienkirche von der kleinen, hier ansässigen Gemeinde für Gottesdienste genutzt und weitestgehend auch von den heute hier lebenden Kurden toleriert, da ein Großteil der christlich-aramäischen Einwohner nach Australien, Schweden, die Niederlande, Belgien, Österreich und Deutschland in den 80er Jahren ausgewandert sind. In den deutschen Städten Bietigheim-Bissingen, Heilbronn, Gütersloh, Wiesbaden und Füssen trifft man auf größere Gruppen Hahoye, wie sich die Bewohner von Hah selbst nennen.
- 1870 lebten in Hah 30 aramäisch-christliche und 15 kurdische Familien
- 1915 lebten in Hah 100 Familien
- 1980 lebten in Hah 80 Familien
- 1987 lebten in Hah 42 Familien
- 2000 lebten in Hah 13 Familien
- heute leben in Hah 22 Familien
Der Legende nach ist die Marienkirche in Anıtlı entstanden, nachdem die Drei Weisen aus dem Morgenland, genauer aus Bethlehem, von ihrer Mission zurück gekehrt waren. Angeblich hatten sich nach der Geburt des Christuskindes Jesus hier 12 Könige versammelt, die nach Bethlehem zur Huldigung des Kindes ziehen wollten. Die strapaziöse Reise wurde allerdings nur von Dreien der Könige tatsächlich durchgeführt, die dann aus Dankbarkeit von der Christusfamilie ein Kleid, manche Quellen sagen auch eine Windel, des Christuskindes erhielten. Nach ihrer Rückkehr wollten die drei Könige das mitgebrachte Stück unter sich aufteilen, was allerdings nicht gelang ohne das Kleidungsstück zu zerteilen. Die Idee, es im Feuer zu verbrennen und dann die Asche aufzuteilen, führte dazu, das sich im Feuer das Kleidungsstück in Amulette der Anzahl der Könige entsprechend verwandelte, die auf der Vorderseite den jeweiligen König und auf der Rückseite das Bild der Maria zeigte. Ob es dabei nun zur Verwandlung von 12 oder nur von 3 Amuletten kam, ist ebenfalls umstritten. Aus Dankbarkeit jedenfalls sollen die Könige die Marienkirche errichtet haben.
Aufzeichnungen alter Geschichtsschreibungen deuten allerdings darauf hin, das die Kirche aufgrund einer Stiftung des Kaisers Theodosius II im 5. Jahrhundert um 449 nach Christus auf vorhandene Fundamente gebaut worden ist. Die Fundamente sind allerdings älteren Datums.
Der kubische Baukörper der Marienkirche wurde ursprünglich von einer großen Kuppel überdacht wie man sie auch bei anderen Bauten vorfindet. Durch die Witterung über Jahrhunderte in Mitleidenschaft gezogen, war es aber notwendig geworden, diese Kuppelkonstruktion abzubauen und eine neue Konstruktion zu finden. So lässt sich heute der alte untere Teil bis zur ersten Arkadenreihe als ursprünglich datieren, der daran anschließende Teil des oberen Stockwerks entstammt jedoch aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch er erhielt eine Arkadenreihe, die Kuppel wurde jedoch wesentlich kleiner konzipiert.
Vielen Reisenden sind die der Maria gewidmeten Kirchen auch unter dem Namen El Adhra bekannt, was soviel wie die „Verehrte“ bedeutet.
Hah - Anitli / Helga Anschütz
Obwohl Hah auch im Norden des Tur 'Abdin und in einem Gebiet liegt, das hauptsächlich von Kurden beherrscht wird, nimmt es doch im Bewusstsein der syrischen Christen einen solchen Platz ein, dass es von ihnen trotz aller Schwierigkeiten noch gehalten wird. Das Dorf liegt 22 km nördlich von Midyat an einer neu angelegten Piste Midyat-Hah, die in einem Bogen über Zahuran am Wadi Salo bei Miden auf die Straße Mardin-Cizre stoßen soll.
Hah liegt im Zentrum einer fruchtbaren, hügeligen Landschaft, die von kleinen Wäldchen, Obst-, Walnuss- und Mandelbäumen und Weinfeldern geprägt ist. Ein Teich am Dorfeingang sammelt das Regenwasser. Ruinenfelder umgeben den Ort kilometerweit.
Da Dorf und Umgebung nur wenig erforscht sind, ist über die frühere Bedeutung dieses Landstrichs so gut wie nichts bekannt. Bei den Christen haben sich aber noch viele Legenden erhalten, durch einige bekannte bauliche Überreste immer wieder belebt. Heute (1980) leben in Hah 517 (477) Einwohner, fast alles Christen. Man spricht hier Turojo und Kurdisch. Vom Kloster "Mar Sarkis Bakos" am nördlichen Ortsende kam früher der Mönch Jakub Kurt zur Gemeinde. Er siedelte aber aus Sicherheitsgründen um 1979 in die Marienkirche über. Hier besteht eine Sonntagsschule mit einem Malphono.
Viele christliche und muslimische Wallfahrer besuchen die Dorfkirche "Joldath Aloho" ("Al Adhra"), die Marienkirche, von abendländischen Kunsthistorikern als Juwel syrischer Baukunst" angesehen. Die nach einheimischer Überlieferung von den "Drei Weisen aus dem Morgenland" auf ihrer Rückreise aus dem "Heiligen Land" gegründete Kirche ist in Form eines Oktagons erbaut. Sie trägt eine mit roten Ziegeln bedeckte Kuppel, um die ein Fries aus Halbsäulen und Nischen mit Reliefs von Adlern, Vögeln und Kreuzen verläuft. Im Innenraum an Kapitellen Blatt- und Wulstornamente-, der Altarbogen ist mit Weinranken-, Blumen- und Muschelornamenten verziert.
Aus dem Legendenschatz um die Marienkirche in Hah wird gern die Geschichte von den "Drei Weisen" erzählt: Auf ihrer Reise nach Bethlehem kamen 12 Könige aus dem Fernen Osten in die große Stadt Hah; nur drei von ihnen zogen weiter, während die anderen dort blieben, ihre Turbantücher wuschen und sie am Feuer trockneten. Als die Tücher in die Asche fielen, sahen sie das Bild eines Königs auf jedem Tuch und nahmen daraufhin den Glauben des neuen Königs an. Diesem erbaute die Bevölkerung die Kirche der Jungfrau Maria. Lange Zeit wurden die Tücher aufbewahrt, sind aber heute verschwunden. - Die andere Version spricht von der Kirchengründung auf der Rückreise der Weisen vom Heiligen Land. Ein historischer Bericht führt den Bau der Muttergotteskirche dagegen auf eine Stiftung durch den Kaiser Theodosius II. (gest. 449) zurück.
Die größte Kirche vom Tur 'Abdin war "Mar Sobo" in Hah, heute ein Trümmerhaufen; nur das 27,3 in lange Kirchenschiff mit Ornamenten und Inschriften und ein halbzerstörter Turm blieben stehen. Von dem bekannten Kloster "Mar Samuel" findet man nur noch einige Räume, mit Säulen, Mosaiken, Ornamenten und Inschriften. - Heute sind hier Schafe und Ziegen untergebracht. Über dieses Kloster berichtet die Überlieferung, es sei im Jahre 508 vom heiligen Samuel anstelle eines Heidentempels errichtet worden. Damals habe eine Seuche den Ort "Hahta" heimgesucht. Um die Bevölkerung zu retten, hätten die Notabeln den Abt Samuel vom Kloster Qartarnin gebeten, in der Kirche "Mar Sobo' von Hah für die Befreiung von der Seuche zu beten. Nachdem Samuel und seine fünf Mitbrüder einige Gebete gesprochen hätten, sei die Seuche aus dem Ort verschwunden. Nach dieser wunderbaren Errettung habe Samuel den Heidentempel in Hah vernichtet.
Auf einer Anhöhe im Norden überragt eine große Burganlage mit eingebauten Häusern und Wohnungen den Ort und seine Umgebung. Auf dem großen Innenhof weidet das Vieh. Zu Lebzeiten des heiligen Gabriel (geb. 593 in Qusta bei Hah) war Hah eine, bekannte Burg. Von den Burgmauern aus sieht man nordöstlich das nahe gelegene Kloster "Mar Sarkis Bakos", in dem Mönch Jakub Kurt jahrelang wohnte. Dieses oft zerstörte und immer wieder aufgebaute Gebäude erweckt auf den ersten Blick nicht den Eindruck von kunsthistorischem Wert.
Hah war das erste Bistum im Tur 'Abdin; erst 1089 wurde das Gebiet in die zwei Bistümer Qartamin und Hah aufgeteilt. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts residierten hier 18 Bischöfe. Einige von ihnen wurden bei den zahlreichen Kurdenüberfällen zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert getötet. Mit der Zerstörung durch die Tataren um 1400 verlor der Ort endgültig seine alte Bedeutung.
In der Kirchengeschichte wurde Hah (Haa, Hani) häufig im Zusammenhang mit den hier residierenden Bischöfen, Mönchen, Kopisten, Inschriften und Autoren erwähnt. Der bekannteste in Hah ausgebildete Autor war Patriarch Basil Mas'oud Anton, dessen mystisches und monastisches Werk "Das spirituelle Schiff' weltweit gelesen wurde.
Um 1870 lebten in Hah 30 christliche und 15 kurdische Familien. Der Ort war von großen Ruinenfeldern umgeben; Kirchen und Klöster lagen in Trümmern; nur die Burg war offenbar noch erhalten. 20 Jahre später fand Party hier die "Ruinen von 20 und mehr Kirchen". Nur die Kirche "AI Adhra" war erhalten geblieben, weil sie auch von den Muslimen verehrt wurde; diese lebten hier mit den Christen zusammen. Die Bevölkerung glaubte, daß die Kirche von den "Drei Weisen" errichtet worden sei. Auch die Geschichte vom "Malik Hanna, der ins Frankenland gereist sei, und auf dessen Rückkehr man hier noch warte", erzählte ein Mönch dem Reisenden. Wegen der großen Unsicherheit wurden für den Patriarchen reservierte Trauben im Hof der Marienkirche gelagert. (Das konnte ich auch bei meinem Besuch 1975 in Hah beobachten.) - Die Dorfbewohner wagten sich aus Furcht vor den türkischen Beamten nicht nach Midyat, weil sie eine ihnen auferlegte Sondersteuer nicht bezahlt hatten.
Die Christen waren von den Kurden abhängig, hatten aber eine ausreichende Lebensgrundlage; alle Häuser sind kurz vor dem 1. Weltkrieg neu erbaut worden. Obwohl Gertrude Bell die großen Ruinenfelder in der Umgebung besichtigte, fand sie merkwürdigerweise dennoch keine Spuren von alten Klöstern (vermutlich wurde sie von den Dorfbewohnern nicht richtig informiert, denn die Überreste des Klosters "Mar Samuel" waren bei meinen Besuchen 1967 und 1975 noch ganz gut erhalten).
Sehr beeindruckt zeigte sich die Forscherin über die Begegnung mit einer "Nonne" (wahrscheinlich die aus der Frühzeit der syrischen Kirchengeschichte überlieferte "Bundestochter"). Entgegen dem einheimischen Brauch, daß Frauen und Männer getrennt voneinander saßen und sich unterhielten, konnte diese Nonne kommen und gehen, wann sie wollte. Sie war sogar bereit, sich nötigenfalls mit einem Revolver zu verteidigen, wenn ein Massaker drohte. (Als ich 1965 zuerst den Tur 'Abdin besuchte, wurde ich auch bald als eine Art "Bundestochter" angesehen und entsprechend behandelt. Man verwies dabei auf die einheimische Tradition.)
Gertrude Bell konnte eine wertvolle Estrangela-Handschrift einsehen, die der Kirche von Hah gehörte. Diese Handschrift ist heute verschollen, wahrscheinlich dem 1. Weltkrieg zum Opfer gefallen oder aber während dieser Zeit geraubt worden. Wie ich erfuhr, sammeln auch reiche Muslime alte christliche Handschriften; das halten sie aber geheim.
Quelle: Helga Anschütz, Die syrischen Christen vom Tur Abdin, 1984