Das andere Zypern - Nordzypern eine Reise wert!
Seit der Teilung der Insel setzte man häufig Nordzypern gleich mit Zerfall und Geisterstädten. Längst überholt, wovon wir uns selbst überzeugen konnten. Mehr und mehr öffnet sich der Inselnorden behutsam dem Tourismus.
Ruinen, links und rechts der Straße, die sich durch die helle Hügellandschaft windet. Da vorn war mal ein Dorf, Leben und Menschen. Ein Zuhause. Dann kamen die einen aus dem Süden und die anderen aus dem Norden und führten Krieg gegeneinander, und die Gegend wurde Pufferzone entlang einer neu gezogenen Grenze, die sich seit 1974 quer durch Zypern zieht. Von den UN bewachter Verfall, 42 Jahre schon, in denen die Natur sich die Gegend zurückeroberte.
Doch jetzt ist hier wieder eine Straße, größer als die alte, asphaltiert und zweispurig. Mitte Oktober wurde sie eingeweiht: der siebte Grenzübergang zwischen dem türkisch besetzten Teil Zyperns im Norden und dem international anerkannten Staat im Süden. Die Grenzöffnung wurde von der Politik groß gefeiert, Zelte, Stühle und Rednerpulte wurden mitten auf die Straße gestellt, wo der EU-Erweiterungskommissar den Tag als ein Signal für den Fortschritt pries und mit mahnender Stimme an die Berliner Mauer erinnerte: "Der Mauerfall wurde von dem starken Willen des Volkes herbeigeführt", sagte er, und dass er das Gleiche den Zyprern wünsche.
20 Autominuten entfernt liegt das Dorf Yesilirmak. Auf der Terrasse vor dem Café sitzen ein paar Männer auf Plastikstühlen unter Weinlaub und trinken türkischen Mokka. Haben sie die Grenzöffnung gefeiert? Schweigen, skeptische Blicke. "Es gab keine Musik", sagt schließlich ein kleiner Mann um die 60. Er hebt seine Hand und schnipst in die Luft. "Wäre das ein Festtag gewesen, hätte es Musik gegeben, und ich hätte getanzt." Er steht auf, breitet seine Arme aus und deutet Tanzschritte an. Dann setzt er sich wieder, zufrieden. "So sieht es aus, wenn ein Festtag ist." Aber es war eben keiner.
Das Dorf Yesilirmak hat sich gegen die Grenzöffnung gewehrt. Jetzt ist man Teil einer Durchfahrtstrecke für Zyprioten, griechische Zyprer, die in die Hauptstadt wollen. Die Dorfbewohner sehen darin keinen Nutzen, nur Dreck, Lärm und eine Störung ihres Idylls. Warum sollten sie den Griechen einen Gefallen tun? Der Zypern-Konflikt hat viele junge Leute vertrieben, Schulen schlossen und Geschäfte. Heute leben hier nur noch 600 Menschen.
In der geteilten Hauptstadt Nikosia lächelt der nordzyprische Regierungssprecher, als er nach dem Unwillen der türkischen Zyprer zur Grenzöffnung von Yesilirmak befragt wird. "Das war ein Moment, in dem die Regierung Führungsstärke zeigen musste", erklärt Osman Ertug diplomatisch. Wie lebt der türkische mit dem griechischen Teil der Insel? "Das ist wie in einer Ehe, jeder muss Zugeständnisse machen." Die Regierung seines Landes, das nur von der Türkei anerkannt wird, hofft darauf, dass endlich Bewegung in die Zypern-Frage kommt. Er findet, die Grenzöffnung sei ein gutes Beispiel für die notwendige Annäherung.
Gewalttaten und Unruhen nach der Unabhängigkeit ganz Zyperns 1960, die erst mit dem Einmarsch des türkischen Militärs im Inselnorden 1974 beendet wurden, haben auf beiden Seiten tiefes Misstrauen hervorgerufen. Es sitzt so tief, dass die Republik Zypern 2004 gegen die Vorschläge des UN-Vorsitzenden Kofi Annan stimmte, die eine Vereinigte Republik vorsahen.
Fatih Bildircin ist Zyprer. Das "Die-gegen-uns", Türken gegen Griechen, das viele seiner Landsleute beschwören, liegt ihm nicht. "Wir sollten lieber nach Gemeinsamkeiten suchen", erklärt er später im Auto, als wir vorbeifahren an der Kornkammer des Landes, die auf Türkisch "Güzelyurt", die schöne Heimat, heißt und die früher mal die schöne Heimat von Griechen war. Die Orangen, die hier wachsen, werden im Land bleiben, das Handelsembargo verbietet den Export. Im Hintergrund sieht man "Besparmak Daglari", den Felsen der fünf Finger, der seinen Namen von einer Legende hat, die Türken wie Griechen ihren Kindern erzählen: Der riesenhafte byzantinische Held Dighenis sei vor den Arabern geflohen. Beim Sprung über die Meerenge zwischen Kleinasien und Zypern habe er sich an diesen Felsen gekrallt - was blieb, war der Abdruck seiner Hand. Nordzypern ist ein wildes Naturschauspiel, und die Menschen hier haben eine schönstörrische Herzlichkeit, man kann Dighenis ganz gut verstehen, würde sich selbst gern in diesen Felsen krallen und bleiben.
Fatih Bildircin kam mit Anfang 20 nach Zypern. Er wurde in Deutschland geboren, ging hier zur Schule, hat Ingenieurwesen studiert. Doch eine Aussicht auf Arbeit gab es nicht. In Nordzypern aber bekam er sofort einen Job. Fatih Bildircin wurde Reiseleiter, einer der ersten der Gegend. Er hat den noch jungen Tourismus Nordzyperns mitaufgebaut, er kennt die Geschichte jedes Steins in den erblassten Ruinen der Ritterburgen Kantara und St. Hilarion, er ist zu Hause in den römischen Ausgrabungen von Salamis und der mittelalterlichen Abtei Bellapais. Wen Fatih Bildircin durchs Land führt, dem erklärt er mit viel Liebe und Geduld die Ikonen in den alten Klöstern, die klebrigen Süßigkeiten Famagustas und jede Pflanze, die um die hellen Kalkfelsen der Gebirgsketten wächst.
Zypern ging durch viele Hände, und Fatih hat sie alle studiert: Römer, Raubritter, Griechen, Türken, Engländer, kurdische und anatolische Siedler. Auch die UN haben hier ein eigenes Gebiet: die Pufferzone zwischen dem Norden und Süden. Seit der Teilung 1974 bewachen UN-Soldaten auch die Geisterstadt Varosha, eine Hotelsiedlung aus der Ära des Massentourismus direkt am Strand, durch deren Betonruinen heute der Wind pfeift.
Zuletzt kamen israelische und englische Investoren und wiederholten die Fehler der Vergangenheit: Sie pflanzten grässliche Neubauten an Nordzyperns Küste. In Bafra etwa, wo sich hinter Pseudotempelanlagen Luxushotels und Kasinos verbergen, die Geschäftsleute zu Konferenzen und Tagungen nutzen. Mitten in der Nacht gibt es dann einen Shuttle-Service zum nächstgelegenen Nachtklub, in dem vor allem Frauen aus dem ehemaligen Ostblock arbeiten.
Doch es gibt noch ein anderes Nordzypern, das ursprüngliche: Karpaz, die Halbinsel, die ihren Arm ins türkisblaue Mittelmeer streckt. Hier wachsen die Symbole der Insel: knochige Olivenbäume und die Zypressen, von denen die Insel ihren Namen hat. In dieser geschützten Natur agiert Zekai Altan, der Ökopionier Nordzyperns. In seinem "Nitovikla Garden Hotel" mitten in einem eher schlichten Dorf belebt er bewusst die zyprische Kultur, nicht die türkische und nicht die griechische. Altan lässt seine Gäste Kaffeebohnen mahlen, er serviert ihnen selbst gekelterten Süßwein, organisiert Eselausritte und behandelt seine Gäste so, als seien sie ein lange vermisstes Familienmitglied, dem man die verlorene Heimat wieder näherbringt. Zekai Altan kommt aus Erdim, heute ein Teil des griechischen Inselsüdens. Hat er sich über die Öffnung von Yesilirmak gefreut? "Ich will, dass alle Grenzen offen sind", sagt Altan. Er fährt seit Jahren in den Süden. "Und die griechischen Zyprer kommen zu mir. Sie essen an meinem Tisch, und dann sagen sie: Ach, dieses Fleischgericht erinnert mich an meine Kindheit, das hat meine Großmutter immer gemacht. Ich hatte es fast vergessen."
Die Halbinsel Karpaz ist berückend schön: Hier gibt es wilde Esel und Babyschildkröten, weite einsame Strände, kleine romantische Hütten für Touristen und Restaurants direkt am Meer, aber nur ganz wenige, sodass man, wenn man denn will, stets noch einen Fleck für sich allein findet. Die Dörfer der Gegend erzählen recht deutlich die jüngste Geschichte des Landes. Überall gibt es eine alte Kirche und eine neue Moschee, Zeichen der ehemaligen Bewohner und der heutigen Siedler aus der Türkei. So ist es auch in Dipkarpaz, wo noch ein paar Griechen leben, die ihre Heimat nicht verlassen wollten. Hier lebt Mohamer, dessen Vater mit der türkischen Armee 1974 das Gebiet besetzte oder schützte - je nach Perspektive. Ihm gehören die Souvenir- und Nussstände am Kloster St. Andreas ganz an der Spitze der Halbinsel, zu dem endlos scheinende Dünenstrände hinführen.
Mohamer ist in den 80er-Jahren geboren, er kann mit der Debatte um nationale Befindlichkeiten nicht viel anfangen. "Bei uns im Fußballverein", sagt er, "da spielen seit ein paar Monaten auch zwei Griechen." Es habe Druck aus dem Süden gegeben, als man dort von der Sache Wind bekam, "Aber wir kicken weiter zusammen", ergänzt Mohamer. "Das sind gute Spieler." Mehr gebe es zu der Sache nicht zu sagen. Er blickt auf das Kloster, wo der Pope gerade zum Abendgebet anhebt. Auch das sei völlig normal, sagt er, der Muslim. Seine Mitarbeiter beginnen mit Planen die Souvenirstände abzudecken, dahinter senkt sich die Sonne rot ins Meer. "Noch einen Tee?"
Anreise: Nordzypern wird nur von der Türkei aus angeflogen. Turkish Airlines fliegt von Frankfurt, Düsseldorf, München, Köln, Hamburg, Hannover, Berlin, Stuttgart und Nürnberg via Istanbul zum Flughafen Ercan bei Nikosia. ES gibt eine Autofährverbindung von Tasucu nach Girne und mehrere Personenfähren, so in der Sommerzeit auch von Alanya nach Girne.
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https://www.alaturka.info/de/zypern/564-das-andere-zypern/amp#sigProId898bd15b4a
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Reiseführer Zypern / Ralph Raymond Braun
Die in eine türkische Nord- und eine griechische Südhälfte geteilte Insel liegt geographisch, ethnisch und politisch an der Schwelle zwischen Orient und Okzident. Mit ihren vielfältigen Landschaftsformationen wie dem zerklüfteten Hügelland, den Traumstränden im Westen oder den reichen Waldbeständen im Tródos-Massiv ist sie ein Dorado für Naturliebhaber und Aktivurlauber.