Seminar in Adrasan - Menschenlandschaften
Als wir zu dem im Folgenden beschriebenen Seminar nach Adrasan eingeladen wurden, wollte ich so gerne teilnehmen.
Doch da ich wusste, dass mein Teamkollege zur selben Zeit aus geschäftlichen Gründen in Deutschland sein würde, machte ich mir einen Plan, wonach ich nach den intensiven Tagen in Izmir an diesem Wochenende ausruhen und mir die Zeit auf spontane Weise vertreiben würde.
Als wir uns in Izmir trafen fragte mich Detlef, „Was meinst du, sollen wir teilnehmen?“ Meine Antwort war „Das wäre toll!“ und diese Antwort löste auch bei ihm eine gewisse Begeisterung aus.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie auf einmal meine Gefühle in Wallung kamen und wie ich in den darauffolgenden Tagen voller Ungeduld auf das Wochenende wartete.
Bei meiner Ankunft in Antalya war es ein grauer Farbton, der den Himmel bedeckte und die Temperaturen ließen mich frösteln, doch weder das Wetter noch die nassen Straßen konnten meine gute Laune verderben. Nach demFrühstück treffen wir uns auf dem Hochschulgelände der Akdeniz – Universität mit Rolf, der dem Team des Akvam (Zentrum der Akdeniz – Universität für Forschungen und Praktiken bezüglich der europäischen Union) angehört, welches neben anderen Einrichtungen das Seminar veranstaltet. Wir trafen auch mit Özlem zusammen, die als Organisationsleiterin vom Goethe – Institut am Seminar teilnahm. Später gesellte sich auch noch Herr Osman Okkan zu uns, der – wie wir erst im Nachhinein mitbekommen sollten - als das Herz des Seminars bezeichnet werden kann. Zusammen machen wir uns auf den Weg nach Adrasan, wo das Seminar stattfinden würde.
Wir lassen Antalya und Kemer hinter uns und nachdem wir auch die kurvigen Straßen am Tahtali und des Olymps passiert haben, erscheint vor uns ein Schild mit der Aufschrift „Adrasan“ und wir fahren nun kontinuierlich talabwärts. Wir suchen die „Avrupa – Akdeniz – Ausbildungs- und Erholungseinrichtung für Jugendliche“, die der Akdeniz – Universität angegliedert ist und anhand der Beschilderung finden wir ohne Irrfahrten zum Ziel. Lediglich an einer einzigen Stelle mussten wir unsere Richtung nach der Erläuterungen von Rolf einschlagen und waren auch hierbei erfolgreich. Wir wussten schon aus unseren vorherigen Erfahrungen, dass man in der Türkei nicht an jeder Ecke einen Wegweiser zu erwarten hat, dass im Gegenteil manchmal auch Vermutungen einen wesentlichen Stellenwert besitzen können.
Die „Avrupa – Akdeniz – Ausbildungs- und Erholungseinrichtung für Jugendliche“ der Akdeniz – Universität wird an diesem Wochenende den Schauplatz zu einem bedeutenden Seminar mit wertvollen und interessanten Teilnehmern bilden. Nachdem wir unser Gepäck im Zimmer untergebracht haben, gesellen wir uns zum Mittagstisch, an welchem die mediterrane Küche dominiert.
Das Akvam – Team, das durch seine Studien und Veranstaltungen als Vorreiter der Forschung und Ausbildung bezeichnet werden kann, das Team des Goethe – Instituts, das sich dafür einsetzt, die interkulturelle Kommunikation zu bekräftigen, Ausbilder von diversen Fachrichtungen der Akdeniz – Universität, Studenten und Studentinnen aus diversen Fachrichtungen sowie Teilnehmer aus unterschiedlichen Altersgruppen und Kulturen veranschaulichten uns, dass das Seminar sehr farbenfroh und vielfältig sein würde.
Nach dem Mittagsessen hatten sich schon sämtliche Teilnehmer im „Çanakkale – Versammlungsraum“ eingefunden, wo der Vortrag „Bilder von Menschen in der Türkei– Portraits von 6 Schriftstellern“ veranstaltet werden sollte und wo das Programm des Seminars zu beginnen hatte, dessen Dokumentarbeiträge einen jeden Teilnehmer faszinieren sollten.
Nach der Eröffnungsrede des Dozenten Dr. Erol Esen, des Leiters des Akvam, hielt auch Osman Okkan, der Sprecher des Türkisch – Deutschen Kulturforums und Regisseur von Dokumentarfilmen eine Rede ab. Dann schauen wir uns den ersten Dokumentarbeitrag des Projektes an, das mit der Unterstützung der Robert – Bosch – Stiftung und der TV – Sender WDR und ARTE ins Leben gerufen wurde und überdies denselben Namen trägt, wie das unvergessliche Werk von Nazım Hikmet: „Bilder von Menschen aus meiner Heimat“.
Nazım Hikmet – Dichter und Revolutionär
Wir wissen, dass der in Thessaloniki geborene berühmte Dichter Nazım Hikmet wegen seiner Gedichte und Schriften mehrmals vor Gericht bemüht worden ist und einen Teil seines Lebens im Gefängnis, sowie den übrigen Teil im Exil verbracht hat.
Als Nazım Hikmet im Jahr 1938 mit dem Argument, dass er die Armee zum Aufstand aufgehetzt hätte, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, schrieb er einen Brief an Atatürk und führte an, dass er sein Vaterland niemals verraten hat, dass man eine Verschwörung gegen ihn geschmiedet hätte. Doch Mustafa Kemal Atatürk befand sich zu der Zeit schon im Griff der Krankheit und verstarb auch nach einer gewissen Zeit. Der Brief hat ihn niemals erreichen können.
Nazım Hikmet verlebte ungefähr 12 Jahre seines Lebens in verschiedenen Strafvollzugsanstalten in der Türkei. Diese Zeitspanne ließ er nicht etwa fruchtlos verstreichen, sondern er war unentwegt am Schaffen und wirkte auch dahingehend, dass solche Künstler heranreiften, die der türkischen Kunst später neue Kunstwerke zutragen sollten.
Die letzten 13 Jahre seines Lebens verbrachte Nazım Hikmet im Exil. Bevor er in Moskau verschied, wo ihm das Leben ein neues Glück, Enttäuschungen und endlose Sehnsüchte brachte, schrieb er Gedichte, in denen er vom Tod spricht.
Nach dem Dokumentarbeitrag brachten auch die Seminarteilnehmer einen Nutzen bringenden Beitrag zustande, indem sie sowohl über den Dokumentarfilm, als auch über das Leben und das Werk von Nazım Hikmet diskutierten, um dann die Bedingungen der damaligen Zeit und die heutigen Anforderungen zu besprechen.
Die Kaffeepause tat uns allen gut und wir versäumen es nicht, die Sonne auf dem Balkon zu genießen und die reine Luft in unsere Lungen zu füllen. Während wir unseren Tee bzw. Kaffee trinken, machten wir Bekanntschaft mit den anderen Teilnehmern und lernen uns kennen. Dann treibt uns die Wissbegierde wieder zusammen und wir setzen das Seminar mit dem zweiten Dokumentarbeitrag der Reihe fort: Yaşar Kemal.
Yaşar Kemal – zwischen Poesie und Politik
Der in Osmaniye geborene Kemal Sadık Gökçeli ist einer jener raren Literaturmeister, die sich in den anatolischen Ländereien heranbilden konnten. Noch im Kindesalter verlor Kemal Sadık seinen Vater und begann in seinen schwierigen Kindesjahren, während der er noch stotterte, Gedichte zu schreiben. Noch im Alter von 17 Jahren wurde er wegen eines Gedichtes bestraft. Kemal Sadık, der Meisterliterat mit kurdischen Wurzeln, begann unter dem Pseudonym „Yaşar Kemal“ seine schriftstellerische Laufbahn bei der Zeitung Cumhuriyet und unter diesem Namen sollte er seitdem bekannt sein. In seinen Werken schildert er Anatolien und vor allem die Region Çukurova, die einen Teil des sogenannten fruchtbaren Halbmondes ausmacht, sowie die Menschen dieser Region. Sein erster Roman und zugleich eines seiner wichtigsten Werke ist İnce Memed. Es handelt sich um das leidensvolle Dasein der Bevölkerung von Çukurova und um ein beeindruckendes Heldenepos, in dem Position gegen das Unrecht bezogen wird.
Er heiratete Thilda Serrero, die Tochter einer Sephardim – Jüdischen Familie aus Istanbul. Thilda hatte eine Ausbildung als Übersetzerin gemacht und übersetzte 17 Werke ihres Ehemanns ins Englische. Sie widmete ihr Leben dem schriftstellerischen Erfolg ihres Lebensgefährten. Diese Übersetzungen hatten einen hohen Stellenwert inne, denn sie hörte die Beschreibungen von Yaşar Kemal aus erster Hand und konnte bei Wörtern und Bedeutungen, bei denen sie sich nicht zu helfen wusste, direkt nachfragen.
Der Schriftsteller verwendet Wörter und Wendungen, die Anatolien eigen und schon fast vergessen sind, um sie dem Türkischen zu erhalten, weswegen diesbezüglich ein separates Wörterbuch existiert.
Der intellektuelle Schriftsteller Yaşar Kemal nimmt kein Blatt vor den Mund und ist zusammen mit Günter Grass Ehrenpräsident beim Türkisch – Deutschen Kulturforum.
Es wurden diverse Fragen an Osman Okkan gerichtet, die darauf abzielten, Yaşar Kemal, der einer der Meister der anatolischen Literatur ist, sowie seine Werke besser zu verinnerlichen. Danach wurde ein Diskussionsforum hergestellt, in dem unterschiedliche Meinungen veranschaulicht wurden.
Im Anschluss daran sind wir nun auf dem Weg ins Restaurant, um das Abendessen einzunehmen, das das Seminarprogramm des ersten Tages beenden wird. Die delikate mediterrane Küche fügt dieser Erfahrung wahrhaftig eine Besonderheit hinzu. Nachdem wir uns beim Abendessen recht angenehm unterhalten und uns somit die Zeit vertrieben haben, treffen sich jene, die vom Geplauder nicht genug bekommen können und dazu noch eine unerschöpfliche Energie besitzen im Bistro Café, um in der Begleitung von Musikinstrumenten und Balladen den Grundstein einer unterhaltsamen Nacht zu legen.