Zwangsehen: Rosa Schuhe verraten Kinderbraut
Leider immer mal wieder tauchen diese oder gleichartige Schlagzeilen in den Medien auf. Wieder sollte ein Kind verheiratet werden und das trotz gesetzlichen Verbots mit der Androhung von heftigen Strafen.
İst es allein finanzielle Not die in der Mehrzahl den Vater des Kindes dazu bringt, sich frühzeitig von seinem Kind durch Verheiratung mit einem dem Kind meist völlig unbekannten Mann zu trennen? Oder ist es doch einfach nur die reine Gier. Die Begründung von gesellschaftlicher Tradition kann ja wohl kaum noch als ausschlaggebendes Argument herangezogen werden, zu modern ist der gesellschaftliche Wandel in den letzten Jahren vorangeschritten. Eine Hochzeit kann rechtlich wirksam erst mit dem vollendeten sechzehnten Lebensjahr der Braut vollzogen werden. Warum es dann immer noch zu Verheiratungen durch religiöse Einrichtungen kommen kann bleibt zu hinterfragen. Ob diese Eltern überhaupt eine Vorstellung davon haben, was sie ihren Kindern damit antun?
İn diesem Fall waren es rosa Schuhe für die Kinderbraut, die die geplante Verheiratung eines zwölfjährigen Mädchens auffliegen haben lassen. In der zentralanatolischen Provinz Konya habe ein Familienvater seine Tochter mit einem 30 Jahre alten Mann verlobt, berichtete die Zeitung "Cumhuriyet". Der illegale Deal flog auf, weil das Mädchen in der Schule von den schönen rosa Schuhen schwärmte, die es als Verlobungsgeschenk erhalten hatte. Das kam den Lehrern zu Ohren, die die Behörden einschalteten.
Das gesetzliche Mindestalter für Eheschließungen in der Türkei liegt bei 16 Jahren; insbesondere in ländlichen Gegenden der Türkei werden viele Mädchen jedoch schon früher von ihren Eltern verheiratet oder künftigen Ehemännern versprochen. Das Kind in Konya habe den von einem Brautwerber ausgesuchten Ehemann in spe noch nie gesehen, berichtete "Cumhuriyet". Um es für seine Vermählung zu begeistern, habe die Familie die rosa Schuhe gekauft. Die Lehrer der Zwölfjährigen versuchten laut dem Blatt vergeblich, ihren Vater von den illegalen Heiratsplänen abzubringen. Als er sich nicht umstimmen ließ, wandten sie sich schließlich an die Behörden, diese leiteten Ermittlungen ein.
Vier Kühe für eine zwölfjährige Braut (19. April 2010)
Die unbeschwerte Kindheit ist für manche türkische Mädchen in Gefahr. vor allem im armenSüdosten des Landes lebt die Tradition der Zwangsverheiratung von Minderjährigen noch. Noch immer werden Mädchen in der Türkeizwangsverheiratet. Das Parlament will dagegen vorgehen.
Die kleine Bedia ist durch die Hölle gegangen. Für ein Brautgeld von umgerechnet rund 6000 Euro wurde das zwölfjährige Mädchen aus Syrien kürzlich von ihrer Familie einem mehr als dreimal so alten Mann in der Türkei zur Frau gegeben. Wenige Wochen später alarmierte die Familie die türkische Polizei. Das Mädchen war von ihrem vorbestraften „Ehemann“ verprügelt, vergewaltigt und unter Drogen gesetzt worden. Nun ist Bedia wieder zu Hause, doch die Familie des Mannes fühlt sich hintergangen: „Sie haben uns betrogen“, sagte die Mutter des Mannes über Bedias Eltern. „Sie werden das Mädchen jetzt anderswo verkaufen“.
Völlig unwahrscheinlich ist das nicht. An der Grenze zwischen der Türkei und Syrien, wo kürzlich die Visumspflicht für gegenseitige Besuche aufgehoben wurde, blüht nach Presseberichten ein regelrechter Handel mit Kinderbräuten. Zwischen 2500 und 17 000 Euro müssen Interessenten für eine Kinderbraut hinlegen, wie die Zeitung „Aksam“ meldete. Manche wohlhabende türkische Männer legen sich demnach eine junge – und offiziell illegale – Zweit- oder Drittfrau aus Syrien zu. Die alte Tradition des Brautgeldes verbindet sich mit der wirtschaftlichen Not vieler Familien im armen türkischen Südosten: Sie wollen ihre Töchter so früh wie möglich aus dem Haus haben. Nicht nur an der syrischen Grenze werden Mädchen illegal und oft gegen ihren Willen verheiratet. Bei einer von vier Eheschließungen in der Türkei ist einer der Partner minderjährig, hat ein Parlamentsausschuss jetzt in einem Bericht über das Problem festgestellt. Im Südosten des Landes liegt die Rate bei fast 70 Prozent. Meistens sind es Mädchen, die von ihren Familien weit unter dem gesetzlichen Mindestalter von 17 Jahren als Kinderbräute hergegeben werden. „Eine furchtbare Bilanz“, kommentierte die Zeitung „Hürriyet“.
Anfang 2010 sorgte ein Fall aus der zentralanatolischen Provinz Corum für Aufsehen. Dort war ein zwölfjähriges Mädchen aus einem Dorf von seinen Eltern an einen 29-jährigen Bauarbeiter verkauft worden – für vier Kühe. Das Paar stritt sich, das Mädchen kehrte nach Hause zurück, wo es erneut verkauft wurde: diesmal für umgerechnet 3000 Euro. Der neue Käufer zahlte an, und als die Eltern des Mädchens das restliche Geld eintreiben wollten, gerieten beide Seiten in einen Streit, der auf der Polizeiwache endete.
Bedia konnte zu ihrer Familie zurückkehren, und auch das Mädchen in Corum kam mit dem Leben davon. Andere Kinderbräute wählen dagegen aus Verzweiflung über ihr Schicksal den Tod, sagen Frauenrechtlerinnen. Einige werden von der Familie ihres Mannes getötet. Insbesondere in ländlichen Gegenden der Türkei werden viele Mädchen als Kinderbräute verheiratet. Die Eheschließung erfolgt in einer religiösen Zeremonie, die gesetzlich keinen Bestand hat und zudem eine Straftat darstellt. Trotzdem sei die Praxis insbesondere bei konservativen Schichten der Bevölkerung „Normalität“, zitierte „Hürriyet“ aus dem Bericht des Parlamentsausschusses. Selbst in Politikerkreisen in Ankara ist das so. Hayrünnissa Gül, die Ehefrau des Staatspräsidenten Abdullah Gül, war bei ihrer Hochzeit 15 Jahre alt – was nach damaligem türkischen Recht gerade noch erlaubt war. Die Kurdenpolitikerin Leyla Zana war bei ihrer Verheiratung erst 14.
Oft wird das an sich soziale Phänomen der Kinderbräute mit dem Islam in Verbindung gebracht. Als ein islamistischer Kolumnist im vergangenen Jahr wegen Vergewaltigung einer 14-Jährigen zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde, sah er keinerlei Grund für Reue: Nach islamischem Recht sei jedes Mädchen erwachsen, das seine Regel bekomme, erklärte er. „Wenn ein Kind erwachsen ist, kann es unserem Glauben zufolge auch heiraten. Das ist Allahs Befehl“. Das türkische Religionsamt versucht gegenzusteuern, indem es die Ausbeutung von Frauen und Mädchen sowie Zwangsehen öffentlich verdammt. Auch der Parlamentsausschuss stellte in seinem Bericht fest, „falsche religiöse Auslegungen und Traditionen“ müssten bekämpft werden. Mehr Bildung und eine bessere Aufklärung seien die richtigen Mittel, um die Kinderbräute zu retten. Auch Geld wird gebraucht, ist Güler Sabanci sicher. Als eine der reichsten Unternehmerinnen der Türkei unterstützt die Chefin eines riesigen Mischkonzerns ein Projekt der Frauenorganisation „Fliegender Besen“. Sie will eine Unterschriftenaktion für einen Appell an das Parlament starten: Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung soll auf 18 Jahre angehoben werden.
Tagesspiegel