Türkischer Präsident Gül unterzeichnet Internetgesetz

Der türkische Präsident Abdullah Gül hat das auch international heftig umstrittene Gesetz zur Überwachung des Internets nun doch unterzeichnet. Zwischenzeitig hatte es weitere Demonstrationen in Istanbul und in Ankara gegeben und auch politische Proteste von Journalisten- und Juristenverbände in der Türkei sowie der Europäischen Union zur Ratifizierung des Gesetzes hinsichtlich der Verschärfung der Internet-Kontrolle mit klaren Hinweisen auf die Unvereinbarkeit mit europäischen Gesetzen, die teilweise an Gül direkt gerichtet waren, konnten ihn nicht zu einem Nein bewegen.

In einer Twitterbotschaft versuchte Gül seine Unterzeichnung zu relativieren: Er habe das Gesetz in Kraft gesetzt, nachdem die Regierung ihm versichert habe, Teile des Gesetzes abzuschwächen.

In einer Mitteilung der Organisation Reporter ohne Grenzen hatte der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in der vergangenen Woche gewarnt: “Noch mehr Kontrolle und Zensur sind die falsche Antwort auf Korruptionsvorwürfe und Proteste gegen die Regierung. Die geplanten Änderungen würden den Behörden die Möglichkeit geben, regierungskritische Webseiten quasi beliebig zu sperren.”

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Die türkische Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) kann schon jetzt Webseiten mit “obszönen” Inhalten ohne Richterbeschluss sperren. Die in der vergangenen Woche vom Parlament verabschiedete Reform des Gesetzes Nr. 5651 würde diese Befugnis auf Verletzungen der Privatsphäre, diskriminierende oder beleidigende Inhalte sowie Maßnahmen zum Schutz von Familie und Kindern erweitern. Auch das Kommunikationsministerium soll künftig Sperrungen anordnen dürfen. Nach Angaben der Webseite Engelli Web sind in der Türkei derzeit mehr als 40.000 Internetseiten blockiert.

Mit der Änderung des Gesetzes verschafft sich die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mehr Kontrolle über das Internet. Ein Abgeordneter der oppositionellen CHP hatte zuvor bestätigt, dass das Gesetz in einigen Punkten abgeschwächt werden solle. Dies reiche jedoch nicht aus, sagte der CHP-Politiker Akif Hamzacebi. Die CHP plant wohl eine Klage vor dem Verfassungsgericht.

Am Freitag vergangener Woche wurde der aserbaidschanische Journalist Mahir Zeynalov aus der Türkei verwiesen. Er hatte für die regierungskritische türkische Zeitung Today’s Zaman gearbeitet. Nach Angaben der Zeitung werfen die Anwälte von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dem Journalisten vor, mit kritischen Twitter-Nachrichten die Persönlichkeitsrechte und die Ehre des Regierungschefs verletzt zu haben.

Erst vor kurzem hatte die TIB vier Nachrichtenportale (24.com.tr, Gercekgundem.com, Haber.sol.org.tr und Yarinhaber.net) gezwungen, Berichte über Erdogans angebliche Rolle beim Verkauf einer Mediengruppe aus dem Netz zu nehmen. Mit dem jetzt unterzeichnetem Gesetz könnte es wegen der fehlenden richterlichen Kontrolle und der weit gefassten Kriterien zur massenhafter Zensur kommen.

Wer sich in seiner Privatsphäre verletzt fühlt, könnte für sich im Rahmen des neuen Gesetzes direkt bei einem Internetanbieter eine Sperre erwirken, die binnen vier Stunden wirksam werden müsste. Einsprüche des Betreibers der Webseite sollen nur im Nachhinein möglich sein. Sperrungen auf Anordnung einer Staatsanwaltschaft sollen ohne Bestätigung eines Richters gelten und von den Strafverfolgern selbst verlängert werden können. In der jetzt unterzeichneten Form wird das Gesetz das gesamte türkische Internet unter die direkte Kontrolle der TIB bringen.

Die türkische Zeitung „Radikal“ startete bereits am Dienstag eine Kampagne gegen das neue Internetgesetz: Jeweils nach vier Stunden verschwanden sämtliche Texte, Fotos oder Videos von ihrer Webseite. Gemäß dem neuen Gesetz haben Internettreiber, die von den Behörden zur Entfernung einer Information aufgefordert werden, vier Stunden Zeit, um der Aufforderung Folge zu leisten.

Die Türkei nimmt auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit Platz 154 von 180 Ländern ein.

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