Pressefreiheit - Drohungen und staatlicher Geldregen
- Geschrieben von Portal Editor
Als vor wenigen Wochen Spiegel Online in regierungskritischer Berichterstattung über das Grubenunglück von Soma seinen Leitartikel mit "Scher dich zum Teufel, Erdogan" betitelte, war der Protest groß, dabei hatte es sich doch lediglich um das Zitat eines Bergarbeiters aus Soma gehandelt.
Der Türkei-Korrespondent des Spiegel, Hasnain Kazim, wird seither von "Anhängern" Erdogans und den regierungsnahen Medien massiv bedroht. Der Spiegel selber würde Erdogan zum Teufel wünschen, so die Formulierungen in der Presse.
Hasnain Kazim sagt selbst, das er inzwischen rund 10.000 E-Mails, Tweets und Facebook-Nachrichten erhalten habe, darunter Drohungen wie "Wenn wir Dich auf der Straße sehen, schneiden wir Dir die Kehle durch". In anderen Nachrichten werde er als "jüdischer Feind" Erdogans beschimpft. Über soziale Medien werde dazu sein Foto verbreitet. "Die Hetzkampagne nimmt absolut an Aggressivität zu", sagte Kazim am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa in Istanbul.
Weiterhin äußerte sich Kazim, das die Kampagne organisiert zu sein scheint. "Das sieht man auch daran, dass einige Twitter-Accounts nur mir folgen und sonst keine Kontakte haben." Kazim hatte zunächst mit einem auch ins Türkische übersetzten Bericht auf "Spiegel Online" auf die Kritik reagiert. Danach nahmen die Anfeindungen sogar noch zu. Die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" warf Kazim vor, Erdogan zu beleidigen.
Weitere ausländische Journalisten bleiben ebenfalls nicht verschont. Jüngstes Beispiel ist der CNN-Journalist Ivan Watson. Nach Attacken durch den Regierungschef, er sei ein ausländischer Agent, hat er seinen Job in Istanbul an den Nagel gehängt. Er wird künftig aus Hongkong berichten.
Staatlicher Geldregen hingegen für regierungsnahe Medien
Aus einem Bericht der regierungskritischen Zeitung "Taraf" geht jetzt hervor, das die türkische Regierung in den letzten zehn Jahren regierungsfreundliche Berichterstattung häufig mit erträglichen Werbeschaltungen belohnt hat. Dies betreffe vor allem 12 türkische Medien,
darunter „Yeni Safak“, „Aksam“, „Star“, „Sabah“, „Türkiye“, „Vatan“ und „Habertürk“, die allein in den vergangenen 4 Monaten Werbemaßnahmen in Höhe von 13,3 Millionen TL (rund 4,67 Millionen €) aus öffentlicher Hand erhalten hatten. Allein die 6 genannten Zeitungen hätten Beträge von mehr als einer Million ausgezahlt bekommen.
Zudem wurden ausgewählte Medien in der Vergangenheit mit Riesenbudgets der staatlichen Halkbank finanziert. Laut einem Bericht der Zeitung „Hürriyet“, hat die Bank im Zeitraum von 2004 bis 2013 ihre Werbeeinschaltungen von jährlich sechs Millionen im Jahr 2004 auf 145 Millionen im Vorjahr erhöht und damit die Budgets regierungsnaher Medien deutlich aufgefettet.
Der Journalist Cüneyt Özdemir kritisiert in einem Artikel in der Zeitung „Radikal“ den regierungsnahen Medienpool, der nicht nur Schlagzeilen sondern vor allem Ideologie produziere und eine Bedrohung für die gesamte Zunft darstelle.
So stammt etwa Yigit Bulut, einer der Berater des Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan, aus dem Pool der „Star“-Journalisten. Bulut berät Erdogan vor allem in Wirtschaftsfragen. Er hat sich jüngst in einem Artikel für „Star“ für eine Abkehr der Türkei von Europa ausgesprochen. „Wir brauchen es heute nicht mehr“, betonte er. Bulut sorgte vor allem mit einer Aussage international für Aufsehen, als er erklärte „ausländische Kräfte würden an einem Plan arbeiten, Erdogan mit Hilfe von Gedankenübertragung zu töten. Der Besitzer der „Star“ Gazete (Zeitung), Ethem Sancak, gilt als enger Freund des Regierungschefs. Medienberichten zufolge ist er ins Zeitungsgeschäft eingestiegen, weil er „Erdogan unterstützen wollte“.
Die islamistische „Yeni Safak“ gehört der ebenfalls der AKP nahestehenden Albayrak Gruppe. Einer der Kolumnenschreiber für „Yeni Safak“ ist der sunnitische Kleriker Hayrettin Karaman, Berater des Regierungschefs in religiösen Fragen. „Yeni Safak“ hat sich in der Vergangenheit immer wieder damit ausgezeichnet, die Verschwörungstheorien der Regierung zu verbreiten und in den Gezi-Park Protesten die Handschrift der Ergenekon-Verschwörer herausgelesen.
Eine der auflagenstärksten türkischen Zeitungen, „Sabah“ gehört mit zu den Nutznießern des Regierungssponsorings. Der türkische Journalist Kadri Gürsel bezeichnete die Zeitung „Sabah“ in einem „Hürriyet“-Artikel als „die Pravda der AKP“.
„Sabah“ und der Fernsehkanal ATV waren bis Ende des Vorjahres im Besitz der Calik Holding, die von Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak als CEO geführt wurde. Ende des Vorjahres wurden die Medien an die Zirve Holding verkauft, die Teil der Kalyon Gruppe ist. Auch Berat Albayrak hat seinen Posten bei der Calik Gruppe mittlerweile gegen einen Job bei der Zirve Holding getauscht. Seit Februar schreibt er für „Sabah“ Kolumnen. Alle Unternehmen sind in der Vergangenheit mit Großaufträgen der Regierung bedacht worden. Kalyon ist Teil des Konsortiums, das den dritten Istanbuler Flughafen bauen wird.
Insgesamt steht es um die türkische Medienfreiheit alles andere als zum Besten. Es herrscht nach Einschätzung des Reporter ohne Grenzen-Korrespondenten in der Türkei, Erol Önderuglu, ein „vergiftetes Medienklima“. Die Medien sind entweder gleichgeschaltet oder üben sich in Selbstzensur. Allein im letzten Jahr verloren mehr als 100 Journalisten ihren Job, weil sie kritisch über die Regierung berichteten.