Weiterer Eingriff: Regierung verbietet Piercings und Tattoos

Persönlichkeitsrechte Piercing und Tattoo

Die islamisch, konservative Regierung in der Türkei startet mit neuen Regeln den Versuch, die Schüler des Landes zu größerer Disziplin anzuhalten. Deshalb hat die Regierungspartei AKP unter anderem das Tragen von Tattoos und Piercings an Schulen untersagt, ebenso wenig dürfen die Schüler mit gefärbten Haaren im Unterricht erscheinen.

Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen?

Ist das Tragen des Kopftuches kein politisch, religiöses Symbol?

persoenlichkeitsrecht 7"Schüler müssen an den Schulen jederzeit ihr Gesicht zeigen, dürfen keine Schals, Mützen oder Taschen mit politischen Symbolen tragen, dürfen ihr Haar nicht färben, dürfen weder Tattoos noch Make-up tragen, dürfen keine Piercings tragen, dürfen keinen Bart tragen", heißt es unter anderem in den neuen Regeln, die in Ankara veröffentlicht wurden. Gleichzeitig wurde von Regierungsseite bestätigt, das Mädchen mit dem Eintritt in die fünfte Klasse das Kopftuch während des Unterrichts tragen dürfen. Eine ungewöhnliche Anordnung, wenn das Tragen von Schals und Mützen verboten wird, die politische oder religiöse Aussagen oder Symbole zeigen. Ist das Tragen des Kopftuches kein politisch, religiöses Symbol?

Einmal ganz abgesehen von den Fragen zur Umsetzung und Kontrolle solcher Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte - wer entscheidet, was ein Symbol mit politischer Aussagekraft ist?

Werden sie denen die Haut herunterreißen?

persoenlichkeitsrecht 1Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft Egitim Is, Veli Demir, kritisierte die Vorschriften, da sie weder kontrollierbar noch umsetzbar sind, eine zunächst vorsichtige Formulierung. "Was soll mit den Schülern passieren, die bereits ein Tattoo tragen? Werden sie denen die Haut herunterreißen? Diese Entscheidung kann nicht von einer vernünftigen Person getroffen worden sein", sagte Demir dann gegenüber der Zeitung "Radikal". Verstöße sollen zu Tadel, zum temporären Ausschluss vom Unterricht oder zum Schulverweis führen.

Ismail Koncuk, Chef der Lehrergewerkschaft Egitim Sen, sagte dagegen, es sei nicht nötig, dass bereits vorhandene Tätowierungen nun entfernt werden müssten. Das Verbot gelte nur für künftige Tattoos: "Es wird Verwirrung darüber geben, wann das Tattoo gestochen wurde. Aber ich denke bei diesem Thema wird die Schule die Initiative ergreifen und dem Kind helfen." Was ja wohl das Mindeste wäre. Verwunderlich nur, das noch kein weiterer, gesellschaftlicher Aufschrei vor dem Hintergrund des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte eines jeden Einzelnen erfolgt ist. Aber die Probleme in der Türkei sind derzeit andere.

persoenlichkeitsrecht 2Woher diese neuerlichen Regelungen kommen, ist kein großes Geheimnis, denn der jetzige Staatspräsident hat aus seiner Haltung gegenüber Körperschmuck nie einen Hehl gemacht.

Zu gut ist noch die folgende Aussage gegenüber dem Nachwuchsfußballer Berk Yildiz gegenwärtig: "Was sollen diese Tätowierungen? Warum schadest du deinem Körper? Lass dich nicht von den Ausländern verführen.

Du könntest davon sogar Hautkrebs bekommen". Ob und wie viel Wahrheit in dieser Aussage auch stecken mag, ob der Präsident sich um das Wohl des Spieler sorgt, ist dabei grundsätzlich völlig nebensächlich: Es ist einzig die Angelegenheit von Berk Yildiz!

Neuer Dresscode an türkischen Schulen: Kopftücher erlaubt, Tattoos verboten

persoenlichkeitsrecht 3Wie nicht anders zu erwarten, bringen solche Vorstöße gleich noch weitere Forderungen mit sich. So verlangt die Erziehungsgewerkschaft Egitim-Bir-Sen nach dem Regierungserlass laut der englischsprachigen Onlinezeitung „Hürriyet Daily News“ die Wiedereinführung der Geschlechtertrennung im Unterricht und die Freiheit von der Schulkleiderordnung.

Die oppositionelle Cumhuriyet Halk Partisi (CHP) protestiert energisch gegen das neue Schulgesetz der Regierung, das einen für alle Schulen des Landes verbindlichen Dresscode festschreibt, so äußerte sich der CHP-Vorsitzende Kılıçdaroğlu gegenüber Hürriyet:

„Die ‚Neue Türkei‘ der AKP steht nicht nur gegen eine 81-jährige Tradition der Republik, sondern verrät auch die tausendjährige Geschichte des anatolischen Islam und unsere Tradition des Sufismus. Wir müssen sagen, dass diese Mentalität keine hiesige ist.“

persoenlichkeitsrecht 4Kılıçdaroğlu zufolge hänge die AKP einer „exportierten Religion“ an, die Verbindungen zu Menschheitsfeinden wie IS hätte. Es sei unerträglich, dass „diejenigen, die die Türkei in ein Land von Verboten und Menschenrechtsverletzungen verwandelt hatten, nun neunjährige Mädchen mit Schleier als Frage der Freiheit präsentieren.

Eine Mentalität, die ein Problem mit der Kleidung von TV-Moderatorinnen habe, könne nicht über Freiheit im Bereich des Dresscodes sprechen".

Die Lehrergewerkschaft will sich nun an den Staatsrat, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und die UN-Kommission für Kinderrechte wenden, weil der neue Dress Code gegen die Verfassung verstoße. Die Regierung stellte jedoch bereits klar, dass die Neuregelung nicht rückwirkend gelte und deshalb bereits angebrachte Tattoos nicht entfernt werden müssten.

Das Persönlichkeitsrecht in Deutschland

persoenlichkeitsrecht 5Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) ist ein absolutes, umfassendes Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit. Es war bereits vom Reichsgericht anerkannt und fand bspw. Beachtung in einer Entscheidung zur Veröffentlichung von Briefen von Richard Wagner RGZ 41, 43, 49. Es wurde 1954 vom Bundesgerichtshof auf Art. 2 Abs. 1 GG (Freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) gestützt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des APR in seinem Lebach-Urteil von 1973 herausgestellt. Das Bundesverfassungsgericht sieht es als Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, „im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der „Würde des Menschen“ (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen; diese Notwendigkeit besteht namentlich auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit.“

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