Orhan Pamuk: "Die EU hat alle ihre Werte vergessen"

Orhan Pamuk:

Der türkische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk hat die EU in der Zusammenarbeit mit der Türkei in Bezug auf die Flüchtlingspolitik in außergewöhnlich scharfer Form kritisiert.

Das Wegschauen beim Thema Menschenrechte und die grassierende Beschneidung der Freiheitsrechte in dem EU-Bewerberland zu ignorieren, ist mit den Werten der EU Grundsätze unvereinbar. In einem Interview mit der Zeitung Hurriyet, von dem Auszüge in Englisch veröffentlicht wurden, sagte der Literaturnobelpreisträger: "Sie haben alle Werte vergessen".

“Sie sehen uns wie einst Saudi-Arabien: Wenn Ihr macht, was wir wollen, ist es uns egal, was Ihr zu Hause macht”, so Orhan Pamuk weiter. Durch die Flüchtlingskrise und den Kampf gegen den IS (den so genannten “Islamischen Staat) seien die Hände der EU wie gefesselt, ein Einsetzen der EU für die Einhaltung von Menschenrechten und Pressefreiheit in der Türkei sei bislang nicht erfolgt. Die EU wolle lediglich, dass die Türkei die Flüchtlingszahlen reduziere und am Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) teilnehme, kritisierte Pamuk weiter. In der Flüchtlingskrise braucht Europa die Hilfe der Türkei - und sieht dafür, laut Nobelpreisträger Orhan Pamuk, über gravierende Menschenrechtsverletzungen der Regierung in Ankara hinweg. Die EU sei von der türkischen Regierung im Bereich des Kampfes gegen die illegale Migration wie abhängig, führte er weiter aus.

Die EU hatte sich im November mit der türkischen Regierung auf einen Aktionsplan geeinigt, der Ankara dazu verpflichtet, mehr zur Verringerung des Flüchtlingszuzugs in Europa zu tun. Im Gegenzug soll die Türkei Milliardenhilfen erhalten und mit Fortschritten im EU-Beitrittsprozess belohnt werden. Bei seinem Besuch in Berlin hatte zuletzt der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu erklärt, in der Flüchtlingsfrage gehe die Türkei Hand in Hand mit Deutschland.

Pamuk ist ein Befürworter des türkischen Europastrebens und wirbt für eine Stärkung der Meinungsfreiheit in seinem Land. Im Jahr 2005 wurde er wegen des Vorwurfs der "Beleidigung des Türkentums" vor Gericht gebracht, das Verfahren wurde aber später eingestellt. Pamuk bekundete, neben weiteren 2.000 Intellektuellen, seine Solidarität mit dem Chefredakteur der oppositionellen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und dem Büroleiter der Zeitung in Ankara, Erdem Gül. In dem "Hürriyet"-Interview zeigte sich der Schriftsteller zudem tief beunruhigt über die Inhaftierung von Can Dündar. Die Staatsanwaltschaft wirft Dündar unter anderem Teilnahme an einem Umsturzversuch gegen die Regierung vor und fordert lebenslange Haft. Die Journalisten, die geheime Waffenlieferungen der syrischen Geheimdienste nach Syrien recherchiert hatten, wurden am 26. November verhaftet. Die Zeitung „Cumhuriyet“ hatte im Mai vergangenen Jahres Fotos und Videos veröffentlicht, die laut der Zeitung bei einer Durchsuchung von Lkw der Nationalen Aufklärungsorganisation (MIT) der Türkei an der türkisch-syrischen Grenze gemacht wurden. Auf den Bildern waren Kisten mit Munition zu sehen.

Nach dieser Veröffentlichung wandte sich Präsident Tayyip Erdogan mit der Forderung an die Staatsanwaltschaft, ein Strafverfahren gegen die Zeitung und den Chefredakteur einzuleiten. Beiden wird jetzt Spionage zur Last gelegt.

Enttäuscht äußerte sich Pamuk auch über die Haltung der türkischen Wähler, die der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP bei der Wahl im November eine große Parlamentsmehrheit beschert hatten. Sie hätten im November vor allem für wirtschaftliche Stabilität votiert. Die Pressefreiheit und andere Freiheitsrechte seien ihnen dagegen nicht so wichtig, so der Autor. Der Schriftsteller Orhan Pamuk sagte jetzt, er sei jemand, der gerne nur über Literatur reden wolle, aber derzeit sei das einfach nicht möglich. Man könne nicht ruhig an einem Roman schreiben, wenn Can Dündar in Haft sei.

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