Entwicklung des Frauenwahlrechts in der Türkei
Rechte der Frauen, Gleichberechtigung, Emanzipation und einhergehend damit das Frauenwahlrecht sind allesamt Begriffe, die noch immer fast täglich in den Medien zu hören sind.
Mal sind es Ungleichbehandlungen hinsichtlich der Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit zwischen Mann und Frau, mal sind es die Auswahlkriterien bei der Besetzung hoch dotierter Positionen in den Betrieben oder Aufsichtsräten und ein anderes Mal sind es die Diskussionen ob denn eine Frauenquote eingeführt werden muss oder es bei der nachgewiesener Maßen unzuverlässigen Selbstverpflichtung der Firmen verbleibt. Dabei beschäftigen diese Themen nicht erst mit Beginn der Emanzipationsbewegung in den 60er und 70er Jahren die Gesellschaft. Viel früher schon begann der „Kampf“ um Gleichberechtigung, Gleichbehandlung und dem damit verbundenen Frauenwahlrecht. Warum es überhaupt dieser Diskussionen bedarf, ist grundsätzlich unverständlich und weder durch Religion noch sonstiger Weltanschauungen zu begründen, denn alle diese „Regeln“ sind „Mensch gemacht“.
.In den europäischen, aufgeklärten Staaten begann der Kampf für das Frauenwahlrecht bereits im 18. Jahrhundert mit Französin Olympe de Gouges als Kämpferin der Frauenbewegung. Bereits im November 1791 hatte sie im Verlauf der französischen Revolution Erklärungen zu den Rechten von Frauen und Bürgerinnen veröffentlicht. Während der Terrorherrschaft Robespierres wurde Olympe de Gouge im Sommer 1793 verhaftet und kurz darauf nach einem Schauprozess hingerichtet. Es gab eine Vielzahl verschiedener Fortschritte, je nachdem, welches Land dieser Erde gerade betrachtet wird. Im US-Bundesstaat New Jersey wurde 1776 durch die Verfassung das Wahlrecht für alle Personen festgeschrieben, die Eigentum besaßen. Somit galt das Wahlrecht für Witwen, allerdings nicht für verheiratet Frauen, denn diese durften ja nichts besitzen. Bereits 1807 wurde auch dieses beschränkte Wahlrecht für Frauen wieder aufgehoben und allein auf die Männer bezogen. Hier stichpunktartig einige weitere Fakten:
- 1869 führt der US-Staat Wyoming das Frauenwahlrecht ein.
- 1871 führt die Pariser Kommune das Frauenwahlrecht ein, aber schon kurz darauf wird es wieder annulliert.
- 1893 stimmten in Colorado die Männer in einer Volksabstimmung für das Frauenwahlrecht ab
- 1893 erhalten in Neuseeland Frauen das aktive Wahlrecht und 1919 das passive Wahlrecht.
- 1894 folgt die damalige Kolonie Südaustralien mit aktivem und passivem Wahlrecht.
- Nach Australiens Unabhängigkeit 1902 bleibt das Frauenwahlrecht erhalten und Australien ist damit der erstemoderne, souveräne Staat, der das Frauenwahlrecht eingeführt hat.
- Am 1. Juni 1906 erhalten die Frauen in Finnland das Wahlrecht.
- 1915 durch Änderung der dänischen Verfassung auch Dänemark.
Aber wie war und ist die Situation in der Türkei?
Schon im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts begann auch hier der Kampf von Frauen für Gleichberechtigung und dem damit verbundenen Wahlrecht. Der erste Frauenverein in der Türkei wurde 1908 gegründet. Auf einem ersten, Aufsehen erregenden Kongress während eines Frauentreffens in Kastamonu des Jahres 1919 kam es zu dem Entschluss, sich zukünftig noch stärker für das Gleichbehandlungsprinzip von Mann und Frau einzusetzen und damit das Wahlrecht zu erlangen. Nach den Befreiungskriegen mit Ende des Jahres 1923 kam es zur Gründung des ersten Frauenverbandes durch Nezihe Muhittin, worin sich die bis zu dem Zeitpunkt als „Einzelkämpfer“ fungierenden Frauenvereine zusammen schlossen, um so mehr Druck auf das politische Gefüge im Land ausüben zu können und damit eine Gleichstellung von Männer und Frauen zu erreichen. Endlich, im Jahr 1930 gab es die entscheidenden Veränderungen in der Gesetzgebung, so dass die Frauen zunächst bei den Kommunalwahlen wählen und auch als wählbare Kandidatin aufgestellt werden durften. Drei Jahre später wurden die geänderten Gesetze auf die Gemeindewahlen erweitert. Von 1933 an war es also möglich, dass Frauen sich auch an der Wahl zum Gemeindevorsteher beteiligen durften, ja, sie durften gar als Kandidatin aufgestellt werden.
Aktives und passives Wahlrecht für Frauen ab 1934
Offiziell trat in der Türkei am 5. Dezember 1934 das Gesetz in Kraft, das den Frauen das aktive und passive Wahlrecht einräumte. Mit überwältigender Zustimmung des Nationalparlaments wurde das allgemeine und uneingeschränkte Frauenwahlrecht eingeführt. Erstmals war es somit Frauen möglich, Parlamentarierin zu werden.
Im folgenden Jahr 1935 (es gab zu dem Zeitpunkt nur eine Einzige im Parlament zugelassene Partei, die „Cumhuriyet Halk Fırkası“, damals CHF woraus sich die heutige CHP entwickelt hat) wurden 18 Parlamentarierinnen im Nationalparlament vereidigt. Diese „hohe“ Anzahl von Frauenvertretern von umgerechnet 4,8 Prozent des ersten Jahres konnte nur noch im Jahr 2007 erreicht werden. Nie konnte dieser Prozentsatz überschritten werden. Auf kommunaler Ebene liegt der Frauenanteil bei nur 2,5 Prozent. Insgesamt gibt es in der Türkei 2.924 Bürgermeisterämter, von denen allerdings lediglich 26 durch Frauen besetzt sind. Ähnlich sind die Prozentsätze auch bei den 34.210 Gemeindevorstehern, worunter sich nur 65 Frauen befinden. Grund genug, auch in der Türkei über eine Frauenquote zu diskutieren.
In den 81 Provinzen der Türkei ist lediglich eine Frau als Provinzgouverneurin aktiv tätig, Esengül Civelek in der Provinz Yalova, die vom Staatspräsidenten Gül vereidigt werden konnte. Weitere Zahlen, die erst vor kurzem während einer Sitzung der CHP Frauen heftig kritisiert wurden, sind:
- 103 Rektoren, darunter 5 Frauen
- 428 stellvertretende Gouverneure, darunter 7 Frauen
- 795 Landräte, darunter 22 Frauen
- 80 stellvertretende Staatssekretäre, darunter 3 Frauen
Im Ministerkabinett Erdogan ist unter 26 männlichen Ministern nur eine Frau Fatma Şahin zur Familien- und Sozialministerin bestimmt worden. Im 550 Personen zählenden Parlament gibt es lediglich 78 Frauen. Bisher einzige Ministerpräsidentin der Türkischen Republik war Tansu Çiller in den Jahren 1993 – 1996. Çiller begann ihre steil verlaufende Karriere als Politikerin im Jahr 1990 mit dem Eintritt in die DYP. Bereits im folgenden Jahr wurde Çiller Abgeordnete der Provinz Istanbul und nur weitere zwei Jahre später zur Parteivorsitzenden gewählt.
Schaut man sich bei den Wirtschaftsverbänden um, wird die Quote noch geringer, bzw. gibt es überhaupt keine Quote, denn weder die TOBB (Türkisch-Deutsche Industrie- und Handelskammer), noch die TZOB (Türkische Agrarkammer), die TESK (Konföderation der türkischen Handwerkskammern), noch die STK haben weibliche Vorstandsmitglieder in den Verbandsetagen. Zum 50. Jahrestag zur Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen im Jahr 1984 gab es einige Feierlichkeiten und auch eine offiziell geprägte Gedenkmünze. Das 78. Jubiläumsjahr 2012 wurde zwar auch wieder gefeiert, doch während der Feierlichkeiten hagelte es immer wieder durchaus angebrachte Kritik, so auch durch die CHP Politikerin Saadet Kavasgil., die eine höhere Frauenquote im Nationalparlament forderte.
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