Islamgelehrte verurteilten Terror in jeder Form

Istanbul Islamgelehrte

Hinsichtlich des zunehmenden Terrors der IS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) in Syrien und dem Irak hatte eine von der türkischen Regierung unter der Leitung des staatlichen Religionsamtes organisierte Islamkonferenz über die religiösen Aspekte der Konflikte in den Nachbarländern getagt und jede Form von Terror im Namen des Glaubens verurteilt.

In Istanbul waren drei Tage lang rund einhundert Islamgelehrte und Vertreter islamischer Institutionen aus mehr als 30 Ländern zusammengekommen.

In ihrem gemeinsamen Schlussdokument riefen sie die verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen zu gegenseitigem Respekt auf, wie der Leiter des staatlichen Religionsamtes Mehmet Görmez gegenüber dem türkischen Kanal des arabischen TV-Senders Al Dschasira betonte. Mit Blick auf die tödlichen Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak und Syrien warben die in Istanbul versammelten Islam-Gelehrten dafür, im Pluralismus einen „Reichtum“ in der islamischen Welt zu sehen und ausdrücklich vor einer drohenden Spaltung der islamischen Welt gewarnt. Der Islam lehne jede Form von ungerechtfertigter Gewalt ab, heißt es nach Angaben von Pressemitteilungen in dem Schlussdokument. Alle Muslime seien „Brüder“. Würden Menschen ermordet und Moscheen attackiert, handle es sich um Terrorismus.

Insbesondere die "Erfolge" der radikal-sunnitischen Gruppe IS im Irak hatten in der Türkei für Beunruhigung gesorgt. IS hat in Teilen Iraks und Syriens ein Kalifat ausgerufen und Muslime in aller Welt aufgerufen, sich den Weisungen der Gruppe zu unterwerfen. Gleichzeitig begann IS in seinem Machtbereich mit der Zerstörung schiitischer und christlicher Heiligtümer und Gotteshäuser. Görmez lies weiterhin verlautbaren, das die Lage ihn an die europäischen Religionskriege der vergangenen Jahrhunderte erinnere; die Auseinandersetzungen hätten politische und ideologische Hintergründe. In den momentanen Auseinandersetzungen würden Aufrufe zum Heiligen Krieg sowie religiöse Rechtsgutachten (Fatwas) als Instrumente eingesetzt.

Der Religionsamtsleiter erinnerte auch an einen von seiner Behörde veröffentlichten "Aufruf zur Besonnenheit an die islamische Welt". Darin wurde betont, dass keine muslimische Gruppe das Recht habe, ihre eigene Auffassung als absolute Wahrheit zu betrachten und Anhänger anderer Konfessionen zum Tode zu verurteilen. "Frieden, Mäßigung und Respekt" seien auch die Ziele der Konferenz von Istanbul, sagte er.

Ein Verlautbarung, die hoffentlich Länder übergreifend gehört wird, aber auch im eigenen Land verstanden wird. So gar nicht passt der Aufruf nach Frieden, Mäßigung und Respekt anderer Konfessionen zu den sonstigen Reaktionen aus der Türkei in Internet und Presse, wo sich die bekannte türkische Sängerin Yildiz Tilbe das „Ende der Juden“ herbei wünscht und sich dabei auch auf den Massenmörder Hitler beruft.

In anderen Kurznachrichten prophezeite sie weitaus schlimmere Botschaften, die demnächst von Muslimen herbeigeführt werden, und Amerika und Israel seien grundsätzlich die „Söhne des Teufels“. Yildiz Tilbe hat sich mit den Palästinensern solidarisiert, weil sie mit ihnen etwas Fundamentales teilt: den Glauben. Aber Tilbe – und etliche andere Muslime auch – fügen ihrer Solidarität, ihrem Frust über die Lage in Nahost derart viel Hass hinzu (was umgekehrt leider auch passiert), dass sie offenbar ganz ohne Probleme einen der schlimmsten Massenmorde der Neuzeit heraufbeschwören könnten.

Über Auschwitz, Anne Frank, die „Endlösung der Judenfrage“ und die mühsame wie schmerzvolle Aufarbeitung des so genannten Dritten Reichs weiß Sängerin Tilbe vermutlich wenig bis gar nichts. In der Türkei nimmt der Zweite Weltkrieg mit seinen grausamen Auswüchsen vergleichsweise wenig Platz im Geschichtsunterricht ein. In den Köpfen vieler türkischer Schüler existiert zwar die Begriffskette Hitler–Juden–Mord, allerdings gibt es die dazugehörigen Bilder aus Dachau und sonstigen KZ nicht, Bilder ausgemergelter Körper durch Zwangsarbeit der überlebenden KZ-Häftlinge oder der aufgetürmten Skelettberge gibt es kaum. Der ausschlaggebende Bezugspunkt im Zusammenhang mit Juden beginnt für sie nicht mit dem Holocaust, sondern in Israel und Palästina. Was kann man also Sängerin Tilbe vorwerfen? Dummheit gepaart mit Unwissenheit oder brandgefährliche Ignoranz? Und sind ihre Aussagen nicht auch die Schuld der Erziehung einer Republik, die ihren Kindern einen unparteiischen Geschichtsunterricht anbieten sollte?

Tilbes Tweets werfen erneut die Frage auf, wie antisemitisch die Türkei und ihre Regierung eingestellt ist. Der virtuelle Applaus für die Sängerin lässt auf den ersten Blick vermuten: sehr. Aber so einfach ist das nicht. „Bist du eigentlich bescheuert?“, antwortet ein jugendlicher User auf ihren Hitler-Tweet. „Du bist eine Rassistin“, schreibt eine andere. Es folgt massive Kritik. Die Debatte im Internet zeigt, dass Aussagen wie diese nicht ohne Widerspruch in der türkischen Öffentlichkeit bleiben. Gut so!

Wo aber bleiben die Reaktionen des türkischen Religionsamtes in diesem Fall? Wie schnell sind ansonsten facebook-Konten oder twitter-accounts kritischer Verlautbarungen in der Türkei amtlich und per Gerichtsbeschluss geschlossen worden. Das wäre auch ein Zeichen!

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