Hasankeyf - Das umstrittene Projekt Ilisu Staudamm
Im Zuge des Südostanatolien-Projekts, das die Schaffung einiger Staudämme zur Stromgewinnung und zur Wasserbevorratung – wie auch des Ilısu-Staudamms – im Südosten der Türkei zum Ziel hat, plant der türkische Staat, Hasankeyf unter Wasser zu setzen.
Dagegen regt sich bis heute nationaler, meist kurdischer und internationaler Protest. Ungeachtet dessen hat die TürkeiAnfang August 2006 mit dem Bau des Staudamms begonnen.
Geschichtlich erwähnt wird Hasankeyf erst in den ersten Jahrhunderten nach Christus. Hasankeyf liegt in der Region, die seiner Zeit sowohl Byzanz als auch die Sassaniden beanspruchten. Daher wechselten die Machthaber oft. Mitte des 4. Jahrhunderts baute Byzanz hier eine Festung und konnte die Sassaniden somit aus der Region fern halten. 638, im Laufe der islamischen Expansion, eroberten die Araber diesen Ort. Seit diesem Zeitpunkt lebten die Christen dieser Gegend unter islamischer Oberhoheit, zuerst unter den Umayyaden, dann unter den Abbasiden. Die Hamdaniden herrschten hier von 906–990 und nach ihnen die kurdischen Marwaniden von 990–1096. Hasankeyf besaß bis dahin keine besondere strategische Bedeutung für die Moslems.
Ab 1101 wurde Hasankeyf, nach starken kriegerischen Zerstörungen, unter den Artukiden zum Zentrum ausgebaut. Sie herrschten bis 1232 und waren aktive politische Akteure und bauten eine Medrese, Wasserkanäle, die bis zur Burg hin hoch reichten und eine Brücke über den Tigris, die als historisch wertvolle Konstruktion auch zu den Bauten gehört, die in den Fluten des Staudamms untergehen würden.
Im 16. Jahrhundert soll die Stadt an die 10.000 Einwohner gehabt haben, davon 60% Christen. Damals war das zu Hasankeyf gehörende Gebiet allerdings größer und umfasste ganz Batman, Siirtund Teile von Mardin. Mit der Zeit verlor Hasankeyf immer mehr an Größe und Bedeutung, behielt bei den Kurden jedoch den Status einer Kultstätte bzw. eines nationalen Erbes. Während des Genozids an den Armeniern 1915–1917 war Hasankeyf ein berüchtigter Vernichtungsort, da sich Deportationsrouten dort kreuzten.
Die Bevölkerungszahl sank in den letzten 20 bis 30 Jahren dramatisch.
Am 15. Dezember 2006 gewährte der Schweizer Bundesrat den Firmen Alstom, Colenco, Maggia und Stucky Exportrisikogarantien in Höhe von 225 Millionen Franken für das Ilisu-Staudammprojekt. Von den etwa hundert angeführten Auflagen sollten mindestens 25 „zufriedenstellend“ erfüllt werden.
Am 26. März 2007 genehmigten auch das deutsche und das österreichische Regierungskabinett Kreditgarantien für am Bauprojekt beteiligte einheimische Unternehmen, da die vorgegebenen Kriterien erfüllt seien. Teile der antiken Stadt sollen versetzt und in einem Kulturpark wieder aufgebaut werden. Kritiker vermelden aber, dass nur ein kleiner Teil der antiken Schätze bewahrt werden wird.
Die Schweiz stoppt die Exportrisikogarantie, genau wieDeutschland und Österreich, nachdem trotz erheblicher Verbesserungen des Projekts Auflagen für den Umwelt- und Kulturgüterschutz nicht zufriedenstellend erfüllt worden waren.
Im Februar 2010 gab der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan bekannt, dass seine Regierung neue Kreditgeber gefunden hat und somit der Staudamm gebaut werden kann. Die Finanzierung des höchst umstrittenen Projekts war fraglich geworden, nachdemDeutschland, Österreich und die Schweiz im Sommer 2009 Kreditbürgschaften gekündigt hatten.
(Quelle Wikipedia)
Türkei: Propagandaschlacht um Staudamm / Korrespondent Jan Keetman
Ankara sucht neue Partner für Ilisu, eine TV-Serie feiert die Umsiedlungen. Wie und mit welchen Firmen der Bau weitergehen soll, ist bis heute unklar. Ohne Kredit wird es kaum gehen.
Istanbul. Von Österreich, Deutschland und der Schweiz will sich die türkische Regierung ihren Ilisu-Staudamm nicht begraben lassen. Anfang Juli erklärten die drei Staaten, dass sie das Megaprojekt nicht durch Exportgarantien absichern wollen. Der Grund waren nichterfüllte Auflagen beim Umweltschutz, der Umsiedlung von Anrainern und dem Schutz von Kulturgütern. Der Turbinenbauer Andritz, einer der geplanten Hauptlieferanten, strich daraufhin Ilisu von seiner Projektliste. Der türkische Umweltminister aber erklärte sofort, dass „im Herbst“ weitergebaut werde. Dann kehrte auf der Großbaustelle am Tigris Ruhe ein.
Wie und mit welchen Firmen der Bau weitergehen soll, ist bis heute unklar. Ohne Kredit wird es kaum gehen. Bereits im Sommer schloss der stellvertretende Ministerpräsident Ali Babacan die Möglichkeit aus, den Ilisu-Damm aus dem Haushalt zu finanzieren. Die finanzielle Lage der Regierung hat sich seither weiter verschlechtert. Dennoch ist im November wieder etwas Leben in die Baustelle gekommen. Mehrere große Baufahrzeuge wurden herangeschafft. Vor allem tut sich etwas an der Propagandafront für das auch in der Türkei sehr umstrittene Projekt. Im staatlichen Fernsehen TRT 2 ist eine zehnteilige Fernsehserie über den Ilisu-Damm und ähnliche Projekte in der Türkei angelaufen.
Die Serie präsentiert sich als Dokumentarfilm über Menschen, die umgesiedelt wurden, und solche, denen eine Absiedlung bevorsteht. Zu Letzteren zählen die Bewohner des historischen Städtchens Hasankeyf, das vom Ilisu-Damm bedroht ist. Darüber, was dokumentiert werden soll, klärt bereits der Titel der Serie auf: „Die Hoffnung im Wasser“. Als Sponsoren werden die Baufirmen Nurol und Cengiz genannt, die an Staudammprojekten in der Türkeibeteiligt sind.
Vor der Kamera bestätigen die Befragten die gewünschte Information. Das klingt dann etwa so: „Sie haben jetzt doch Sonnenenergie und warmes Wasser?“ Die Antwort lautet natürlich: „Ja.“ Es werden Wohltaten wie der Bau von Krankenhäusern gepriesen, die auch ohne Staudamm gebaut werden könnten. Der Teil über Hasankeyf wurde noch nicht gesendet.
Aber einige Bewohner des Ortes kamen bereits zu Wort. Dazu gehört der Hirte Ahmet Akdeniz, der vor laufender Kamera sagt: „Wenn ein Kind krank ist und Sie können es nicht zum Arzt bringen, glauben Sie, dann haben sie nichts von einer historischen Brücke!“
In Hasankeyf wundert man sich über den Hirten. Bei einem Verein, der den Staudamm verhindern will, kannte man ihn bisher nur als Gegner des Projekts. Güven Eken, Vorsitzender des Naturvereins, kritisiert den Dokumentarfilm: „Wenn Baufirmen eine Serie über Staudammprojekte finanzieren, dann ist das so, als produziere eine Rüstungsfirma einen Film für den Frieden.“
Auch Ömer Güzel gehört zu den entschiedenen Gegnern des Ilisu-Dammes. Der Handwerker glaubt, dass ein Dammbau den Bewohnern nur schaden wird. In Hasankeyf gebe es so viel historische Substanz, dass es den Bewohnern nicht erlaubt sei, auch nur einen Nagel herauszuziehen – „aber der Staat darf einen Staudamm bauen und unseren Ort überfluten“.
Güzel hofft, dass Hasankeyf zu einem Touristenzentrum werden könnte, wenn es erhalten bleibt. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht – wenn der Staat keine neuen Partner findet.
(Die Presse.com)
Türkei: Ilisu-Staudamm wird ab April gebaut
Istanbul (keet). Der Bau des umstrittenen Ilisu-Staudammes am Tigris soll im April beginnen. Das teilte die Zeitung „Sabah“ gestern mit. Wenige Tage zuvor hatte ebenso der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan von einem baldigen Baubeginn gesprochen.
Weder Gerichtsurteile noch Proteste können das umstrittene Projekt stoppen. Dabei forderte erst vorige Woche das Europäische Parlament einen Baustopp für Ilisu.
Dabei forderte erst vorige Woche das Europäische Parlament einen Baustopp für Ilisu. Außerdem hatte ein Gericht Mitte Januar die Enteignung einer Landparzelle für ungültig erklärt, deren Besitzer umgesiedelt werden sollten. Das Gericht berief sich dabei darauf, dass die Kommission zum Schutze von Kulturgütern und Naturreichtümern noch nicht positiv entschieden habe.
Die zuständigen Behörden spielten die Bedeutung des Gerichtsurteils freilich herunter. Es betreffe nur ein Prozent des zu enteignenden Landes.
Auch in der Türkei ist nach der Ankündigung des Baubeginns mit heftigen Protesten zu rechnen. Viele prominente Künstler, darunter der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, unterstützen die Kampagne gegen den Damm. Pamuk hat sich sogar ein Anti-Ilisu-T-Shirt zugelegt.
Vor allem die Überflutung des historischen Städtchens Hasankeyf stieß auf Kritik im In- und Ausland. Auch Bedenken wegen der Umsiedlung wurden nie ausgeräumt. Ein erstes internationales Konsortium, dem die Schweizer Großbank UBS angehörte, zog sich vor einigen Jahren wegen der Kritik aus dem Projekt zurück.
Auch China ist abgesprungen
Ein zweites Konsortium mit Firmen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz trat an. Auch dieser Versuch scheiterte im Sommer 2009, weil die Türkei die Auflagen zu Kulturschutz, Umwelt und Umsiedlung einfach ignorierte. Alle drei Länder zogen ihre Exportrisikogarantien zurück.
Nun wollen die türkischen Institute Akbank und Garanti Bank mit 350Mio. Euro in die Presche springen. Auch der Rest der Finanzierung für das mit 1,1 bis 1,5Mrd. Euro veranschlagte Projekt scheint gesichert zu sein. Es ist jedoch nicht bekannt, ob die beiden Banken den Vertrag wie angekündigt unterschrieben haben. Unklarheit herrscht auch über die Baufirmen. Der österreichische Anlagenbauer Andritz Hydro ist jedenfalls nicht mehr dabei, wie die Firma auf Anfrage der „Presse“ bestätigte.
Indessen hat ein potenzieller Verbündeter für den Bau abgewinkt. Nach Informationen der österreichischen Umweltorganisation ECAWatch erklärte der chinesische Botschafter in Ankara, dass auch Peking keine Exportrisikogarantien für Ilisu plane.
Viele Beobachter hatten mit asiatischer Unterstützung gerechnet. Der Satz: „Wenn die Europäer sich zurückziehen, dann machen es halt die Chinesen“, war häufig zu hören. Nun aber sind die Türken auf sich allein gestellt. Mehr denn je wird Ilisu so zum nationalen Prestigeprojekt.
(Die Presse.com)