Ausgrabung Allianoi soll geflutet werden / Nicolas Cheviron
Archäologen geraten ins Schwärmen, wenn sie über Allianoi sprechen: Das ist auch kein Wunder, denn der Ausgrabungsort im Westen der Türkei birgt eine der besterhaltenen Kuranlagen des Altertums. Doch schon bald könnte der antike Badeort im Wasser versinken.
Nach jahrelangem Streit soll nun ein unweit von Allianoi gebauter Staudamm in Betrieb genommen werden, wodurch das ganze Gelände überflutet würde. Archäologen sind entsetzt und versuchen zu retten, was noch zu retten ist.
Es ist beeindruckend, was die Forscher schon ans Tageslicht gebracht haben. Ein von fünf Meter hohen Mauern umgebenes Schwimmbecken etwa, das von einer heißen Quelle gespeist wird. Oder eine unversehrte, mit Monolith-Säulen gestaltete Halle. Auch die Überbleibsel von Straßen, Brunnen und Häusern mit gut erhaltenen Mosaiken und fast 11.000 Artefakte wurden entdeckt.
Der Archäologe Ahmet Yaras hat fast neun Jahre gearbeitet, um diese Relikte freizulegen, die dank einer schützenden Schlammschicht der Zeit getrotzt haben und hervorragend erhalten sind. Doch es ist eben nur ein kleiner Teil der Schätze von Allianoi: Lediglich 20 Prozent der Oberfläche des antiken Kurortes, der seine Blütezeit im zweiten Jahrhundert nach Christus erlebte, haben Yaras und sein Team bislang erforscht. Jetzt läuft ihnen die Zeit davon.
In einem umstrittenen Verfahren hatte ein wissenschaftlicher Ausschuss im Oktober 2007 für die Flutung des Standortes votiert und damit zwei vorausgegangene, gegenteilig lautende Entscheidungen ausgehebelt. Jetzt ist es nur noch eine Frage von Wochen, ehe der Yortanli-Staudamm geflutet werden könnte. Das im vergangenen Jahr vollendete Bauwerk soll rund 8000 Hektar Felder der Umgebung bewässern. Derzeit laufen nur noch letzte Vermessungen und der technische Feinschliff.
„Was mich als Wissenschaftler schmerzt, ist die Tatsache, dass die Relikte für immer verloren wären – ohne je ihren Reichtum kennengelernt zu haben“, sagt Archäologe Yaras. Dabei hätten die 20 Prozent Ausgrabungen gezeigt, dass Allianoi die größte und besterhaltene antike Therme birgt. „Wir haben rund 400 medizinische Instrumente aus Metall gefunden, mehr als in irgendeiner anderen antiken Stadt auf der Welt“, empört er sich.
Viele Kollegen teilen Yaras Verbitterung. Auch sie beklagen das erwartete Verschwinden eines Ausgrabungsortes, den sie „außergewöhnlich“ nennen. Einer von ihnen ist Pierre Chuvin, Direktor des französischen Instituts für anatolische Studien. Er hat miterlebt, wie den Archäologen bei ihrer Arbeit immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden. So seien aus heiterem Himmel Gelder gestoppt worden. Zudem hätten die Behörden so lange wissenschaftliche Kommissionen einberufen, bis sie das gewünschte Gutachten bekommen hätten, klagt Chuvin. Er glaubt, Politiker hätten Angst, „dass sich der Ort als derart wichtig erweist, dass sie ihn einfach nicht mehr fluten können“.
Der Archäologe Aksel Tibet ist Gründer einer Forschergruppe, die sich für den Erhalt des historischen Erbes in derTürkei einsetzt. Was die Behörden vorhaben, findet er kurzsichtig. 50 Jahre könne so ein Staudamm genutzt werden, sagt Tibet. „Aber wenn man Allianoi erhalten würde, könnte es wirklich zu einem zweiten Pompeji werden. Das brächte viel Geld ein – für unbegrenzte Zeit.“
Ankettungsaktion für die antike Stadt Allianoi
Sechs Mitglieder des lokalen Naturvereins haben sich an die Kräne gekettet, mittels derer die antike Stadt Allianoi (Provinz Izmir) unter Sand begraben werden soll, um gegen die Verschüttung der Stadt zu protestieren. Güven Eken, Vorsitzender des Naturvereins, erklärte, die Aktion habe drei Stunden gedauert und diene dem Ziel, die Vernichtung der antiken Stadt im Westen der Türkei zu verhindern.
Gegenüber der türkischen BBC sagte Eken, Entscheidungen des Wissenschaftlichen Rates vor Ort seien nicht beherzigt worden, es sei lediglich eine Betonunterfütterung gemacht worden. Während der Arbeiten sei keine Fachperson zugegen gewesen.
Gegen die Entscheidungen des Rates sei klar verstoßen worden, so Eken weiter. Er betonte, es sei besorgniserregend, dass es bisher zu keiner rechtlichen Entscheidung bezüglich eines Stopps der Arbeiten gekommen sei. Der Staatsrat habe vormals viermal eine Unterbrechung verfügt, und jedes mal seien neue juristische Kniffe zur Fortführung angewendet worden. Es gehe den an der Verschüttung Interessierten darum, vollendete Tatsachen zu schaffen.
EINE LÖSUNG IST MÖGLICH!
Wie Eken weiter ausführte, ist es möglich, Allianoi mit Mauern zu umgeben und so zu retten; für diese Lösung hatte sich auch der Verein eingesetzt. Auf diese Weise würde die Stadt vom geplanten Staudamm getrennt werden, es sei jedoch gegenüber dem jetzt geplanten Projekt das teurere Unterfangen. Die Erhaltung der antiken Stadt zum Zwecke der Besichtigung und der Fortgang der begonnenen Grabungsarbeiten könnten jedoch nur so gewährleistet werden.
AUCH BAUERN FÜR DEN ERHALT DER STADT
Während politisch an der Flutung interessierte Kreise bekanntgeben, auch die lokalen Bauern seien für diese, erklärte Eken, hierbei handle es sich um Fehlinformationen. Die Anwohner und Anwohnerinnen und Bauern wünschten sich eine andere Lösung und den Erhalt der Stadt.
ERSTE ANWENDUNG DES 'JA' ZUM REFERENDUM
Trotz Einwänden von Historikern und anderen Wissenschaftlern sowie Umweltschützern wurde bereits mit der Verschüttung des antiken Bade- und Kurortes mit Sand begonnen -und dies, während der Rechtsstreit noch andauert. Da in den Gerichten nach der Referendumsentscheidung keine Entscheidungsbefugten für derartige Themen mehr bereitstehen, wird administrativ verfahren.
"KEIN KHORASAN-MÖRTEL - BETON!"
Unterdessen berichtete Dr. Ahmet Yaras, Vorsitzender der Ausgrabungsdelegation Allianoi, dass die Ruinen nicht mit speziellem Khorasan-Mörtel, sondern mit Beton verschlossen würden. Die als Khorasan-Mörtel bezeichnete Mischung enthält Kalk, Sand und Ziegelstücke. Yaras fuhr fort: „Was hier auf die Gemäuer geschüttet wird, schützt diese garantiert nicht. Es ist kein aus wissenschaftlicher Sicht geeignetes Material. Es ist von Khorasan-Mörtel die Rede, aber es handelt sich um mit Ziegelstaub vermischten Beton. Das ist verhängnisvoll. Unser größter Kummer ist, welch ein unethisches Verfahren hier Anwendung findet. Das benutzte Material besteht gänzlich aus Ziegeln und Beton. Wir haben eine Probe vor Ort genommen, um das zu beweisen und werden vor Gericht gehen?