Gehört Demokratie in den Müll der Geschichte?
- Geschrieben von Portal Editor
Das Plakat auf einer Straßenbahn in Erfurt war letztendlich der Anlass für diesen Artikel, der allerdings gerade beim Hören und Sehen der täglicher Nachrichten schon lang auf unserer Seele brennt, insbesondere beim Blick nach „rechts“,
denn was da in Deutschland, noch extremer in einigen der so genannten westlichen Staaten abgeht, ist nach den Erfahrungen durch Krieg und Elend, Korruption und Manipulation kaum noch nachvollziehbar: geht die Demokratie unter? Sind Menschen immer noch nicht hart genug vor die Wand oder besser ins offene Messer gelaufen, dass sie weiterhin den Scharlatanen folgen, die nun wirklich keine Lösungen und schon gar nicht den Menschen im Mittelpunkt ihres Handelns mit Fortschritt gerade in technologischer Hinsicht und einer Wandlung hin zu Natur und Umwelt sehen? Ganz im Gegenteil: zuerst daran denken, die eigenen Taschen zu füllen.
Es ist schlimm zu erleben, wie wenig „Menschen“ aus Ereignissen gelernt haben, immer noch denken, es geht alles so weiter wie bisher, nur keine Veränderung und schon gar nicht, wenn es noch etwas kostet. 25 Jahre Stillstand und reine Verwaltung des Apparates zeigen jetzt Wirkung. Hätte man langsam und schrittweise den Wandel in der Energiepolitik und in der Wirtschaft vollzogen, bräuchte heute niemand zu jammern. Dabei ist das Geplärre immer noch ein Geplärre auf sehr hohem Niveau. Keiner gräbt hier im „Goldenen Westen“ 40 Meter tief nach Wasser, transportiert es über Kilometer auf der Schulter bis nach Hause, lebt in einer Strohhütte, die kaum ein „Wohnen“ ermöglicht. Und wir wundern uns, dass auch diese Menschen anders leben wollen! Es aber sowohl aus klimatischen noch aus finanziellen Gründen können.
Demokratie war seit je her ein Kampfbegriff
Demokratie war seit je her ein Kampfbegriff und als solcher stets mit starken Wertvorstellungen verbunden. Fortdauernd einflussreiche antike Denker wie Platon und Aristoteles wurden hauptsächlich mit ihrer Kritik an negativen Folgeerscheinungen demokratischer Herrschaftssysteme überliefert und noch in der Frühen Neuzeit als Demokratieverächter betrachtet. Der Erste, der den Begriff Demokratie aufwertete, war der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza (1632–1677). Erst im 21. Jahrhundert ist das Wort stark positiv besetzt und dient unter anderem dazu, Populisten zu delegitimieren, die ihrerseits für sich in Anspruch nehmen, die Interessen des Volks zu vertreten. Demokratisch und / nicht demokratisch sind so Synonyme für gut und böse geworden. Wie wahr!
Als klassische Demokratie, an der moderne Demokratien gern gemessen werden, gilt die athenische im antiken Griechenland. Im Zeitalter der Atlantischen Revolutionen rückte hingegen von Polybios beeinflusst die Römische Republik stärker in den Fokus der historisch-politischen Reflexionen und Vergleiche.
Korrelation zwischen Demokratie und Frieden
Demokratien sind weniger gewalttätig als Nichtdemokratien. Das gilt für das Maß an innergesellschaftlicher Gewaltanwendung, vor allem aber führen Demokratien keine Kriege gegeneinander. Als Ausnahmen von diesem empirisch belegten Zusammenhang gelten die Faschoda-Krise zwischen dem Großbritannien und Frankreich 1898 und die Kabeljaukriege zwischen Island und Großbritannien in den Jahren 1958 bis 1976. In beiden Konflikten kam es jedoch nicht zum Ausbruch eines regulären Krieges. Ob die Korrelation zwischen Demokratie und Frieden auf einen Kausalzusammenhang zurückzuführen ist und falls ja, in welcher Richtung dieser wirkt, ist in den internationalen Beziehungen umstritten. So argumentierte etwa der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel, dass Kriege nicht im Interesse der Bürger seien. Wenn diese die Politik bestimmten, bleibe es friedlich. Dem wird entgegengehalten, dass nicht die Demokratie zu Frieden führe, sondern umgekehrt, dass eine friedliche Umgebung demokratische Prozesse fördere. Andere Kritiker argumentieren, dass das Fehlen von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Demokratien andere Ursachen habe, als dass sie Demokratien sind. Insofern handele es sich um eine Scheinkorrelation. Der amerikanische Politikwissenschaftler Dan Reiter sieht gleichwohl starke Indizien dafür, dass Frieden und Demokratie sich gegenseitig begünstigen, räumt aber ein, dass eine solche wechselseitige Begünstigung ebenfalls für Demokratie und Wirtschaftsentwicklung sowie für Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter besteht.
Kritik an Merkmalen und Erscheinungsformen der Demokratie wurde von teils namhafter Seite bereits in der Antike geübt. Für den Historiker Thukydides war Athen in der Ära des Perikles „dem Namen nach eine Demokratie, in Wirklichkeit aber eine Herrschaft des ersten Mannes“. Indes Tragödiendichters Euripides Tragödie „Die Schutzflehenden“ sagt der Herold aus Theben zu Theseus: „Die Stadt, aus der ich komme, wird nur von einem Mann regiert, nicht vom Mob; niemand scheucht dort die Bürger mit irreführenden Reden auf, und dirigiert sie zu seinem eigenen Vorteil hierhin und dahin.“
Die Kritik an mehr oder minder schwerwiegenden Mängeln gegenwärtiger demokratischer Systeme entzündet sich an diversen Erscheinungsformen und speist sich aus verschiedenen politischen Interessenlagen. Häufige Kritikaspekte betreffen eine Ungleichheit der Wähler- und Interessenrepräsentation, innergesellschaftliche Spaltungstendenzen, die demokratische Systeme destabilisieren, eine rückläufige Kultur demokratischer Auseinandersetzung oder eine nachlassende Wertschätzung demokratischer Errungenschaften. Kritische Einwände werden nicht nur von Politologen, Gesellschaftswissenschaftlern und Philosophen formuliert, sondern im ganzen Raum medialer Öffentlichkeiten.
Sartori betont in dem Fazit, mit dem er seine demokratietheoretischen Untersuchungen abschließt, dass Demokratie nicht für selbstverständlich zu halten sei. Laut Edmund Burke wachse die Sklaverei auf jedem Boden. Die Freiheit, so Sartori, könne man immer verlieren. „Sie ist eine Pflanze, die Pflege braucht.“
Demokratietypen und demokratische Systeme sind nicht nur gemäß diversen Kriterien qualitativ messbar und von Kritik begleitet, sondern auch Veränderungen ausgesetzt, die ihre demokratische Grundstruktur gefährden oder beseitigen können. Vor allem die Abwendung größerer Teile der jeweiligen Bürgerschaft von demokratischen Werten, Verfahren und Einrichtungen wird zur Bedrohung eines demokratischen Systems im Ganzen und kann eine Transformation zu demokratiewidrigen Herrschaftsformen bewirken. Wichtige Gründe für nachlassende oder fehlende Identifikationsbereitschaft mit demokratischen Strukturen können in der Abgehobenheit politischer Entscheidungsprozesse und der daran Beteiligten sowie in gesellschaftlichen Desintegrations- und Spaltungstendenzen liegen, die den Vorreitern und Nutznießern populistischer Stimmungsmache den Boden bereiten.
Als Antriebsfaktoren für demokratiegefährdende gesellschaftliche Spaltungsprozesse gelten vor allem unzureichend berücksichtigte und bearbeitete soziale Konfliktlagen, wie sie sich zum Beispiel aus einer fortschreitenden Diskrepanz der Einkommens- und Vermögensverteilung zwischen reichen und ärmeren gesellschaftlichen Schichten ergeben oder aus Integrationsdefiziten bei großen Zuwandererpopulationen sowie den daraus sich ergebenden Spannungen mit der aufnehmenden Gesellschaft. Die Zuspitzung derartiger gesellschaftlicher Konflikte begünstigt Wirksamkeit und Erfolg populistischer Politikansätze.
Von Eliten dominierte Politik und wachsende Kluft zwischen Armut und Reichtum
Als eine weitere Gefährdung von Demokratie betrachtet Salzborn eine durch die „Ökonomisierung des Politischen“ sich ergebende „Elitisierung“ von Politik. Entscheidungsprozesse würden in einen Raum verlagert, in dem nicht-legitimierte Marktakteure Macht ausübten. Dabei spitze sich eine Entwicklung zu, die in der Demokratie-Entstehung selbst angelegt sei, indem die sich ausbildende bürgerliche Gesellschaft zur Absicherung ihrer Produktions- und Handelsfreiheit der Garantie einer legitimierten Zentralgewalt und Rechtsordnung bedurfte. Werde aber der Gestaltungsraum des Politischen schrittweise aufgehoben und gerieten öffentliche Aufgaben zu privaten, so verschwinde „im Modus der Elitisierung“ die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit, die dann scheinbar zum Privatproblem werde.
Die Finanzkrisen seit 2008, so Vorländer, hätten laut Kritikern gezeigt, dass global agierende Investoren – einerseits Banken und Unternehmen, andererseits supranationale Institutionen wie die Weltbank oder die Welthandelsorganisation – die Welt regierten und dass an die Stelle der Demokratie „die Herrschaft der freien, deregulierten Märkte getreten ist.“ Die Globalisierung führe zu sozialen und ökonomischen Verwerfungen, habe eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich zur Folge und schaffe Verlierer, die im politischen System nicht mehr gehört würden.
Ein in gesellschaftlichen Mittel- und Unterschichten verbreitetes Gefühl, dass die Eliten es sich in einer Parallelgesellschaft „dort oben“ auf Kosten der Minderprivilegierten mit allerlei halblegalen und illegalen Machenschaften gut gehen lassen, wurden in der jüngeren Vergangenheit immer wieder befeuert: auf internationaler Ebene etwa durch die Bekanntmachung der Panama Papers und der Paradise Papers, in Deutschland unter anderem durch die Offenlegung von Cum-Ex-Geschäften. Der Soziologe Michael Hartmann sieht im Vorgehen der EU-Kommission gegen unerlaubte Finanzbeihilfen von Ländern wie Luxemburg und Irland für international agierende Großkonzerne wie Facebook, IKEA oder Google LLC nötige Ansätze einer Neuorientierung, die auch in der Besteuerung der jeweiligen nationalen Unternehmen und Bürger zur Geltung gebracht werden müssten. „Nur wenn es gelingt, realistische und durchsetzbare Alternativen zur neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte aufzuzeigen, kann man zum einen dem Rechtspopulismus mit seiner simplen Gegenüberstellung von Volk und Elite den Wind aus den Segeln nehmen, zum anderen zumindest einen Teil derjenigen wieder vom Sinn politischen Engagements überzeugen, die von der Politik enttäuscht sind und ihr ganz generell den Rücken gekehrt haben.“
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