Boßeln in Friesland - Ostfriesland
- Geschrieben von Portal Editor
Wer als Tourist durch Friesland / Ostfriesland reist, wird an etwas abgelegenen Straßen ab und zu auf Warnhinweis-Verkehrsschilder stoßen, deren Schriftzusatz zumindest in weiten Teilen Deutschlands unbekannt ist.
Deshalb wird manchmal auch missverstanden, besonders wenn plötzlich und unerwartet ein fröhlich anmutende Gruppe von aktiven Sportlern mitten auf der Straße auftauchen, die man als Autofahrer hier kaum vermutet.
Ein zünftiges Grünkohlessen in geselliger Runde
Wer dann auch noch zu schnell unterwegs war, der erntet zumindest verständnisloses Kopfschütteln der Aktiven, wenn nicht gar den Spruch, ob man denn das Hinweisschild nicht verstehen konnte.
Meist zur Winterzeit, wenn die Straßengräben zugefroren sind, ist das fast als Nationalsport der Norddeutschen zu bezeichnende Straßenboßeln ein beliebter Freizeit- und Vereinssport, der gern am Wochenende aber auch als geselliges Beisammensein im Kreise von Freunden oder Bekannten oder auch im Rahmen von Feiern, betrieben wird. Meist folgt den sportlichen Aktivitäten im Nachhinein noch ein zünftiges Grünkohlessen in geselliger Runde.
Zu Beginn der Boßelveranstaltung werden in der Regel zwei Mannschaften gebildet, deren Ziel darin besteht, eine vorher festgelegte Strecke mit möglichst wenig Würfen jeder einzelnen Person im Team zu überbrücken. Die zu absolvierende Strecke zieht sich über Kilometer hin, beinhaltet Kurven, Abschüsse und Steigungen, so das es einen Ausgleich zwischen Kraft und Geschicklichkeit gibt. Meist kommt dabei für einen Weg traditionell eine Pockholz Boßelkugel zu Einsatz und für den Rückweg eine überwiegend rote Hartgummi Boßelkugel.
"Sportgeräte" sind in der Regel zwei verschiedenartige Kugeln
Nach unseren Recherchen soll sich das Boßeln aus einer anderen, typisch norddeutschen Sportart, dem Klootschießen, etwa Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt haben. Mit Zunahme der Befestigung der Straßen wuchs auch die Beliebtheit des Boßelsports kontinuierlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Boßeln dann endgültig zum Freizeit- und Breitensport, zumindest in Norddeutschland.
Die zum Boßeln notwendigen "Sportgeräte" sind in der Regel zwei verschiedenartige Kugeln, wobei traditionell früher immer eine Boßel aus dem harten Holz des Guajakbaumes, dem so genannten Pockholter, zum Einsatz kam, während die zweite Kugel aus Gummi bestand. Beide Kugeln haben 12 Zentimeter Durchmesser (für die Jugend gibt es auch 8,5 Zentimeter Durchmesser große Kugeln). Heute kommen häufig auch Kunststoffkugeln zum Einsatz, die dann aber nach wie vor auch Holz genannt werden. Von großer Wichtigkeit sind allerdings auch die so genannten "Klootsoeker", kleine metallische Körbe an einer langen Stange, die dazu dienen Boßelkugeln, die in den Straßengraben gerollt sind, wieder heraus zu fischen.
Der normale Abwurf ohne Drall wird "liek ut Hand" genannt
Beim Boßelwurf wird der Arm im Laufen zunächst nach hinten bewegt und anschließend unter der Hand mit einer schnellen Bewegung wieder nach vorne geschnellt, um die Boßelkugel mit einer hohen Geschwindigkeit loszulassen. Dabei kommt es darauf an, die Flugbahn nicht zu steil werden zu lassen, damit die Kugel nach der Landung auf der Straße noch möglichst weit rollt. Durch verschiedene Techniken beim Abwerfen kann der Boßler der Kugel einen Drall mitgeben, der es möglich macht, um eine Kurve zu werfen. Im Plattdeutschen werden diese Techniken "överd Dum" (über den Daumen) und "överd Finge" (über den Finger) genannt. Der normale Abwurf ohne Drall wird "liek ut Hand" (gerade aus der Hand) genannt. Auf geraden Strecken mit geeignetem Untergrund können auf diese Art und Weise Spitzen-Boßler mit der Gummikugel problemlos Weiten von 200 Metern mit einem Wurf erzielen.
Auf halber Strecke ist eine Wende vorgeschrieben
Das norddeutsche Straßenboßeln wird als Streckenwerfen auf der Straße ausgetragen. Dabei treten zwei Mannschaften (bei offiziellen Wettkämpfen je nach Altersklasse in zwei oder vier Gruppen mit je vier Werfern) gegeneinander an. Die Mannschaften werfen abwechselnd, wobei das zurückliegende Team jeweils den ersten Wurf hat. Jeder Werfer setzt mit seinem Wurf am Landepunkt des Vorwerfers seiner Mannschaft an. Gelingt es dabei dem Werfer des zurückliegenden Teams nicht, den Rückstand wettzumachen, erhält der Gegner einen Punkt, der Schoet oder Wurf genannt wird. Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Schoets zu erzielen. Die Streckenlänge ist unterschiedlich, da je nach Straßenbeschaffenheit die Wurflänge unterschiedlich ausfällt. Sie sollte so sein, dass jeder Werfer zwischen zehn und zwölf Würfe zu absolvieren hat. Dadurch beträgt die Gesamtstreckenlänge, die die Spieler zurücklegen müssen, mehrere Kilometer. Im offiziellen Spielbetrieb ist auf halber Strecke eine Wende vorgeschrieben, bei der auch die Art der Boßelkugel gewechselt wird..
Die Freizeit mit Boßeln zu verbringen
Die lange Wegstrecke und häufige Unterbrechungen durch den Verkehr auf den öffentlichen Straßen führt dazu, dass Wettkämpfe zwei bis drei Stunden und länger dauern. Gesperrt werden Straßen nur bei großen Wettkämpfen wie der Deutschen Meisterschaft, bei denen neben den Spielern auch zahlreiche Zuschauer die Wurfstrecke säumen.
Heute ist das Boßeln im Rahmen von Vereinmeisterschaften wieder stark verbreitet, nachdem es die Zahl der aktiven Sportler lange rückläufig waren. Da es mittlerweile auch in anderen Regionen Norddeutschland entsprechende Boßelwettkämpfe gibt, finden auch überregionale Meisterschaften statt. Auf privater Ebene gibt es vielfache Anlässe, die Freizeit mit Boßeln zu verbringen, da hier häufig im Anschluss eine Feier oder eine regionaltypische Kohlfahrt stattfindet.
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