Jever – Altstadtfest und Schlossbesichtigung
Es war wirklich ein reiner Zufall, dass unser gemeinsam mit Brita und Gerda geplanter Ausflug an die Nordsee gerade auf das Wochenende fiel, als auch das weit über die Stadtgrenzen Jevers bekannte Altstadtfest gefeiert wurde.
So war es denn auch schwierig, ein geeignetes Hotel in der Nähe zu finden, da bereits etliche Buchungen für gerade dieses Wochenende vorlagen. Doch wir hatten Glück, es gab noch freie Zimmer in der Stadt. So war dann auch bereits kurz nach dem Einchecken ein erster Rundgang durch Jever angesagt, der am Schlosserplatz begann.
Jever - ein Altstadtfest mit Tradition
Seit vielen Jahren schon ist das Altstadtfest Jever der Besuchermagnet für Gäste aus allen Himmelsrichtungen schlechthin, ja das Altstadtfest ist sogar zu einem festen Termin für viele ehemalige Jeveraner oder deren Freunde geworden, die alte Heimat zu besuchen und sich mit Bekannten zu treffen. Man muss sich das Altstadtfest als eine Art Open Air Veranstaltung mit vielen musikalischen Ausrichtungen, die wohl für jeden Geschmack etwas Passendes bietet, inmitten der Stadt vorstellen und an diesem Wochenende komplett für den Fahrzeugverkehr gesperrt ist. So findet man neben zahllosen Schaustellern, Bierbuden, Tanzzelten und mehr oder weniger professionellen Verkaufsständen die ganze Innenstadt gefüllt mit buntem Leben und Treiben und abwechslungsreicher Live Musik auf 5 Bühnen. So sind denn auch die langen Nächte mit Musik bis in den frühen Morgen berüchtigt.
Tolle Live-Musik vor dem Schloss
Unser Rundgang begann am Schlosserplatz in Richtung Schlossgraft, dann über den Alten Markt durch die Neue Straße, über das Gelände der Brauerei zur Pferdegraft und anschließend zum Rathausplatz. Jetzt am Freitagabend war das Altstadtfest schon sehr gut besucht, dabei ist eigentlich der Samstag immer der wichtigste Tag des Altstadtfestes. Neben vielen Bierständen gibt es fast alles, was das Herz begehren könnte, so war für das leibliche Wohl immer gesorgt. Auf dem Kirchplatz, auf dem Alten Markt und vor dem Schloss gab es tolle Live-Musik, so dass wir noch eine ganze Weile ausharrten, trotz des langen Tags auf den Straßen. Locker und fröhlich präsentierten sich die Menschen und so konnten auch einige Kontakte geknüpft werden. Kurz nach Mitternacht war dann doch der Punkt erreicht, wo uns die Müdigkeit der letzten Tage aufgrund der vielen Ereignisse und Eindrücke eingeholt hatte. Wir wandten uns also unseren Unterkünften zu.
Jever - einst Nordseehafen und bedeutende Handelsstadt
Einige Besonderheiten zu Jever sollten an dieser Stelle nicht fehlen, denn sie sind mehr als nur Punkte, die mit „Ach so“ abgetan werden können. Die Stadt Jever liegt auf einem weit in das Marschgebiet hineinreichenden Geestrücken, der etwa 7 bis 8 Meter über dem Marschniveau liegt und aus Sandablagerungen besteht, die sich hier während der letzten Eiszeit abgelagert hatten. So galt Jever mit seinem Nordseehafen einst als bedeutende Handelsstadt. Heute kaum noch vorstellbar, denn jetzt sind es ca. 25 Kilometer bis ans Meer. Heute erinnert ein stilisiertes Hafenbecken mit einem Schiffmodell als Spielgerät für Kinder an der Schlachte an diese Vergangenheit. In Richtung Schortens gab es riesige Moorflächen mit sich anschließenden Waldgebieten, die heute zur Naherholung per Fahrrad stark frequentiert werden. Zu den beliebten Naherholungszonen zählen auch die Jever umgebenden Kanäle, die hier mit Tief bezeichnet werden. Lange Zeit war das Hooksieler Tief die Verbindung des Jeverschen Hafens mit dem Meer, denn um 1546 entstand in Hooksiel der Vorhafen der Stadt Jever und so wurde das Tief noch über Jahre für die Anbindung Jevers ans Meer mit kleineren Schiffen genutzt. Heute werden die Tiefs für Ausflüge mit dem Boot oder für Fahrradtouren auf Wegen genutzt, die meist parallel zu den Kanälen verlaufen.
Klaus Störtebeker und Goedeke Michels
Funde aus Jever und Umgebung lassen auf eine frühe Besiedlung schließen, so wurde ein noch um 1880 bei Nobiskrug in der Nähe von Upjever völlig unversehrt vorgefundenes Hünengrab leider gesprengt, da es als störend für die hiesige Landwirtschaft betrachtet wurde. Um die Zeitenwende war das Jeverland Siedlungsgebiet der Chauken. Um 826 kam Jever unter die Herrschaft des dänischen Fürsten Hariold. Auch in der Gudrunsage findet man Aussagen über die Vorherrschaft der Dänen in Friesland, denn der Sänger Horand berichtet von seinem Ritt auf dem Sand gen „Givers“, der alten Bezeichnung von Jever. Dies ist die wohl älteste Nennung Jevers. Um 1158 taucht der Name „Geverae“ auf, der wohl latinisierten Form des niederdeutschen Geveren, was so viel wie „Weideland“ bedeutet. Aus den Jahren um das 14. Jahrhundert sind enge Handelsbeziehungen zu den Vitalienbrüdern bekannt, der bekannten Piratengenossenschaft, die unter Klaus Störtebeker und Goedeke Michels das Meer unsicher machten und auch mit „Likedeeler“ bezeichnet wurden.
Edo Wiemken und Fräulein Maria - die Stadtrechte
Um 1505 wird der Bau des Schlosses unter dem letzten Häuptling des Jeverlandes, Edo Wiemken, beendet, dessen bekanntes Grabmal sich im einzig erhaltenen Rest Teil der Stadtkirche befindet. Das in großen Teilen aus Holzschnitzarbeiten bestehende Grabmal gilt als echtes Kunstwerk unter den Denkmälern. Wenig später führt die Erbtochter Edo Wiemkens Maria nach einer Zeit der Herrschaft des ostfriesischen Grafen Edzard des Großen wieder in die Unabhängigkeit zurück. Unter der Führung der sagenumwobenen Herrscherin „Fräulein Maria“ erhielt Jever die Stadtrechte und nennt sich entsprechend bis heute „Marienstadt“.
Zarin Katharina II - Jever wird Russisch
Eine besondere Kuriosität in der Geschichte gab es wenig später als wegen der Erbfolge der Zerbster Fürstenfamilie aufgrund des Sonderstatus das Jeverland als Kunkellehen an die nächstfolgende Erbin, der russischen Zarin Katharina II weitergegeben wurde. Somit wurde Jever russisch, was heute noch mit einem großen Gemälde der Zarin Katharina II im Schloss von Jever dokumentiert wird. Bis zur Besetzung durch französische Truppen im Jahr 1807 blieb Jever ein Teil Russlands. Die folgenden Jahre waren ein Wechselspiel, denn zunächst wurde Jever dem Königreich Holland angegliedert, später mit Holland dem Kaiserreich Frankreich und zurück an Russland. Um 1818 kam Jever zurück an das Großherzogtum Oldenburg. Sogar der jeversche Bahnhof erhielt 1888 noch einen Wartesaal, der ausschließlich dem Oldenburger Großherzog vorbehalten war.
2.000 Bürger Jevers vor dem Schloss zum Protest
Leider gibt es auch in der Geschichte Jevers eine Schattenzeit, die starke Aktivitäten in Richtung eines völkischen Nationalismus zeigte, hier vor allem durch den Gymnasiallehrer Oskar Hempel, der es verstand mit den Kollegen des Mariengymnasiums starken Einfluss auf die Bürger und damit auf die Stadtverwaltung zu nehmen, so das Jever schon kurz nach dem ersten Weltkrieg als eine Hochburg des Nationalsozialismus zu nennen ist. Die erhaltenen Quoten nach Wahlen für die Nationalsozialisten lagen in Jever im Schnitt fast 20% über dem Durchschnitt anderer deutscher Städte im deutschen Reich. Einher damit ging auch der zunehmende Antisemitismus und die Verfolgung sonstiger Minderheiten, wie aus der Geschichte bekannt ist. Als fast schon zu Kriegsende die NSDAP-Kreisleitung die Verteidigung der Stadt gegen alliierte Streitkräfte forderte, versammelten allerdings auch 2.000 Bürger Jevers vor dem Schloss zum Protest gegen die sinnlose Verteidigung der Stadt Jever und sorgten so im Ergebnis für die Entwaffnung der NSDAP Gefolgsleute und hissten anschließend die weiße Fahne auf dem Schlossturm. Als in den 70er Jahren erneut rechte Kreise in der Stadt bemerkt wurden, gab es einigen Druck von der Linken Opposition, so dass schon früh das Thema Nationalsozialismus demokratisch aufgearbeitet wurde.
Und solange kein Löffel in der Tasse steht....
Für den kommenden Samstagmorgen hatten uns Maria und Jochen zum gemeinsamen Frühstück eingeladen, der wir alle gern gefolgt sind. So gab es neben frischen Brötchen natürlich auch echten Ostfriesentee, der in seinem Prozedere von Jochen erklärt wurde. Nach der Wahl eines Kluntjes, für die Süßen unter uns dürfen es auch zwei sein, erfolgt das Aufgießen des wirklich heißen Tees, so das der Kluntje in unzählige Kleinteile zerplatzt und so seine Süße besser verteilt. Jetzt wird mit dem Sahnelöffel etwas Sahne an den Rand der Tasse eingefüllt, so dass sich diese langsam an der Teeoberfläche verteilt und dabei diverse Figuren bildet. Das Rühren, so Jochen, ist dabei strikt verboten. Möglichst heiß getrunken ist das der wahre Teegenuss. Und solange kein Löffel in der Tasse steht, wird ohne Nachfrage Tee nachgeschenkt.
Alkoven Betten und dem verzierten Sandmustern auf dem Boden
Nach dem Frühstück stand für uns erneut das Altstadtfest auf dem Programm, denn am Samstag ist obligatorisch Flohmarkt für die Jüngeren und für die privaten Anbieter angesagt. Wir zogen also erneut in die Innenstadt und nutzen die Chance für diverse günstige Einkäufe und Verköstigungen. Während des Rundgangs beschlossen wir auch den Besichtigungsrundgang durch das Schloss mit einzuschließen und so waren wir am frühen Nachmittag im Schloss Jever angekommen. Als Heimatmuseum zur örtlichen Geschichte zeigt das Museum eine Vielzahl von Fundstücken aus der Region sowie Räume aus den Bereichen Handwerk und Läden von hiesigen Geschäftsleuten, die im Zuge von Erneuerungen heute leider nur noch im Museum zu sehen sind. Auch die Räume des Schlosses selbst sind nach damaligem Stand eingerichtet und lassen einen tiefen Einblick in das Leben der Menschen des 15. Jahrhunderts zu. Hier sind es vor allem die bäuerlich eingerichteten Räume mit ihren Alkoven Betten und dem verzierten Sandmustern auf dem Boden. Besonders beeindruckend ist natürlich der sogenannte Audienzsaal mit der wundervoll geschnitzten Holzdecke und den reichlich verzierten Ledertapeten, in dem noch heute klassische Konzerte oder Lesungen stattfinden. Ein Rundgang der allein aufgrund des Audienzsaals schon als lohnend zu bezeichnen ist. Seit einigen Jahren ist es auch wieder möglich, den Schlossturm zu erklimmen, der bei guter Sicht einen Blick bis auf die Insel Wangerooge ermöglichst.
Rio, dem legendären DJ und Eigentümer des „Whisky“ in Wittmund
Ein Highlight der besonderen Art erwartete uns am Ende des Rundgangs und hat sich mittlerweile zu einem besonderen Anziehungsmagneten entwickelt: die neuere Zeitgeschichte der 70er Jahre hier insbesondere der Diskotheken- und Hippieszene und ihrer Hauptfiguren, allen voran Silverio de Luca, kurz Rio, dem legendären DJ und Eigentümer des „Whisky“ in Wittmund. In seinem „Laden“ waren unzählige bekannte Persönlichkeiten zu Gast, so auch der designierte Bundespräsident Wulff. Neben vielen Ausstellungsaccessoires aus den 70er und 80er Jahren wird authentisches Material zu vielen damals weit über die Bezirksgrenzen bekannten Diskotheken Oldtimer, Meta und Old Inn oder besser den Treffpunkten der Hippiekultur gezeigt. Schließlich war Friesland in den 70er Jahren der Mittelpunkt der Welt, zumindest was Musikkultur und Hippie Zeitgeist betraf.
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