Tagesausflug - Von Marseille nach Glanum

Tagesausflug - Von Marseille nach Glanum

Unser Interesse an der Römerzeit in Marseille hatte ja zu ersten Erkenntnissen insbesondere durch das Museum im Centre de la Vieille Charité geführt, obwohl die Recherche nicht ganz einfach war.

Am heutigen Tag wollen wir zu einer kleinen Exkursion nach Saint-Rémy-de-Provence aufbrechen, einem Ort etwa 85 Kilometer von Marseille entfernt, wo uns die Ruinen der antiken Stadt Glanum erwarten, die erst im Jahr 1921 durch Ausgrabungen wieder in das öffentliche Bewusstsein vordringen konnten.

Gründung des Ortes als Oppidum durch Salluvier

glanum 012Seitdem kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass Glanum sich in Frankreich zu einer der wichtigsten archäologischen Fundstätten aus der Römerzeit entwickelt hat. Mehr als ein Jahrhundert archäologischer Forschung ermöglicht es heute, die Zeugen dieser außergewöhnlichen architektonischen Ruinen zu genießen. Die im Herzen des Alpilles-Massivs gelegene zunächst gallische Stadt wurde in der Folge von griechischen und später römischen Einflüssen geprägt.

Die spätere Stadt Glanum wurde von den Salluviern zunächst noch als Oppidum oder Festung auf dem Mont Gaussier gegründet. Eine Trockenmauer umgab einst das zwanzig Hektar große Gelände und sperrte den Pass durch die Alpilles.

glanum 02Ein Schrein des Keltengottes Glanis, der mit einer Heilquelle in Verbindung gebracht wird, entstand im 4. Jahrhundert vor Christus. Spätestens im Laufe des 3. Jahrhunderts v. Chr. errichteten Griechen dort ein Handelszentrum mit Namen „Glanum“. Ausgehend von Marseille wuchs der griechische Einfluss durch Händler, die die Rhone hinaufzogen. Sie brachten ihr Alphabet mit, in dem auch der lokale keltische Dialekt verschriftlicht wurde, und natürlich auch ihren Baustil.

Glanum hatte also schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel, als im 1. Jahrhundert v. Chr. nachweislich die Römer dort die Herrschaft übernahmen. Die griechische Agora wurde in zwei Bauphasen zum römischen Forum umgewandelt, es entstanden Thermen, Triumphbogen und Tempel.

All das geschah nicht zuletzt deshalb, weil Kaiser Augustus die Stadt in den Rang einer römischen Kolonie erhob. Sein Schwiegersohn Agrippa soll sogar in Glanum geweilt haben und ließ dort einen Tempel errichten.

Monumente und Zweckbauten durch die Römer

glanum 04Doch mit den Römern kamen nicht nur schöne Monumente, sondern auch wertvolle Zweckbauten. Es entstanden sowohl ein erstaunlicher Staudamm als auch eine geniale Kanalisation für die Stadt, die das lange erlittene Problem regelmäßiger Überflutungen bei Regenzeiten löste. Auch eine trapezförmige Agora wurde errichtet.

Die Römer übernahmen Schrein und Heiligtum und ebenso eine Dreiheit lokaler Müttergöttinnen, denen sie die Bezeichnung Glanicae gaben. Sie wurden mit den Matronen identifiziert. Die Göttinnen Epona und Rosmerta und der Gott Merkur waren ebenfalls präsent. Die einst griechische Agora machte in zwei Phasen einem römischen Forum Platz.

glanum 07In augusteischer Zeit wurde die Stadt zur Kolonie aufgewertet und viele Monumentalgebäude errichtet, inklusive Thermen, eines Triumphbogens und verschiedener Tempel. Vermutlich zu dieser Zeit wurde der Glanum-Staudamm errichtet, der die Kolonie mit Wasser versorgte. Eine Kanalisation, die auch für den Regenwasserabfluss in dem engen Tal sorgte, wurde angelegt.

Der eindrucksvolle Torbogen von Glanum (12,50 m lang, 5,50 m breit, 8,60 m hoch) stammt aus der späten Regierungszeit des Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) und macht ihn damit zu einem der ältesten in Gallien. Er zeigt gallische Gefangene, die von den siegreichen Römern in Ketten abgeführt werden. Sein oberer Teil wurde im 18. Jahrhundert in Form eines Giebeldaches umgestaltet und mit Steinplatten abgedeckt, um ihn gegen Regen zu schützen. Dies gab ihm seine etwas merkwürdige Form.

glanum 09Neben dem Triumphbogen befindet sich das 18 Meter hohe Mausoleum, Teil einer Nekropole außerhalb der Stadtmauer. Drei Brüder mit dem Familiennamen Julius haben es im Gedenken an ihre Eltern errichtet. Es stammt aus dem Jahr 35 v. Chr. und erinnert laut Inschrift daran, dass die Familienmitglieder Sextius, Lucius und Marcus damit ihren Vater und Großvater ehren wollten. Das Mausoleum ist mit vielen Reliefs und Statuen geschmückt.

Die Form des Monuments ist ungewöhnlich. Das Piedestal ist an allen vier Seiten mit Reliefs geschmückt, die historische und mythische Motive wiedergeben. Die Darstellungen zeigen die folgenden Szenen:

Nord: Eine Kavallerieschlacht (unbekannten Datums und Ortes, möglicherweise mythisch)

Ost: Inspiriert durch den mythischen Krieg zwischen den Griechen und den Amazonen zeigt es einen Krieger, der Trophäen seines toten Feindes nimmt.

glanum 08Süd: Die Legende von der Jagd nach dem Kalydonischen Eber, ausgeführt durch Meleagros mit Kastor und Pollux auf einem Pferd.

West: Eine Szene aus dem Trojanischen Krieg mit dem Kampf um den Leichnam des Patroklos.

Über dem Piedestal befindet sich ein vierfacher Torbogen, der an einen Triumphbogen erinnert. Ort und Gestaltung haben vermuten lassen, dass das Monument auf die möglicherweise militärischen Verdienste des Vaters der Julier Bezug nimmt, derentwegen er das römische Bürgerrecht erhalten haben könnte. Das Kenotaph wird von einer Struktur bekrönt, die an einen Rundtempel oder eine Tholos erinnert und in der zwei Togastatuen aufgestellt sind (heute Kopien), möglicherweise Vater und Großvater der Stifter.

glanum 03Die Überreste der Thermen befinden sich auf der östlichen Seite der Straße. Sie wurden zwischen 50 v. Chr. und 25 v. Chr. erbaut, gegen Ende des 1. Jahrhunderts erweitert und unter Lucius Verus (161–169) mit Marmor dekoriert. Der ältere nördliche Teil bestand aus drei Räumen, dem Caldarium (Heißbaderaum), dem Laconium (Trockenschwitzraum) mit einem heute rekonstruierten Hypokaustum und dem Frigidarium (Kaltbaderaum), in dessen Grundmauern noch eine Wasserleitung zu erkennen ist. Der Erweiterungsbau umfasste eine zentrale Palästra (Sportplatz) mit dem Haupteingang sowie eine Natatio (Schwimmbecken).

Systematische Ausgrabungen in Glanum ab 1921

glanum 01Systematisch wurde Glanum ab 1921 ausgegraben und entwickelte sich seitdem zu einer der bedeutendsten antiken Fundstätten in Frankreich. Pierre de Brun ließ die Thermen und das Gelände um die Basilika in der Unterstadt freilegen. Unter der Leitung von Henri Rolland wurde zwischen 1942 und 1969 das Gelände vom Forum bis zur Heilquelle erforscht. Ab 1982 fanden erneut Grabungen statt, bei denen unter anderem ein Brunnen aus der hellenistischen Epoche und weitere Anlagen zur Wasserversorgung untersucht wurden. Die Ausgrabungen beschränkten sich auf zwei Hektar im mittleren Tal. Zur Blütezeit der Stadt waren auch noch zwei Seitentäler und die Hügel der Umgebung bebaut. Die Hauptstraße führt von dem nicht erhaltenen Stadttor zum sakralen Bezirk mit der Heilquelle. Unter der Straße befindet sich ein mit Platten abgedeckter Abwasserkanal sowie ein kleinerer Frischwasserkanal.

Die Funde der Grabungen in Glanum befinden sich zum großen Teil in Saint-Rémy im Hôtel de Sade, das im 15. Jahrhundert von einer reichen Färberfamilie aus Avignon anstelle eines älteren Herrschaftshauses errichtet wurde und in dem sich heute ein Archäologisches Museum befindet. Vor Ort gibt es ein Besucherzentrum, in dem die Grabungsstelle auch didaktisch aufbereitet ist.

Die Ausgrabungen haben ein Wohnviertel mit Häusern mit zentralen, von Säulen umgebenden Höfen zutage gefördert, sowie Straßen mit Abwasserkanalisation, Mosaiken, Thermen und das Forum.

glanum 011Glanum wurde 260 im Alemannensturm zerstört und später aufgegeben. Die Einwohner siedelten einige Kilometer weiter nördlich in der Ebene an der Stelle des heutigen Saint-Rémy-de-Provence. Aber noch in der mittelalterlichen Peutinger-Karte, die auf römischen Vorlagen beruht, ist Glanum als Glano verzeichnet.

1564 besichtigte der französische König Karl IX. Triumphbogen und Mausoleum. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden in diesem Bereich Münzen und Skulpturen gefunden, im 19. Jahrhundert begann der Marquis de Largoy, die Talmulde zu erforschen.

Ein absolut lohnendes Ziel, wenn man sich für die Stätten der antiken, städtebaulich und infrastrukturell, so begabten und ihrer Zeit weit voraus agierenden Römer mit ihrer Vielzahl an Göttern interessiert. Kein Vergleich zu den erbärmlichen, von Seuchen heimgesuchten Städten des europäischen Mittelalters. So kommt immer wieder die Frage auf: Wie kann es sein, dass bereits vorhandene Kultur und Infrastrukturwissen aus dem Leben der Menschen und besonders aus den Ideen der Architekten und Bauingenieure verschwinden und die Menschen erbärmliche Lebensumstände im Glauben an nur einen Gott tolerieren.

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