Ist der Anblick schwangerer Frauen hässlich und unmoralisch?
- Geschrieben von Portal Editor
In der Türkei sorgen die Äußerungen des Anwalts und Moderators Ömer Tugrul Inancer im Fernsehprogramm des Senders TRT noch immer für Unruhe und Widerspruch, der jetzt auch die Religionsbehörde sowie Vertreter aus den Gruppen der Frauenrechtler auf den Plan rief.
Hochschwangere Frauen auf den Straßen der Städte seien "hässlich" und ihr Anblick sei "unmoralisch", so hatte sich der auch als muslimischer Intellektueller bekannte Anhänger des Sufismus Ordens Ömer Tugrul Inancer im Fernsehprogramm von TRT geäußert, wörtlich: "nicht nur unmoralisch, sondern auch hässlich". Ömer Tuğrul İnançer ist auch Generaldirektor am Staatsensemble für Klassische Türkische Musik und war somit bei nahezu allen gesellschaftlichen Gruppen des Landes eine respektierte Persönlichkeit. Während der Schwangerschaft, so Inancer weiter, sollten Frauen ab dem 7. oder 8. Monat das Haus nur noch am Abend und in Begleitung ihres Ehemannes und am Besten im Auto sitzend verlassen, wenn sie das Bedürfnis nach frischer Luft verspüren. Es gehöre sich nicht, dass sie sich in die Öffentlichkeit begeben. Seine Äußerungen lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Insbesondere in Istanbul und Ankara gingen wütende Schwangere auf die Straße, während einige sich Männer aus Solidarität ein Kissen unter das Hemd steckten und die Schwangeren so unterstützten.
Es sei nicht Teil des Islams, schwangere Frauen einzusperren
Unmittelbar hatte sich das Amt für religiöse Angelegenheiten von den Äußerungen distanziert: "es sei nicht Teil des Islams, schwangere Frauen einzusperren." Eine solche "Ausgangssperre" widerspräche allen Geflogenheiten, so das Amt.
"Die Grenze des Ertragbaren sei mit diesen Äußerungen weit überschritten", äußerte Hilal Dokuzcu, Politikerin des Frauenverbands der CHP. Und weiter: „Während Vergewaltiger und Perverse frei in der Gegend herumlaufen, wird hier ein ums andere Mal versucht, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen anzutasten“.
Die ehemalige Bildungsministerin der AKP, Nimet Baş, zeigt sich entrüstet. „Soll eine schwangere Frau etwa neun Monate zu Hause verweilen? Diese Aussagen entbehren jeder Grundlage. Er kann es weder religiös noch traditionell begründen“.
Doch anstatt auf die wirklich begründete Kritik einzugehen, beharrt Inancer auf seinen Thesen: „Meine Meinung hat sich nicht geändert. Es ist nun einmal unästhetisch. Zudem treten Schwangere in Werbespots auf, nur damit einige Unternehmen ihre Produkte verkaufen können. Ich erkenne hier einen Missbrauch. Doch die Schwangerschaft ist etwas ehrenwertes und ehrenwerte Dinge sollten nicht zur Schau gestellt werden.“ So seine Stellungnahme in der Zeitung Akşam und wie er sagt "zum Schutz der Mutter und des werdenden Kindes. Schließlich schicken Unternehmen bei ihnen beschäftigte Frauen in den Mutterschutz, damit sie zu Hause blieben".
Özge Özpirinçci, türkische Schauspielerin, ging mit ihrer Kritik weiter und wurde persönlich: "Wenn ihre Mutter während ihrer Schwangerschaft spazieren gegangen wäre und frische Luft geschnappt hätte, wäre es niemals so weit gekommen“.
Es ist mein Körper. Es ist meine Entscheidung!
In Istanbul und Ankara war es in der Folge zu größeren Protesten gekommen, die letztendlich zu einem weiteren Nachspiel führten: Die Türkische Anwaltskammer (TBB) ist nun der Auffassung, dass dies eine Beleidigung der Frauen generell ist und fordert vom Obersten Rat für Hörfunk und Fernsehen, dass der ausstrahlende Sender dafür zur Rechenschaft gezogen wird.
"Die Aussagen des Moderators verstoßen gegen das Prinzip der Vermeidung zur Aufstachelung von Hass. Sie demütigen die Frau und diskriminieren sie für ihr Geschlecht. Das ist nicht mit der Gleichstellung von Frauen und Männern vereinbar", so zitiert die türkische Zeitung "Hürriyet" die Anwaltskammer.
"Es ist mein Körper. Es ist meine Entscheidung." Unter diesem Motto gingen am vergangenen Wochenende hunderte Frauen in Istanbul, Izmir und anderen türkischen Städten auf die Straße. Sie zeigten sich hochschwanger in der Öffentlichkeit.
Und doch ist die Wut groß bei Türkinnen wie Beyhan Güngör. Die 57-Jährige ist selbst Mutter und Ehefrau und will sich vom Staat nicht den Umgang mit ihrem Körper vorschreiben lassen: "Vor allem unter der AKP-Regierung werden wir Frauen seit rund zehn Jahren unterdrückt. Es wird versucht, jedes Detail unseres Lebens zu organisieren. Es wird gesagt, dass Frauen zu Hause bleiben und einfach nur Kinder kriegen sollen. Mindestens drei Kinder, wie es Premierminister Recep Tayyip Erdoğan sagte". Die aktive Demonstrantin und "Feministin", wie sie sich selbst bezeichnet, hat bereits viele Regierungen in der Türkei erlebt, doch der seit 2003 regierende Erdoğan sei schlimmer als seine Vorgänger: "Aufgrund seiner islamischen Wurzeln versucht er die Gesellschaft aus seiner islamischen Sichtweise zu formen. Das engt die Freiheiten für die Frau ein"(siehe Senada Sokollu / quantara.de).
In der Türkei fühle man sich nicht als Individuum
Die Proteste der Frauen fanden am Wochenende auch vor dem TRT-Gebäude in Izmir statt - die drittgrößte Stadt in der Türkei gilt als besonders modern und fortschrittlich. "Es sieht so aus, als wäre ich hier frei. Ich kann meine kurzen Hosen und Röcke tragen, aber von allen Seiten wächst der Druck zur Heirat", beklagt die 32 Jahre alte Günes Akcay, stellvertretende Sprecherin der Zukunftspartei der Grünen und Linken in Izmir (siehe Senada Sokollu / quantara.de).
Ab 30 Jahren werde Frauen immer wieder gesagt, dass sie doch endlich ein Kind kriegen und heiraten sollten, so Akcay. "Das sagen dir deine Mutter, dein Nachbar und deine Arbeitskollegen. Sogar dein Chef kommentiert dein Privatleben." In der Türkei fühle man sich nicht als Individuum, sondern nur als Ehefrau und Mutter. "Vor allem Erdoğan redet ständig über das Leben der Frauen. Er spricht sich gegen Abtreibung und gegen den Kaiserschnitt aus. Wir gehen gegen diese Art von Politik der Regierung ständig auf die Straße", so Akcay (siehe Senada Sokollu / quantara.de).
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