Sepp Bögle, der Steine-Stapler in Radolfzell
- Geschrieben von Portal Editor
Die Wiederholung einer Fernsehsendung zum Thema "außergewöhnliche Tätigkeiten" hatte uns auf die Aktivitäten von Sepp Bögle aufmerksam gemacht, der während der Sommermonate in Radolfzell am Bodensee Steine zu kleinen Kunstwerken errichtet ohne das die Steine dabei mit Hilfsmitteln verbunden werden.
An sich schon eine äußerst ungewöhnliche Art und Weise, sein Leben beruflich zu gestalten, waren doch auch die weiteren Informationen zur Person Sepp Bögle sehr interessant. Dank des Internets war es dann auch einfach, per Email Kontakt zum Sepp aufzunehmen, der dann letztendlich auch zu einem Besuch an seiner Wirkungsstätte führte.
Gemeinsam mit Brita und Gerda ging es entlang des deutschen Bodenseeufers von Friedrichshafen über Meersburg und Ludwigshafen bis nach Radolfzell, wo wir das Fahrzeug in der Nähe des Bahnhofs parken konnten. Natürlich hatten wir vorab per Mail nach der Anschrift von Sepp Bögle gefragt, die mit "An der Mole, letzter Baum" beantwortet worden war. Mittlerweile, so haben wir uns gedacht, ist auch diese Post-Anschrift vielleicht so ungewöhnlich nicht (bei den Tätigkeiten!). Um nicht lange umher zu irren, fragten wir vorsichtshalber noch einen Taxifahrer, der uns den Weg zur "Mole" erklärte. Durch die Unterführung am Bahnhof hindurch und etwas nach links auf die Mole und dann am Ende ist das Aufeinandertreffen gewährleistet. Natürlich war die Spannung spürbar, denn nicht oft trifft man auf Menschen wie den Sepp.
Wellengang am Hafen von Radolfzell
Ob durch einen Windstoß oder eine Erschütterung durch den eigentlich geringen Wellengang am Hafen von Radolfzell, fanden wir Sepp am Ufer vor, wo er gerade mit der Wiederherstellung einer Steinskulptur beschäftigt war.
Nur wenige Momente später richtete er sich auf und kletterte die Mole hinauf, um uns zu begrüßen. Sehr schnell war man in ein Gespräch vertieft, das zunächst zu kurzen Erläuterungen der gegenseitigen Aktivitäten führte. Schnell war das Gespräch, wohl auch aufgrund unserer Alaturka-Herkunft natürlich auch zum Thema Türkei und die politisch-religiösen Veränderungen im Land gelangt, worauf hin Sepp sein privates Fotoalbum aufschlug und uns Bilder der Hagia Sophia von Istanbul zeigte. In den 70er Jahren hatte Sepp schon einmal eine Zeit als Aussteiger damit verbracht, mit dem Fahrrad über Österreich (wo er ein Visum für Albanien beantragen wollte), Jugoslawien, Griechenland und die Türkei bis nach Indien zu fahren. Von einer griechischen Insel zur nächsten war Sepp seiner Zeit per Schiff bis in die Türkei gelangt, wo es dann per Fahrrad bis nach Istanbul ging. Dies waren damals Aktivitäten, die uns auch von Freunden bekannt sind, die es in die Welt hinaus getrieben hat. Sepps erste Erfahrungen als spartanischer Rucksack-Aussteiger im zarten Alter Anfang zwanzig.
Ein Wohnhaus wurde in Meßkirch gekauft
Sepp Bögle hatte sich in Bad Säckingen zum Industriekaufmann ausbilden lassen und dann sein Beschäftigungsverhältnis beendet, um eine einjährige Tour durch Asien zu unternehmen. Nach seiner Tour startete er in Gundelfingen eine zweite Ausbildung zum Koch, diesmal mit dem Hintergedanken, dann überall auf der Welt eine Beschäftigung zu finden, um mehr von der Welt zu sehen. So trieb es ihn bis nach Bali und in Singapur lernte er seine spätere Frau kennen. In Dogern wurde dann in den 80er Jahren geheiratet und eine gemeinsame Wohnung bezogen. Erneut gab es ein Umschwenken in den Tätigkeiten, denn jetzt arbeitete Sepp recht erfolgreich als Handelsvertreter. Ein "normales" Leben begann.
Ein Wohnhaus wurde in Meßkirch gekauft, zwei Kinder wurden geboren und groß gezogen, Sepp trug Anzug und Krawatte, fuhr ein "dickes" Auto und hat seinen Pilotenschein gemacht. Man könnte es als normales, bürgerliches Leben beschreiben, mit all den Freuden und Zwängen, die halt das Leben so bringt, wenn man den Schwerpunkt auf die beruflichen Bereiche beschränkt und nur an Wohlstand und Erfolg denkt. Langsam entfremdet man sich in der Ehe, zunächst fast unbemerkt, dann plötzlich geht gar nichts mehr. Sepp beschreibt dieses Gefühl so: "Das Innenleben bleibt auf der Strecke". Die Ehe geht kaputt, das Haus wird verkauft.
Gemeinsam mit seiner Tochter zieht er nach Radolfzell an den Bodensee bis auch für die Tochter das Studium der Japanologie in München beginnt. Für Sepp ist dieser Moment ein entscheidender Wechselpunkt, denn jetzt ist er einerseits auf sich allein gestellt, trägt allerdings Verantwortung auch nur noch für sich allein. Nie war er in seinem Leben davor richtig zufrieden gewesen. Der Wechsel des lang gehegten Wunsches in ein komplett anderes Leben kann im Jahr 1997 endlich beginnen. Im Kopf hat sich Sepp längst frei gemacht vom Streben nach Profit, nach sozialem Aufstieg und Karrieredenken, will weg vom Leistungsdruck hin zu einer anderen Art von Lebensqualität. Er reduziert sein persönliches Hab und Gut soweit, das es in einen Koffer passt, mietet sich im Radolfzeller Hotel Adler ein und befasst sich fortan mit dem Aufsetzen von Steinen, die er an der Mole findet. Von April bis Oktober ist dies, neben dem Schreiben von Büchern, seine Hauptbeschäftigung in Deutschland, während der Wintermonate nutzt er eine kleine Ferienwohnung auf Lanzarote.
Schon über die Jahre hatte sich Sepp mit den Problemen des inneren Gleichgewichts auseinander gesetzt. Familie und Beruf waren sich hier oft im Weg. Mit dem Abstreifen seines vorherigen Lebens findet Sepp auch sein inneres Gleichgewicht. Und zusehends versucht er auch anderen Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen, indem er Ratschläge und Lebensweisheiten erteilt. Er selbst bietet dabei das beste Vorbild: "Schaut her, es geht auch völlig anders". Er schreibt seine Hinweise und Vorschläge auf, ja, gar eine Diplomarbeit mit dem Titel "Einfach sein" wird veröffentlicht. Sepp wird zum Aktionskünstler und Buchautor.
Es ist auch eine Frage des Marketings seiner Publikationen, die Sepp mit auf den Gedanken bringen, das Stapeln der Steine als Strategie zur Vermarktung zu nutzen. Jeden Tag geht er auf die Mole, sucht sich die Steine aus, die er zum Skulpturenbau nutzen möchte. So entstehen Tag für Tag interessante, neue Steinobjekte, die viele Besucher anziehen. Er balanciert die Steine ohne Verwendung von Kleb- oder sonstigen Hilfsmitteln aus und verkauft Fotos seiner Skulpturen, die ihm neben den Büchern sein neues Leben finanzieren ... und das bereits seit 1997.
Natürlich lag die Frage nah, wie denn die Stadt Radolfzell auf seine Aktivitäten reagieren würde, schließlich ist Sepp längst kein "ordentlicher" Bürger mit Meldebescheinigung und Krankenversicherung mehr. Als Antwort darauf präsentiert er einen Zeitungsartikel mit einem großen Bild von sich selbst und einem kleinen Bild des wohl reichstem Einwohner von Radolfzell. Oftmals sagen Bilder sehr viel mehr als viele Worte, denn längst gilt Sepp als Faktotum der Stadt Radolfzell. Längst bezeichnet man ihn als "Diogenes vom Bodensee", der neben den Aktivitäten des Steine stapeln auch philosophische Ambitionen zeigt.
In seinem Aussehen eher einem Obdachlosen gleichend, balanciert Sepp seine Flusssteine jeden Tag aufs neue. Bis zu maximal fünf Steine schichtet er dabei so übereinander, das die Steine sich nur über eine geringe Oberfläche auf dem Stein darunter abstützen. Gezielt wählt er Steine aus, die möglichst kleine Berührungsflächen bilden und allein aufgrund der Schwerkraft in Balance gehalten werden. So entstehen beeindruckende Skulpturen aus Steinen unterschiedlicher Größen und Gewichte. Am Abend werden, aus Gründen des Unfallschutzes, diese Skulpturen wieder abgebaut.
"Die Skulpturen sind ein Sinnbild für das Leben selbst, seine Schönheit und sein Gefahren.“
Wenn es ihn im Winter nach Lanzarote zieht, setzt er auch dort seine Tätigkeiten fort. Hier ist es der Strandabschnitt eines Fünf-Sterne-Hotels, das den Aktionskünstler für täglich einige Stunden anzieht. Natürlich kommt auch die Frage des Versicherungsschutzes auf, die von Sepp wie folgt beantwortet wird: Wenn ich einen Arzt brauche, besuche ich einen Freund von mir. Der hilft auch ohne finanzielle Vorteile und ohne Versicherungsschutz immer.
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