Des Autors Last und Leid - Werner Koschan
- Geschrieben von Portal Editor
Ich öffnete die Tür zum Lektorat nur einen Spalt, gerade so weit, dass mein Kopf durch passte. »Darf ich reinkommen?«
Genervt blickte der Cheflektor von einem Manuskript auf.
»Ach, Sie sind das. Zum Teufel mit Ihnen, Sie sind selbstverständlich wieder mal nicht angemeldet, weil Sie wissen, dass ich nicht zu sprechen bin. Na, kommen Sie trotzdem kurz rein. Aber stören Sie mich nicht, ich habe keine Zeit. Nie hat man Zeit. Sauberuf elender!
Das ist Dichtkunst, aber ihr Schreiberlinge haltet euch alle für genial
Das ist vielleicht ein mieses Manuskript«, sagte er und schlug auf das Papier und goss sich Kaffee ein. »Hören Sie sich den Unsinn an. ›Der Wind griff nach ihrem Haar.‹ Haben Sie Wind schon mal greifen sehen? Ich auch nicht. Das soll Dichtkunst sein? Dass ich nicht lache. Unsere Leser sind viel zu gestresst, so was Hochgestochenes zu verstehen. Der Wind blies ... so geht das. Das ist Dichtkunst, aber ihr Schreiberlinge haltet euch alle für genial – dabei seid ihr nur unbeschreiblich. Das Zeug gehört in den Papierkorb.« Er ließ seiner Meinung die Tat folgen. »Und was wollen Sie mir nun antun? Wie viel Seiten?« Er blätterte zur letzten. »Viel zu lang. Kein Mensch hat so viel Zeit, das zu lesen. Muss ich kürzen – auch nur Arbeit, die mir niemand dankt. Na, mal sehen. Ich lese aber nur quer.«
Ich stand immer noch vor dem Schreibtisch und bemühte mich in der Miene des Lektors zu lesen, suchte nach Wohlwollen, fürchtete die eisige Ablehnung. Ein unangenehmes Gefühl, besonders, wo mein Konto bis weit über den Anschlag im Minus stand.
Er schaute von meinem Manuskript zum Himmel und dann zu mir. »Meinen Sie das im Ernst? Die Geschichte ist schlecht, grottenschlecht – ach was, noch viel schlimmer! Und Ihre Beschreibung junger Frauen spottet jeglichem Charakteristikum. Immer diese ständigen Wiederholungen hübscher, erotischer Rehlein. Gehen Sie mal auf die Straße und schauen sich die jungen Leute an. Viele abgeschmackte, stillose und nicht selten übergewichtige Menschen laufen Ihnen da über den Weg – ich habe heute noch nicht ein einziges Rehlein erblickt. Und ich fahre jeden Tag über eine Stunde mit dem Bus. Was Sie da schreiben ist Kitsch. Sind Sie verklemmt? Haben Sie Komplexe? Trinken Sie zu viel? Trinken macht dumm, ich merke es auch an mir selber.«
»Es liegt nicht an mir, dass Ihnen meine Geschichte nicht gefällt«, sagte ich gekränkt.
»Mag sein, vielleicht können Sie einfach nur nicht schreiben. Das kommt öfter vor, als man denkt. Wollen Sie Ihr Zeug wieder mitnehmen? Oder soll ich es entsorgen?«
»Nein, das waren annähernd drei Jahre Arbeit. Die werfe ich nicht weg. Tschüssikowski.« Sie Knalltüte vermied ich zu sagen.
Ein Jahr später.
Ja, genau die richtige Länge, ich habe es gewusst.
Ein paar kurze Geschichten waren von anderen Verlagen veröffentlicht worden und im Frühling erinnerte ich mich an mein Manuskript. Das war eine Geschichte für den Frühling. Im Nachgeschmack an die Schmach des vorigen Jahr packte mich die Entrüstung über den Holzkopf von Lektor und ich trat diesmal ohne anzuklopfen in sein Büro. »Sie gestatten?«
»Nur zu, mein Lieber. Sie haben bei mir jederzeit Zutritt. Nehmen Sie Platz. Möchten Sie einen Kaffee?«
Vor einem Jahr hatte er den Kaffee alleine getrunken. »Nein danke.«
»Einen Moment noch, bin gleich mit der Korrektur durch. Welch ein Schwachsinn. Der Kranich flog vorüber. Wo gibt es hier in der Stadt denn noch Kraniche? Das will ein Schriftsteller sein. Und wenn schon so gestelzt, dann strich das Vieh vorbei oder wehte vorüber. Das ist dichterisch. Dieser Stoffel schreibt nur so einen Mist. Weg damit. So mein Lieber, wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt? Ich habe ein paar vorzügliche Geschichten von Ihnen gelesen. Leider bei der Konkurrent, mir bringen Sie immer nur Murks. Haben Sie was Neues dabei? Zeigen Sie her.«
Er blätterte wie voriges Jahr zur letzten Seite. »Ja, genau die richtige Länge, ich habe es gewusst. Mögen Sie wenigstens einen Whisky? Nun kommen Sie schon, der Mensch muss trinken, trinken regt an. Gerade kreative Menschen sollten viel mehr trinken. Schauen Sie mich an, ich trinke auch. So hat man Erfolg. Lassen Sie mich mal einen Eindruck des Inhalts Ihrer Arbeit verschaffen.«
Er begann zu lesen, seine Miene strahlte vor Vergnügen. Er schmunzelte, lachte sogar und legte mein Manuskript beinahe zärtlich vor sich auf den Schreibtisch.»Ich wusste, dass Sie so hervorragend schreiben können. Und diese wundervollen Wiederholungen. Unter uns ...« Er beugte sich zu mir und sprach leise hinter vorgehaltener Hand. »Das mit Ihren Rehlein finde ich ganz entzückend. Die Welt ist voll solch honigsüßer Geschöpfe. Ich habe mich selber gerade in so eins verliebt, herrlich. Ich nehme Ihre Geschichte als Aufmacher. Brauchen Sie Vorschuss? Na, sagen Sie ruhig ja, ich weiß doch, wie es ist bei euch Schreiberlingen!«
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