Was "glauben" die alewitischen Muslime?
Ein fanatischer Moslem hatte eine erhitzte Diskussion mit einem alewischen Moslem in unserem Lande und fragte: „Sage mir, wie viele Säulen des Islam gibt es?“
Der Alewi antwortete sofort: „Eine!“ Der Fundamentalist antwortete erregt: „Da schau, du kennst nicht mal die Säulen des Islam und du rühmst dich ein Derwisch, ein geistlicher Führer zu sein!“ „Habe etwas Geduld und lasse es mich erklären, mein Lehrer“, antwortete der Alewite. „Also, ich habe beobachtet, dass nicht alle von euch die vorgeschriebene Pilgerreise machen und dass auch nicht alle die vorgeschriebenen Almosen an die Armen geben. Nun, wir fasten nicht während des Fastenmonats Ramadan und wir halten uns nicht an die fünfmaligen täglichen Gebete. Was bleibt da denn noch von den fünf Säulen des Islam zwischen uns und euch – außer dem Glaubensbekenntnis.“ Dieser Witz, der gerne von den Alewiten in unserem Land erzählt wird, verdeutlicht, dass es große Unterschiede zwischen den religiösen Auffassungen hier gibt. Wenn man in veröffentlichten Quellen über die Religionszugehörigkeit der Menschen in unserem Lande nachforscht, wird offiziell meist 99 % der Bevölkerung als Moslems eingestuft. Die Mehrzahl davon sind sunnitische Moslems (etwa 83 %) und im Osten u. Südosten gibt es schiitische Gruppen (etwa 2 %).
Wenn man eine Zeit lang in unserem Einsatzland lebt, stößt man jedoch sehr schnell auf eine Gruppe von Menschen, die bezüglich der Glaubenspraxis und der Glaubensauffassung des Islams eine ganz andere Auffassung hat, wie die sunnitische Mehrheit. Diese Gruppe wird Alewiten genannt. Alewiten, weil sie sich als die Jünger (oder Nachfolger) von Ali verstehen. Ali war der Cousin von Mohammed und mit der Tochter des Propheten Mohammed verheiratet. Ali war der erste, der glaubte, dass Mohammed ein Prophet Gottes war, und er sollte der Nachfolger von Mohammed werden. Es wird auch ganz deutlich, dass Ali sehr bedeutend für die Alewiten ist, sein Bild ist sehr häufig in ihren Zentren zu sehen. Es ist äußerst schwierig festzustellen, wie groß der Anteil der Alewiten in unserem Land ist, weil sie sich weder durch ihre Sprache, noch durch ihre Kleidung oder Aussehen unterscheiden. Sie sind auch nicht in begrenzten Gebieten angesiedelt, sondern in allen Provinzen anzutreffen. Die Schätzungen über Ihren Bevölkerungsanteil sind sehr unterschiedlich und gehen von 15–30%.
Wer sich ein wenig mit dem Islam beschäftigt, hat sicher schon etwas über die so genannten fünf Säulen des Islam gehört, die in dem Witz erwähnt werden: Die fünf Säulen der islamischen Glaubenspraxis sind:
1. das Glaubensbekenntnis
2. fünfmaliges tägliches rituelles Gebet
3. das Fasten während des Ramadans
4. Almosen geben
5. eine Pilgerreise nach Mekka
In diesem Artikel möchte ich versuchen einige der Unterschiede der alewitischen Glaubenspraxis und Auffassung aufzuzeigen.
• Glaubensbekenntnis: Viele der Alewiten haben einen sehr offen definierten Gottesbegriff wie etwa: „Gott besteht aus allen Dingen des Universums.“ Oder: „Gott ist eine undefinierte Kraft oder Macht“. Viele von ihnen interpretieren deshalb auch das moslemische Glaubensbekenntnis, welches besagt: „Es gibt keinen Gott als Allah, und Mohammed ist der Prophet Gottes“, sehr unterschiedlich. Für viele von ihnen ist es auch viel wichtiger, in welcher Weise ein Mensch mit seinen Mitmenschen umgeht, wie etwa die korrekte Theologie zu haben.
• Rituelles Gebet: Es gibt kaum einen Alewiten der fünfmal täglich in der Moschee betet und auch das Freitagsgebet wird kaum besucht. Alewiten treffen sich in speziellen Versammlungen zur Anbetung und zum gemeinsamen Gebet. Dabei treten sie in eine tiefere geistliche Beziehung zu dem Leiter und zu Gott. Teilnehmen können nur diejenigen, die persönliche Sünden bekannt haben und sich, wo es Streit gab, versöhnt haben. Es wird dabei von ihnen auch nicht die rituelle Waschung vorgenommen. Die meisten Alewiten sagen, dass die innere Reinigung wichtiger wie die äußere ist.
• Fasten: Die meisten Alewiten nehmen nicht am 30tägigen Fasten während des Ramadanmonats teil. Ihre wichtigste Fastenzeit sind die ersten 12 Tage des moslemischen Monats Muharrem, der 20 Tage nach dem Opferfest beginnt. Es gibt auch noch eine Fastenzeit vom 13.–15. Februar.
• Almosen: Es gibt keine festgelegte Summe oder Prozentsatz, die ein Alewit als Almosen geben sollte.
Es wird im allgemeinen Essen oder ein Opferschaf gegeben, das gemeinsam mit Gästen oder anderen Versammlungsteilnehmern verzehrt wird. Es wird aber auch Geld für Arme oder an Organisationen oder Zentren der Alewiten gegeben um religiöse, kulturelle Aktivitäten zu unterstützen oder auch um Ausbildung zu fördern.
• Pilgerreise: die Pilgerreise nach Mekka wird von den Alewiten nicht durchgeführt. Sie besuchen jedoch recht häufig die Gräber von alewitischen Heiligen.
Durch unsere Begegnung mit Menschen, die sich als Alewiten bezeichnen, ist uns über die Jahre deutlich geworden, dass wir nicht von einer allgemeinen Theologie ausgehen können, weil diese individuell sehr unterschiedlich ist. Es ist uns sehr wichtig geworden, herauszufinden, was der Einzelne glaubt und wie er seinen Glauben ausübt. Wir haben dabei auch gelernt, dass viele Alewiten auch diverse Praktiken des Volksislams ausüben wie etwa:
1. Kerzen an Gräbern von verstorbenen Heiligen anzünden
2. Küssen der Türen von heiligen Räumen oder Grabumrandungen
3. nicht auf die Schwellen von heiligen Räumen treten
4. Gebete von Heilern suchen
5. 5. Gebete auf Stofffetzen oder Papier schreiben und an Bäume binden, die als besonders geistlich wirksam angesehen werden.