"Der stille Tänzer" wird Preisträger des Media Award
- Geschrieben von Portal Editor
Wenn jemand irgendwo auf einem großen Platz herumsteht, allein, stumm, die Hände in den Hosentaschen, fällt das nicht unbedingt gleich auf.
Wenn dieser Platz allerdings seit Tagen den Hintergrund massiver Proteste bildet und zumindest die ausländische Presse über die sozialen Netzwerke aufmerksam geworden sind, kann das völlig anders aussehen: Erdem Gündüz, am 18. Juni 2013 als "Der stille Tänzer" bekannt geworden, verharrte schon einige Stunden reglos mitten auf dem Istanbuler Taksim, den Blick auf die riesigen türkischen Fahnen am Atatürk-Kultur-Zentrum gerichtet, bevor Polizisten auf dem Platz realisierten, dass der einsame Mann im weißen Hemd ein Demonstrant sein musste. Etwa acht Stunden lang hatte er das Porträt des Staatsgründers der modernen Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk angestarrt.
Nur zu gut erinnern sich wohl die meisten unter uns, als die Bilder des stehenden Mannes "#duranadam" um die Welt gingen, die dem Protest der unzufriedenen türkischen Bürger plötzlich ein komplett neues Gesicht verliehen. Schnell hatten weitere Bürger Istanbuls verstanden, dass das stumme Stehen eine neue Art des Protests sein mussten und taten es ihm nach. Die dann aufmerksam gewordenen Polizeibeamten eilten herbei, durchsuchten den Rucksack des stillen Tänzers, fanden aber nichts Verdächtiges. Vor allem über Twitter wurde der stille Tänzer binnen weniger Stunden zum Idol: "Ich protestiere gegen die Sprachlosigkeit der türkischen Medien und die Gewalt der Polizei", so Gündüz gegenüber Augenzeugen.
Erdem Gündüz, erhält den M100 Media Award aus Deutschland
Geboren im Jahr 1979 in Ankara, studierte er in den Jahren 1996 - 2002 in den Fachbereichen Elektrik und Landwirtschaft an der Aegean University von Izmir, wechselte dann 2003 an die Yıldız Teknik Üniversitesi in den Bereich Kunst, Design, Musik und Tanz. Ab 2007 folgte über ein Austauschprogramm die Teilnahme an einem Kurs am John F. Kennedy Center for the Performing Arts in den USA. Ein Jahr später besuchte er einen Kurs in "ImPulsTanz" am Vienna International Dance Festival in Wien. 2008 schloss er sein Studium mit einem Master of Performing Arts an der Mimar Sinan Universität in Istanbul ab. Heute ist Erdem Gündüz ein türkischer Künstler, Tänzer und Choreograf.
Als sich am 18. Juni mehrere hundert Menschen direkt neben Gündüz stellten, begann die Polizei damit, einige Leute abzuführen. Da beendete der Künstler nach etwa acht Stunden seinen Auftritt. Zuvor hatte er die Nachahmer noch gebeten, lieber zu gehen. Dies sei eine Aktion "nur für eine Person", teilte ein Freund von Gündüz über Twitter mit. John Lennon hätte dies ein "Stand-in" genannt, meinte ein Istanbuler Journalist. Andere erinnerten an das Gedicht des türkischen Dichters Nazim Hikmet, von dem schon jedes türkische Schulkind die Zeilen kennt: "Leben, einzeln und frei wie ein Baum, und brüderlich wie ein Wald, das ist meine Sehnsucht."
Gündüz konnte denn auch nicht verhindern, dass nicht nur auf dem Taksim-Platz, sondern auch an vielen anderen Stellen der Türkei einzelne Menschen stundenlang standen, oft an symbolischen Orten: in Ankara, wo ein junger Demonstrant während der mehr als zweiwöchigen Proteste gegen die Regierung tödlich verletzt wurde; vor jenemHotel in der Stadt Sivas, wo durch einen Brandanschlag vor genau 20 Jahren 37 Menschen starben; und auf der Istanbuler Straße, auf der 2007 der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink ermordet wurde.
Weltweit erregte diese Form des friedlichen Protests Aufsehen, das auch von der Polizei schlichtweg geduldet werden musste, da jedwede Grundlage eines Einschreitens fehlte. Es ist die Art des Protests, die jetzt mit dem Preis ausgezeichnet wird: „Mit seinem stillen Protest wurde er zur Ikone des friedlichen Widerstandes und fand weltweit Nachahmer“, so der Beirat des M100 Komitees, der damit das „mutige Bekenntnis zur Freiheit der Meinungsäußerung und der Menschenrechte“ des 34-jährigen Tänzers und Choreographen ehren will.
Seine Markenzeichen sind Mut und Ausdauer.
„Seine Waffe heißt Kreativität. Seine Markenzeichen sind Mut und Ausdauer. Und all das braucht man auch, wenn man für freie Meinungsäußerung und die Menschenrechte eintritt“, sagte Jann Jakobs, M100 Vorsitzender und Bürgermeister von Potsdam. Ein weiteres klares Zeichen dafür, das sich gewaltfreier friedlicher Widerstand auch als sehr erfolgreich erweisen kann.
Die Preisübergabe des internationalen Potsdamer Medienforums M100 findet am 5. September 2013 im Raffaelsaal unter dem diesjährigen Motto „Zerstören die Medien Europa?“ in Pottsdam-Sanssouci statt. In den Vorjahren waren bereits der dänische Karikaturist Kurt Westergaard, der die umstrittenen Bilder des Propheten Mohammed anfertigte, der Gründer von Ärzte ohne Grenzen, der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner und den Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi ausgezeichnet worden.
Der nicht dotierte Preis wird in jedem Jahr an eine Person vergeben, die durch ihr Wirken oder Auftreten in der Welt Spuren hinterlassen hat. Im Vordergrund stehen dabei der Einsatz zum Schutze der freien Meinungsäußerung und die Festigung demokratischer Grundsätze. Auch außergewöhnliche Leistungen um die europäische Verständigung und Kommunikation werden zur Bewertung hinsichtlich der Preisvergabe hinzugezogen. Der M100 Media Award in diesem Jahr für den "Stehenden Mann, #duranadam" Erdem Gündüz, der gezeigt hat, das man auch absolut gewaltfrei demonstrieren kann.
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