Fundstücke des Marmaray-Projekts in Istanbul vorgestellt
- Geschrieben von Portal Editor
Im Rahmen der Konferenz „İstanbul als archäologische Fundstätte“ der Mimar Sinan Universität für bildende Kunst und des anatolischen Kultur- und Kunstforschungszentrum
(AKSAM) wurden jetzt erneut Fundstücke aus den Baugruben des Mamaray-Projekts, dem Tunnel-Bau-Projekt der U-Bahn-Strecke unterhalb des Marmarameeres, vorgestellt.
Zunächst der antike Hafen des Kaisers Theodosius
Die archäologischen Ausgrabungen im Rahmen des Marmaray-Projekts umfassten in den vergangenen Jahren eine Fläche von mehr als 60.000 Quadratmeter. An einigen Stellen gingen sie in eine Tiefe von bis neun Metern unter den Meeresspiegel des Marmarameeres. Im Zuge der Ausgrabungen war zunächst der antike Hafen des Kaisers Theodosius aus römischer Zeit des vierten Jahrhunderts entdeckt worden. Aus Aufzeichnungen und antiken Zeichnungen wusste man bereits von der Existenz dieses einstmals bedeutenden Hafens, kannte allerdings den genauen Standort nicht. Diesen brachten dann erste Baggerarbeiten an der Baugrube zu Tage, nur wenige hundert Meter vom Ufer des Marmarameeres entfernt.
Seit 2004 wurde an der Baustelle gesiebt, gesichtet und nummeriert. Eine Arbeit, die an den Kräften der archäologischen "Bauarbeiter" zehrte: Schwer waren die Klumpen an den Stiefeln der Arbeiter; schwarz war der Lehmboden, der jede Fuhre mit der Schubkarre träge machte. Jede Ladung war von einer archäologischen Fachkraft beäugt worden. Erst dann ging es über provisorische Stege zu den Zelten, in denen die Fundstücke gestapelt und die mehr als tausend Jahre alten Schiffshölzer beregnet wurden, um sie nicht zerfallen zu lassen. Bislang kamen 33 Schiffswracks zutage, oft samt Fracht. Krüge, Öllampen und Körbe lagen dazwischen, Münzen und Teller konnten geborgen werden. Auf den Millimeter genau wurde jeder Nagel in den Planken vermessen und registriert. Die Gerippe der Schiffe waren erstaunlich gut erhalten.
Viele der Schiffe scheinen seinerzeit von einem Moment auf den andern verlassen worden zu sein, auf den Grund des Hafens gesunken oder wie von einer Riesenhand ans Ufer geworfen worden zu sein. Andere hatten noch immer ihre tonnenschweren Statuen, Baumaterial, Quader für Tempelanlagen oder Prachtbauten an Bord. Was die Ursache dafür war, konnte bislang nicht geklärt werden, möglicherweise ein Tsunami ausgelöst durch ein Erdbeben.
Das langsame Verlanden des Hafenbeckens
Ein Flüsschen, das einst bei Yenikapi ins Marmarameer floss, hatte dann für das langsame Verlanden des Hafenbeckens gesorgt. Anwohner pflanzten in dem eher ärmlichen Gebiet über Jahrhunderte Gemüse an, nutzten die Reste der Kaimauern und Stege als Abgrenzung für Gärten und Beete.
"Es war natürlich bei der Projektplanung Zeit und Geld für archäologische Funde berücksichtigt worden, doch das Ausmaß und der Reichtum der Funde hat uns alle überrascht", sagt seinerzeit Günter Haass von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ), der als Berater für das türkische Transportministerium entsandt worden war. "Es ist toll für Istanbul, dass wir zufällig auf den lange verschütteten Theodosianischen Hafen gestoßen sind, aber für das Projekt Marmaray-Tunnel bedeutet das eine enorme Verzögerung." Zwar sei die Finanzierung dadurch nicht infrage gestellt - die Bank of Japan und die europäische Investitionsbank stellen die Mittel trotz der Zeitverzögerung zur Verfügung -, aber die Kredite werden teurer, und der Zeitpunkt, zu dem die Einnahmen fließen werden, verschiebt sich nun erheblich. Mit den Auswertungen des größten aller bisherigen Funde von Hafenanlagen im Mittelmeerraum, direkt an der Nahtstelle zwischen dem Marmarameer und dem Schwarzen Meer, werden noch Generationen beschäftigt sein.
Vor einigen Jahren konnte man die Ergebnisse der Ausgrabungen bereits in einer Sonderausstellung im Archäologischen Museum bewundern. Schiffsrümpfe aus dem 9. und 11. Jahrhundert, im Lehm geborgen und sensationell gut erhalten, wurden nach allen Regeln der Kunst ausgegraben und konserviert. Unzählige andere Artefakte waren in der Ausstellung "Unter dem Tageslicht: 8.000 Jahre Istanbul" zu sehen und sollen in ein paar Jahren in einem eigenen neuen Museum in unmittelbarer Umgebung des zukünftigen Umsteigebahnhofs Yenikapi dem Publikum dauerhaft präsentiert werden.
Zwischenzeitig gab es Pläne, das Areal nach Ende der Ausgrabungen in einen archäologischen Themenpark zu verwandeln. Stehen und fallen könnten solche Ambitionen jedoch mit der Ungeduld des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdoğan. Immerhin verzögern die Ausgrabungen den Projektabschluss mindestens um weitere vier Jahre, was Erdoğan seinerzeit wie folgt kommentierte: „Sie haben uns Hürden und Vorwände wie archäologische Ausgrabungen oder Amphoren und dergleichen vor die Nase gesetzt.“
Mehr Verständnis für die Arbeit zeigte der türkische Präsident Abdullah Gül bei einer Visite der Forschungsstätte. Er notierte ins Gästebuch: „Es ist klar, dass die auf diesem Gelände entdeckten archäologischen Funde Licht auf İstanbuls glorreiche Vergangenheit als auch auf die verschiedenen Epochen im historischen Abenteuer der Menschheit werfen.“
Möglich, dass das Museum noch weit größer wird als jetzt geplant, denn "jeder Spatenstich in diesem historischen Grund birgt neue Überraschungen", resümierte auch Günter Haass seine bisherigen Erfahrungen. Daneben entdeckten die Teams aus Archäologen, Kunsthistorikern und Architekten unzählige Gräber, Kleidungsstücke, Ton- und Glasscherben, Steingut, Amphoren, Anker, Metallgegenstände, Statuetten, Grundmauern, Kämme. Die Fachleute datieren die Fundsachen auf die Zeit der Osmanen über Byzanz, das Römische Reich und die griechische Klassik bis in zur Jungsteinzeit.
Aufregendste Funde sind jedoch die gut 1500 Fußabdrücke und Holzgräber
Bisher nahmen Archäologen an, dass die Geschichte Istanbuls vor gut 2700 Jahren begann. Nun sieht es so aus, als ob die Wissenschaft umdenken müsste. Die wohl aufregendsten Funde sind jedoch die gut 1500 Fußabdrücke und Holzgräber, mit menschlichen Skeletten, die auf die Zeit um 6.000 bis 6.500 v. Chr. geschätzt werden. Sie widerlegen die bisherige These, dass die ersten menschlichen Siedlungen in İstanbul vor 2700 Jahren errichtet wurden.
Die Archäologen vermuten nun, dass sie sich dank eines ungewöhnlichen Naturereignisses bewahrt haben. Jenes Ritual wurde vermutlich in einem Flussbett abgehalten, wo schlammiger Untergrund herrschte. Die Fußabdrücke trockneten wahrscheinlich ein und verfestigten sich so. Später könnten sie durch Überschwemmungen mit Schlick oder alluvialen Ablagerungen abgedeckt worden sein und sich so erhalten haben.
Die Größen der Fußspuren reichen von den heutigen europäischen Schuhgrößen 35 bis 42. Anthropologen glauben, dass die Spuren von jenen Skeletten stammen, die an gleicher Stelle gefunden wurden. Denn die Ausgrabungen förderten auch zwei gut erhaltene Gräber zutage, die vermutlich aus der gleichen Zeit stammen.
Es bleibt abzuwarten, ob es noch zu dem geplanten Bau eines Museums zur dauerhaften Ausstellung all der Artefakte kommen wird. Zumindest hat die jetzige Ausstellung erneut an die dringende Notwendigkeit des Baus eines weiteren Museums erinnert.
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