Historie zum medienträchtigen Taksim Platz in Istanbul
- Geschrieben von Portal Editor
Der Taksim Platz in Istanbul galt immer als der wichtigste Verkehrsknotenpunkt der Stadt. In der Mitte des Platzes steht das 1928 errichtete „Denkmal der Republik“ (türkisch Cumhuriyet Anıtı), das an die Gründung der Republik Türkei im Jahre 1923 erinnern soll.
Von diesem zentralen Ort aus führten wichtige Hauptverkehrsstraßen in alle Richtungen, unter ihnen der Tarlabaşı Bulvarı in Richtung Fatih, die Cumhuriet Caddesi zum nördlichen Stadtteil Şişli, die Inönü Caddesi in Richtung Beşiktaş sowie Istiklal Caddesi hinab zum Tünel-Platz, wobei diese Straße heute mit Ausnahme der touristischen Straßenbahn und ein wenig Zulieferverkehr zur Fußgängerzone wurde. Die historische Straßenbahn "Nostaljik Tramvay", hat auf dem Taksim-Platz eine Wendeschleife, die um das "Denkmal der Republik herum verläuft. Besser bekannt ist die Istiklal Caddesi unter dem früher verwendeten Begriff Grande rue de Pera. Oft war der Taksim aber auch Ort von Kundgebungen und Veranstaltungen.
Taksim Platz immer wieder Protestaktionen
Gerade jetzt ist neben dem Gezi Park auch der Taksim Platz in Istanbul als Ort bürgerlichen Protests in aller Munde, dies vor allem seit der mehrfach gewaltsamen Räumungsaktionen der türkischen Polizei gegen überwiegend friedfertige Demonstranten Ende Mai und Juni dieses Jahres. Und die Protestaktionen dauern an. Die Mitte des Platzes bildet das Denkmal der Republik, das als der zentrale Ort für Kranzniederlegungen in Istanbul für staatliche Feiertage gilt. In den vergangenen Jahrzehnten war es auf dem Taksim Platz immer wieder zu Protestaktionen türkischer Gewerkschaften, häufig linker Parteien oder den Jugendbewegungen gekommen.
So war der 16. Februar 1969, der als Blutiger Sonntag in die türkischeGeschichte einging, ein solcher Tag des Protests, an dem Studenten gegen den Besuch der Sechsten Flotte der USA unter dem Motto "Gegen Imperialismus und Ausbeutung" friedlich demonstrierten, unterstützt von den Gewerkschaften und linken Oppositionsgruppen. Die friedliche Demonstration wurde zum "Blutigen Sonntag", als die Polizei etwa 500 agressiven Angreifern den Zutritt zum Taksim Platz gewährte, wo sie die Demonstranten mit Messern, Ketten und Knüppeln angriffen. Unter den Augen der Polizei wurden zwei Menschen getötet und mehr als einhundert Personen verletzt.
Taksim Massaker im Jahr 1977
Nur 8 Jahre später kam es beim sogenannten Taksim Massaker im Jahr 1977, als Teilnehmer einer Gewerkschaftskundgebung zum 1. Mai von Unbekannten beschossen wurden. Die Attentäter hatten sich auf den Dächern des Intercontinental Hotels, dem heutigen Marmara Istanbul Hotel und im Gebäude der Wasserbehörde positioniert und das Feuer auf die Demonstranten eröffnet. Zusammen mit den gepanzerten Fahrzeugen der Polizei, der eingesetzten Lärmbomben und Schüssen aus automatischen Waffen verwandelte sich der Taksim Platz in ein Schlachtfeld, auf dem 34 Menschen starben und Hunderte verletzt wurden. Allein 453 Demonstranten wurden festgenommen. Nach wie vor sind weder die Attentäter bekannt noch ist das Massaker insgesamt aufgeklärt worden. Für die kommenden drei Jahrzehnte wurde der Taksim Platz daraufhin für Maikundgebungen geschlossen und der 1. Mai galt zukünftig als nicht offizieller Feiertag. Nach dem Militärputsch von 12. September 1980 waren dann Feiern zum 1. Mai in der ganzen Türkei verboten. Erst seit 1988 gibt es diese Feierlichkeiten erneut.
Als sich während einer Demonstration am 31. Oktober 2010 ein Selbstmordattentat auf dem Taksim Platz ereignete, wurden 32 Personen verletzt. Ende des Jahres 2012 wurde aufgrund von Bauarbeiten der Taksim Platz für den Verkehr komplett gesperrt. Im April 2013 gab es auf dem Taksim Platz erste massive Proteste gegen den Abriss des Emek Kinos und die damit sichtbar gewordene, willkürliche Politik der Stadterneuerung, die scheinbar alle Baudenkmäler des Kemalismus und der damit einhergehenden Verwestlichung beseitigen will, denn zumindest das Emek Kino galt als Kandidat für des UNESCO Weltkulturerbe. Im Rahmen der Maifeiern zum 1. Mai 2013 versuchten Demonstranten bis zum Taksim Platz vorzudringen, was von der Polizei verhindert werden sollte. Im Rahmen der Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden 16 Personen verletzt.
Am 27. Mai 2013 begannen am Taksim-Platz Demonstrationen gegen die Pläne der Stadterneuerung bzw. gegen das Fällen der Bäume im Gezi Park. Am frühen Morgen des 31. Mai 2013 riegelten türkische Polizeieinheiten den Platz ab; sie zündeten Zelte kampierender bzw. schlafender Demonstranten an und attackierten sie mit Tränengas und Pfefferspray. In den folgenden Tagen griffen diese Demonstrationen auch auf andere Städte über; viele Menschen äußern sich unzufrieden über die autoritäre Politik des seit zehn Jahren regierenden Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der auch Vorsitzender der Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) ist.
Taksim leitet sich aus dem Arabischen ab
Gehen wir in der Geschichte des Taksim Platzes weiter zurück, stoßen wir auch auf seine Namensherkunft sowie auf die ehemalige Funktion dieses höchsten Punktes im Istanbul Stadtteil Beyoğlu. Der Name Taksim leitet sich aus dem Arabischen in der Bedeutung von Teilung oder Division her ab, allerdings nicht, wie man jetzt vermuten könnte, auf der Verteilung von Straßen sondern auf der Verteilung von Wasser. Hier am Taksim endete die im Jahr 1731 erbaute 23 Kilometer lange Wasserfernleitung zur Versorgung der Stadt mit Frischwasser. Im Auftrag Sultan Mahmud I wurde hier im Jahr 1732 eine Verteilungsanlage im Anschluss an die Wasserleitung aus dem Norden im sogenannten Belgrad Wald errichtet. Diese Verteilerstation sorgte für die Aufteilung des Trinkwassers in die Stadtteile Kasımpaşa, Galata, Beyoğlu, Fındıklı und Beşiktaş, die bis zum 19. Jahrhundert kontinuierlich ausgebaut wurde.
Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren private Häuser kaum an das öffentliche Wassernetz angeschlossen, die in Istanbul lebende Bevölkerung nutzte hauptsächlich öffentliche Brunnen für die Eigenversorgung. Von den damals vorhandenen 10.000 Häusern im Distrikt Beyoğlu waren nur 80 an die Leitungssysteme aneschlossen. Völlig anders natürlich die Situation der am Taksim Platz gelegenenPaläste. Allein der Yıldız-Palast verbrauchte um 1900 herum etwa 1/3 des gesamten zur Verfügung stehenden Trinkwasser über die eigene Wasserversorgung aus der Verteileranlage am Taksim Platz.
Mitspracherecht bei Stadtentwicklungsprojekten faktisch abgeschafft
Mit der Einrichtung moderner Wasserwerke in den Jahren um 1880 wurden dann auch die Häuser am Taksim mit an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen, wodurch die Wasserverteilstation Taksim seine Bedeutung für die Stadt und das Viertel Beyoğlu verlor. Um das Jahr 1950 herum wurde das gesamte Leitungssystem zum Taksim Platz und auch die Verteilstation stillgelegt. Von der ehemaligen Wasserverteilstation ist heute noch das als Wasserreservoir genutzte flache Gebäude am westlichen Rand des Taksim Platzes erhalten, genauso wie auch ein achteckiges Gebäude am südlichen Ende des Taksim, das einst die eigentliche Verteilstation war. Noch heute allerdings bilden die Stauseen im sogenannten Belgrader Wald wichtige Bastionen der Instanbuler Wasserversorgung.
Nicht ohne Grund richten sich also die momentanen Protestaktionen auch gegen die geplanten Stadterweiterungen, den Bau eines noch spektakuläreren Flughafenssowie das Projekt 3. Bosporusbrücke und der Schwarzmeer-Marmarameerkanal, die weitere tiefe Eingriffe in die Natur und damit in den Wasserhaushalt der Standversorgung bedeuten. Die maßgeblich an den Protestaktionen beteiligte türkische Architektenkammer jetzt mit dem Ausschluss an öffentlichen Planverfahren seitens des AKP-geführten Parlaments zu bestrafen, ist sicherlich keine Möglichkeit, die Probleme zu lösen.
Die Türkische Gewerkschaft der Architekten und Ingenieure (TMMOB) zürnte am Donnerstag über ein die Woche verabschiedetes Gesetz, mit dem ihr bisheriges Mitspracherecht bei Stadtentwicklungsprojekten faktisch abgeschafft wurde. Das von Erdogans islamisch-konservativer AKP-Partei entworfene Gesetz solle die Gewerkschaft schwächen, als illegale Organisation brandmarken und sei "ohne Zweifel im Zusammenhang mit der Gezi-Park-Bewegung zu sehen", sagte TMMOB-Führer Mehmet Soganci der Nachrichtenagentur AFP.
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